Es ist eine wenig einladende Garage in einer unscheinbaren Wohnstraße oberhalb des Paseo Marítimo in Palma, aus der die Klänge einer E-Gitarre mitsamt der weichen Stimme von Benjamin Aige de Larrocha erklingen. Der 75-Jährige hat das Rollo nur ein Stück weit heruntergelassen, wenn er übt. Wer sich bückt und in die Garage hineinspitzt, sieht einen älteren Herren, der voller Inbrunst Klassiker von Joaquin Sabina oder Joan Manel Serrat spielt. Er übt hier für einen guten Zweck, denn Aige de Larrocha spielt regelmäßig für die Bewohner der Seniorenresidenzen und Altenheime in und um Palma. Dabei rührt er den einen oder anderen schon mal mit seiner Musik zu Tränen, wie er berichtet.

Aige de Larrocha tritt ehrenamtlich auf und bekomme dafür sehr viel zurück. „Einmal kam ein Mann nach meinem Auftritt zu mir und dankte mir im Namen seiner wenige Tage zuvor verstorbenen Mutter, die meine Musik immer genoss. Sie war Klavierlehrerin und ihr Sohn Mitglied der Balearen-Sinfoniker. So etwas ist doch das größte Geschenk", sagt Aige de Larrocha und lässt den Besucher neben sich sitzen. Er stimmt „Blanca navidad" an, die spanische Version von „White Christmas". Die Stärke des 75-Jährigen ist seine Stimme, aber auch die Gitarre beherrscht er fehlerlos. Er ist kein Profi-Musiker, wenngleich er einen guten Teil seines Lebensunterhalts mit Musik verdiente.

Musiker waren zuhauf gesucht

Als 18-Jähriger kam Aige de Larrocha im Jahr 1962 aus seinem katalanischen Heimatdorf Cervera bei Lleida auf die Insel. Sein Vater starb an Krebs, als er sechs war. „Meine zwei Schwestern und ich hatten eine harte Jugend. Mallorca war für uns in der Provinz damals wie Amerika. Wir dachten, dort ist alles möglich." Benjamin Aige de Larrocha hatte eine Ausbildung zum technischen Zeichner gemacht und fand eine Anstellung in einem Architektenbüro zu der Zeit, als Mitte der 60er-Jahre der Tourismus auf Mallorca zu boomen begann. Ein Hotel nach dem anderen eröffnete, und wer keine eigene Band hatte, die Abend für Abend die Urlauber unterhielt, der konnte eigentlich gleich wieder zumachen. „Es wurden Unmengen an Musikern gebraucht, und weil es die auf der Insel nicht gab, haben viele junge Männer begonnen, ein Instrument zu lernen und sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun."

Wie er seine Bandkollegen traf, daran erinnert sich Aige de Larrocha heute gar nicht mehr genau. Er legte sich eine Bassgitarre zu, seine Kollegen trugen Schlagzeug, Gitarre und Klavier bei. Später kam noch ein Saxofon hinzu. „Wir haben uns ,Los Petirrojos' (Die Rotkehlchen) genannt und wurden quasi von der Straße weg engagiert", erzählt Aige de Larrocha. Er habe nicht eine Stunde Unterricht genommen, sondern habe sich alles selbst beigebracht. Dank seiner sonoren Stimme wurde er schnell Frontmann der Gruppe. „Vielleicht haben mir ja meine Gene etwas geholfen", sagt er mit einem Lachen. Seine Tante war die renommierte Pianistin Alicia de Larrocha, die unter anderem drei Grammys gewann und 2009 im Alter von 86 Jahren starb.

Als Vorgruppe bei den Verbenas

„Los Petirrojos" spielten zunächst vor allem im großen Grillrestaurant Son Termes in Bunyola, aber dann auch in zahlreichen Hotels auf der ganzen Insel. Und weil sie immer bekannter wurden, engagierte unter anderem das Rathaus von Palma die Gruppe für die damals hochklassig besetzten Konzerte bei den Sommer-Verbenas. „Wir haben da als Vorgruppe von ,Los Javaloyas' und anderen damaligen Größen gespielt." Sogar Musiker vom Format eines Julio Iglesias seien seinerzeit bei den Konzerten etwa in Felanitx aufgetreten. „Damals gaben die Gemeinden irre viel Geld für diese Konzerte aus", sagt der 75-Jährige. So kamen „Los Petirrojos" teilweise auf 400 Auftritte im Jahr. „Und nebenbei arbeitete ich ja noch als technischer Zeichner."

Irgendwann reichte es dann aber seiner Frau, mit der er drei Töchter hat. Sie wollte ihren Mann auch ab und an mal daheim antreffen. Das hieß für ihn um 1980 herum, dass er mit der Musik aufhören musste. Was auch positive Aspekte hatte: „Ich konnte irgendwann ,Qué viva España' nicht mehr hören, aber die Urlauber verlangten es nun mal jeden Abend." Das typische Leiden eines Berufsmusikers. Doch er hatte ja noch einen anderen Job, stellte die Bassgitarre gut verpackt in eine Ecke und ließ sie ruhen.

Als Aige de Larrocha vor zehn Jahren in Rente ging, holte er das Instrument wieder hervor. Bald merkte er, dass er die Musik mehr vermisst hatte, als er sich eingestehen wollte - und dass er wieder vor Publikum singen wollte. „Mit einer Bassgitarre ist man aber stark eingeschränkt, deswegen habe ich mir eine E-Gitarre gekauft, da gibt es viel mehr Repertoire." Auch dieses Instrument brachte er sich selbst bei. Zunächst übte er auf seiner Terrasse in Badia Blava, um die Reaktion der Nachbarn zu testen. Als diese nicht protestierten, sondern ihn im Gegenteil ermutigten, sprach Aige de Larrocha die Verantwortlichen von Seniorenheimen an. Die waren von der Idee des Rentners angetan, und seitdem tritt Aige de Larrocha mehrmals im Monat in insgesamt fünf verschiedenen Seniorenresidenzen auf.

Jetzt kann der Katalane endlich spielen, was er will. Und er sagt: „Nie in meinem Leben habe ich besser gespielt als heute." Langeweile kommt bei seinem Repertoire nicht auf. Er hat rund 1.000 Lieder für sich arrangiert. Jeden Tag setzt er sich etwa zwei Stunden in seine Garage und übt. „Das ist jetzt meine Droge", sagt er. Dabei spielt ihm die moderne Technologie in die Hände. Aige de Larrocha hat ein beinahe kindliches Lächeln im Gesicht, wenn er von seinen neuesten Errungenschaften erzählt. „Hier, das ist einer der besten Verstärker, die es zurzeit auf dem Markt gibt, der wiegt nur drei Kilo." Dazu hat er sich eine kleine Kiste geholt, mit der er bei Bedarf seine Stimme mit Hall verstärken kann. Er muss nur mit dem Fuß einen kleinen Knopf betätigen. Weil es diese Ausrüstung auf Mallorca nicht zu kaufen gibt, ist er guter Kunde des Online-Versandes beim Musikhaus Thomann aus der Nähe von Bamberg, einem der größten Händler in Europa.

Benjamin Aige de Larrocha sieht glücklich aus, wenn er Gitarre spielt. Und er animiert andere, es ihm gleichzutun. „Es könnten so viel mehr Leute etwas Sinnvolles für die Gesellschaft tun." Viele wüssten nach ihrem Rentenantritt nichts mit ihrer Zeit anzufangen und säßen auf dem Sofa herum. Und die Gitarre, die kann man auch im Sitzen spielen.