Es heißt, wir Menschen gewöhnen uns an alles - an den Klimawandel, an neue Arbeitsplätze und mittlerweile gewöhnen sich einige sogar an die skurrilen und oft gegensätzlichen Regelungen des spanischen Alarmzustands. Wie sieht es jedoch mit der Tatsache aus, auf einem Stück Erde zu leben, das vollkommen von Wasser umgeben ist? Kann es passieren, dass man nach jahrelangem Mallorca-Leben trotzdem noch ab und an von einem sogenannten Inselkoller heimgesucht wird?

Kathi Mariella Karasek kann davon ein Lied singen. Die Deutsche, die ein Kosmetikinstitut in Santanyí führt, bekommt auch noch nach 13 Jahren auf Mallorca regelmäßig einen Inselkoller. „In dem Moment empfinde ich plötzlich einen Druck, weg von der Insel zu müssen. Alles hier fühlt sich dann zu klein an, und das Bedürfnis wächst, mehr erleben zu wollen", sagt Karasek. Besonders im vergangenen Jahr ist sie dann ­regelmäßig dank der günstigen Flugverbindungen aufs spanische Festland geflogen. „2019 war ich teilweise alle zwei Wochen weg und habe mir übers Wochenende Städte wie Sevilla und Madrid angeschaut."

Eine Frage der Perspektive

Wenn man hingegen mit Mallorquinern über das Thema spricht, stößt man meist auf Stirnrunzeln - viele verstehen nicht so recht, was mit „Inselkoller" gemeint ist, und der beste Beleg hierfür ist, dass es auf Mallorquinisch gar keine entsprechende Übersetzung für das deutsche Wort gibt. „Wenn überhaupt, bekomme ich einen Koller oder teilweise sogar Klaustrophobie, wenn ich lange Zeit das Meer nicht sehen kann", sagt Inés Sánchez aus Palma.

Für die Mehrzahl der Einheimischen stellt ihre Insel den Nabel der Welt dar, und die ­verhältnismäßig wenigen, die sich doch einmal in die weite Welt hinaustrauen, kommen oft mit Aussagen à la „Sí, molt guapo per allà, però com Mallorca no hi ha res" wieder (Ja, sehr schön dort, aber mit Mallorca kann es nicht mithalten).

Insulaner auf Reisen

Wie immer gibt es jedoch auch hier Ausnahmen. Guillem Alcover kommt aus Sóller, ­einem Dorf im Nordwesten Mallorcas, das für die Verschlossenheit seiner Einwohner bekannt ist. Trotzdem kennt der solleric das ­Gefühl, das ihm seine Heimat zu klein wird. „Besonders im Winter, wenn hier kaum eine Menschenseele unterwegs ist, bekomme ich schon manchmal Beklemmungen." Genau aus diesem Grund ist er schon immer viel gereist und hat Jahre im Ausland verbracht.

Ein besonderes Erlebnis war hierbei, auf einer winzigen, privaten Insel in Indonesien als Tauchlehrer zu arbeiten. „Ein Jahr lang habe ich auf diesem paradiesischem Fleck Erde gelebt, aber dann hat mich der Inselkoller richtig ­gepackt." Auf dem Fleckchen Sand und Vegeta­tion, das man zu Fuß in 15 Minuten umrundete, war es zwar wunderschön, aber man fühlte sich mit der Zeit einfach viel zu eingeengt, so Alcover. „Besonders die Gewissheit, dass ich nur mit einem Boot von der Insel wegkam, machte mir oft zu schaffen und führte teilweise zu Klaustrophobie." Ein wenig von diesem Unwohlsein verspürt er auch auf seiner Heimat Mallorca und speziell in der gegenwärtigen ­Situation, in der die Bewegungsfreiheit innerhalb Spaniens und Europas begrenzt ist.

Getrennte Paare leiden stärker

Ganz anders sieht das Eva Schulz. Die Ärztin, die seit ihrer Kindheit auf Mallorca lebt, ist eigentlich froh, dass zurzeit der Flugverkehr eingestellt ist. „Dann muss ich nicht andauernd zu Kongressen aufs Festland fliegen und kann auch mal ein paar Monate am Stück zu Hause genießen", sagt sie.

Einen Inselkoller hat die Deutsche in 30 Jahren auf Mallorca auch noch nie erlebt. „Klar hat man manchmal Lust zu verreisen, aber Beklommenheit, weil ich von Wasser umgeben bin und dringend mal raus muss - das kenn ich nicht", sagt Schulz. Dieses Gefühl des Eingesperrtseins beobachte sie derzeit allenfalls bei Paaren, bei denen der eine Partner auf der Insel wohnt und der andere außerhalb. Derzeit können sie sich womöglich monatelange nicht sehen. „Da kann man schon von einer Art Inselkoller reden - denn die Unmöglichkeit, sich ins Auto zu setzen und zu seinem Partner zu fahren, führt uns in diesem Fall die Abgeschiedenheit unserer Insel­lage doch sehr vor Augen", sagt sie.

Es zwingt einen ja keiner

Nicole Blay Franzke, Psychologin beim deutschen Facharztzentrum Palma Clinic, hatte noch keinen Patienten, der von einem Inselkoller heimgesucht wurde. „Ich denke, dass sich solch ein Symptom, wenn überhaupt, bei Menschen bemerkbar macht, die nicht aus freien Stücken auf die Insel gezogen sind - wie zum Beispiel bei einem Festlandspanier, der berufsbedingt auf Mallorca leben muss." Denn gerade diejenigen, die sich entscheiden, auf die Insel zu ziehen, wissen ja die Vorzüge Mallorcas zu schätzen, so Blay.

Von einem psychologischen Gesichtspunkt aus könne man auf einer Insel von ­Mallorcas Größe auch nicht wirklich von Klaustrophobie sprechen. „Klaustrophobie ­erleiden Menschen in beschränkteren, ein­gegrenzten Räumen, wie zum Beispiel auf ­einem Konzertgelände." Auf Mallorca könne man sich ja einfach ins Auto setzen und ans ­andere Ende der Insel fahren, so die Psycho­login. Wenn es denn die Pandemie und die ­Regierung zulassen.