Shelina und Bodo Marks setzen sich seit Jahren mit einer Vergangenheit auseinander, deren Wunden selbst 80 Jahre nach dem Bürgerkrieg in vielen Familien in Spanien und auf Mallorca noch nicht verheilt sind. In ihrer im Juli in der Wochenzeitung „Jungle World" erschienenen, doppelseitigen Reportage „Holpriges Gedenken" geht es dabei auch um die Aufarbeitung der deutschen Rolle im Spanischen Bürgerkrieg.

In Text und Bild erzählt die Reportage von Maria Antònia Mateu aus Inca und der Spurensuche nach ihrem Großvater. Der frühere republikanische Bürgermeister von Inca, Antoni Mateu Ferrer, war sofort nach dem Putsch gegen die Zweite Republik im Juli 1936 von den Schergen Francos gefangen genommen und dann am 24. Februar 1937 erschossen worden. Wie in vielen anderen spanischen Orten auch wurde darüber in Inca weder in den Jahren der Diktatur - Franco starb 1975 - noch beim Übergang in die Demokratie gesprochen. Maria Antònia Mateus Vater, der fünf Jahre alt war, als sie seinen Vater, den Bürgermeister, erschossen, brach sein Schweigen erst im hohen Alter, als er schon fast 80 war. Das war auch der Moment, in dem Maria ­Antònia Mateu ihre Nachforschungen begann. „Fast immer hat die Enkelgeneration den ersten Schritt bei der Aufarbeitung der Vergangenheit gemacht", sagt Shelina Marks, deren Vater aus Bangladesch stammt und die in Honduras sowie in Hamburg Spanisch und Literatur studiert hat.

Seither ist in Inca einiges geschehen: Es gibt Bücher über den ermordeten Bürgermeister, es hat öffentliche Ehrungen gegeben, ein Platz ist nach ihm benannt. Und vor seinem Wohnhaus in Inca hat der deutsche Künstler Gunter Demnig einen seiner Stolpersteine eingelassen. Es ist eine von 20 Messingplatten auf Mallorca, mit denen Demnig erstmals auch jene Opfer des Faschismus ehrt, die nicht von deutschen Nationalsozialisten ermordet wurden. Diese Stolpersteine seien „ein erster Schritt zu einer neuen Form der Erinnerungspolitik in Spanien, der auf Mallorca gemacht wird: Sie stellen eine Verbindung her zum ­europäischen Faschismus", schreiben Shelina und Bodo Marks in „Holpriges Gedenken".

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die beiden mit dem Thema der Memoria Histórica, wie in Spanien die Vergangenheitsbewältigung der Franco-Zeit genannt wird, beschäftigen. Sie haben bereits mehrfach darüber geschrieben und auch einen 20-minütigen Film gedreht. Ihr Interesse hat mit politischen Überzeugungen zu tun: Shelina Marks engagiert sich bei Amnesty International, Bodo Marks beschäftigt sich seit Langem mit linken Bewegungen. Und da ist noch eine Art Schlüsselerlebnis: 2011 wohnten die beiden einer Exhumierung bei und waren zutiefst davon beeindruckt.

Das Paar recherchierte damals auf dem Festland die Geschichte der Argentinierin Adriana Fernández. Ihr Vater war aus Spanien nach Südamerika ausgewandert, und wann immer Fernández nach ihrem Großvater fragte, wurde ihr gesagt, er sei bei einem Nachbarschaftsstreit ums Leben gekommen. Als sich die junge Argentinierin mit der Geschichte der Militärdiktatur in ihrem eigenen Land auseinandersetzte, kam sie darauf, dass auch ihr Großvater einer Diktatur zum Opfer gefallen sein könnte. Sie kontaktierte in Spanien den Verein zur Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses ARMH (Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica). Ihr Verdacht bestätigte sich. Freiwillige begannen, an der von Adriana Fernández vermuteten Stelle in den Bergen nahe Ponferrada (Provinz León) zu graben - und fanden die sterblichen Überreste ihres Großvaters. „Es war ein sehr bewegender Moment", erinnert sich Shelina Marks.

Sie und ihr Mann blieben dran. 2017 nutzten sie einen Aufenthalt auf Mallorca, um hier Maria Antònia Oliver vom Verein Memòria de Mallorca zu kontaktieren. Daraus entstand ein erster Artikel über den Umgang mit der Vergangenheit auf Mallorca, der in der Wochenzeitung „Freitag" erschien. „Politisch wird das hier noch einmal ganz anders als auf dem Festland angegangen, wo viele Regionalregierungen immer noch keine Verantwortung für die Aufarbeitung der Vergangenheit übernehmen", sagt Shelina Marks. Sie sei beeindruckt von dem Engagement, mit dem Privatleute, aber auch Politiker der regierenden Linkskoalitionen auf den Balearen sich mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigten - und damit auch ein Zeichen gegen das Wiedererstarken des Rechtsextremismus setzten. Der MZ-Preis gehöre auch ihnen.