Es sollte der Abend von Clown Mauro werden. „Das ist meine Beerdigung", sagt der Italiener - am Anfang noch quicklebendig - leicht pikiert. Seine Freunde schieben ihn in seinem Totenbett wie in einem Karussell über die Bühne und stehlen ihm die Show. Besonders die ­Clownesse, eine kleinwüchsige Frau, heimst den Applaus der Zuschauer in der Porsche-Arena in Stuttgart ein. Sie begeistert das Publikum mit der darauffolgenden Nummer, in der sie mit Helium gefüllten Ballons über die Köpfe hinwegschwebt. Die Zuschauer johlen, als sie der Darstellerin einen Schubs an den Füßen geben, um ihr wieder Auftrieb zu geben.

Das Spektakel nennt sich „Corteo", was auf Deutsch so viel wie Umzug oder Leichenzug bedeutet. Es ist eine von derzeit 21 Shows, mit denen der weltbekannte Cirque du Soleil tourt. Dieser wird dem modernen Zirkus zugeordnet, der mit der traditionellen Tierdressur bricht und nur auf Akrobatik, Tanz und komische Elemente setzt. Die MZ durfte bei einer Vorstellung hinter die Kulissen des kanadischen Zirkus blicken, der vom 7. bis 16. August 2020 auch nach Palma (Karten ab 49 Euro unter cirquedusoleil.com) kommt.

Altes Stück, neu Interpretiert

Die Handlung ist schnell erzählt. Clown Mauro liegt liegt im Sterben. Seine Freunde und Wegbegleiter verabschieden sich von ihm. Das bietet den Rahmen, um mit artistischen und komischen Nummern auf das Leben des Italieners zurückzublicken.

„Corteo" ist kein neues Stück. Bereits 2005 feierte es in Montreal Premiere. Damals noch im klassischen Zirkuszelt. „Die Show wurde mit der Zeit immer größer", sagt Zirkus-Sprecher Maxwell Batista, der Journalisten der verschiedenen angereisten spanischen Medien herumführt. Nach Stuttgart gastierte der Zirkus in Mannheim und kommt Mitte Januar nach Spanien. „Die Logistik wurde mit der Zeit nicht mehr organisierbar. Daher wurde es 2015 für große Hallen umgeschrieben." 2018 feierte „Corteo" Comeback in New Orleans.

In 25 Lkw ist das Material zur Show heute unterwegs. „,Corteo' hat die meisten Requisiten aller unserer Shows", sagt Batista. 34 Aufbauhelfer beschäftigt das Unternehmen. Diese werden beim eintägigen Aufbau von 100 lokalen Arbeitskräften unterstützt. Der Abbau in drei Stunden geht wesentlich schneller.

52 Artisten aus 18 Ländern turnen und ­singen beim Spektakel. Acht Artisten waren schon beim Original von 2005 dabei. Der ­Argentinier Victorino Lujan ist einer davon. „Ich hatte Bedenken, dass ohne Zelt das ­Zirkusambiente ­verloren geht. Aber das haben die Direktoren gut gelöst", sagt der 52-Jährige. Die 40 Meter lange Bühne wird von einem Aufbau umrahmt, der an ein Zirkuszelt erinnert.

Lujan spielt den Giganten, den besten Freund von Mauro. Für diese Rolle braucht der 2,08 Meter große Hüne keine Stelzen. „Ich soll einen humorvollen Kontrast zu den zwei kleinwüchsigen Darstellern schaffen." Das Konzept geht auf. Ein Tanz mit der Clownesse, die trotz Podest gerade so über den dicken Bauch des Hünen ragt, sorgt für Lacher.

Zu den artistischen Höhepunkten des Stücks zählt die Nummer „Teeterboard", bei der vier Turnern Sprünge mit einer Wippe vollführen. Auch eine Tänzerin, die an einer schwebenden Poledance-Stange kreist, erntet viel Applaus. Im Vergleich zum Original hat sich nicht viel geändert. Neben der Poledance-Einlage ist noch eine Hula-Hoop-Nummer neu.

Ein Spanier, Kein Deutscher

„Die Ballade ,¿Por qué?' ist mein persönliches Highlight. Das geht unter die Haut", sagt Zirkus-Sprecher Maxwell Batista. Gesungen wird sie von David Repulles aus Barcelona, dem ­einzigen Spanier im Ensemble. Der Sänger ist fast das ganze Stück über zu hören. Er lebe beim Cirque du Soleil seinen Traum, erzählt ­Repulles. „Ich bin eigentlich kein professioneller Sänger. Ich war für die Zeitung ,Ara' als ­Layouter zuständig und habe am Wochenende in Bands gesungen." 2017 ging er zu Castings des Zirkus. „Das hatte ich schon vergessen. Dann kam diesen Sommer ein Anruf." Der ­Zirkus suchte dringend einen Sänger. ­Repulles hatte 20 Tage Zeit, um sein altes Leben zurückzulassen. „Ich hatte weder Frau noch Kinder. Das war meine Chance. Ich bin auf den Zug aufgesprungen."

Die Freude ist dem sympathischen 38-Jährigen schon bei der Probe anzusehen. Während die Turner sich mit teils grimmigen ­Blicken aufwärmen, singt Repulles quietschfidel mit Partnerin Amelie seine Nummern auf Spanisch, Italienisch, Französisch und in einer Fantasiesprache. Nach drei Monaten hat er sich schon ganz gut ein­gelebt. „Am Anfang habe ich mich vor Nervosität immer gefragt: Was machst du eigentlich hier? Mittlerweile kann ich in den Pausen schon überlegen, was ich am nächsten Tag anstelle."

Einen deutschen Artisten gibt es nicht. Der Ungar Laido Dittmar spricht aber fließend Deutsch. „Schon meine Eltern waren Zirkusleute. Auf den Reisen haben wir meist nur deutsche Sender im Fernsehen empfangen." Der 32-Jährige ist einer von drei Jongleuren. „Wir sind Individualisten. Für ,Corteo' hat uns der Zirkus aber als Team zusammengeführt."

Ein Traumjob?

„Es ist der Traum aller Artisten, einmal beim Cirque du Soleil mitzuarbeiten", sagt Dittmar. Die Realität ist aber gar nicht so traumhaft. „Bei einem anderen Zirkus zieht man seine Nummer durch, und das war's. Du bist selbst dafür verantwortlich, ob du deine Show verbessern willst." Der kanadische Zirkus ist hingegen perfektionistisch. „Die Direktoren denken pausenlos darüber nach, wie sie die Rollen weiterentwickeln können." Das bedeutet Arbeit.

Das Zirkusleben ist nicht jedermanns Sache. David Repulles genießt es als Neuling noch. „Ich habe viel Freizeit und kann die Städte besichtigen, durch die wir touren." Dittmar ist das Reisen schon etwas leid. „Bei einem klassischen Zirkus bleibt man wenigstens ein, zwei Monate an einem Ort. Mit der Arena-Tour sind wir jede Woche unterwegs."

Clown Mauro muss sich darum erst mal keine Sorgen machen. Er fährt zum Finale der Show mit seinem Rad in den Clown-Himmel.