"Toni Morales"

Eigentlich sollte der neue Krimi von Elke ­Becker im Frühjahrsprogramm kurz vor Ostern erscheinen. Wie bei so vielem machte die Corona-Pandemie auch hier einen Strich durch die Rechnung. Derweil schrieb die Wahlmallorquinerin und Erfolgsautorin an anderen Büchern weiter - und ein viel beachtetes Corona-Tagebuch auf Facebook. Nun also erscheint „Toni Morales und die Töchter des Zorns" mit dreimonatiger Verspätung. Es ist der Auftakt zu einer mehrteiligen Krimireihe. Im Mittelpunkt dieses Mal: das Verbrechen der niños robados, der „gestohlenen Kinder".

Toni Morales ist ein sympathischer Kerl und gewiefter Ermittler aus Madrid, der sich nach Mallorca versetzen lässt, um den Mord an seinem Halbbruder aufzuklären. Direkt nach Amtsantritt wird er auf der vermeintlich ruhigen Insel zu einer Leiche gerufen: Das Opfer am Fuße der Stadtmauer ist eine 90-jährige Nonne. Morales tappt erst im Dunkeln und sieht sich dann mit den Verstrickungen der katholische Kirche während des Franco-Regimes konfrontiert: Priester und Nonnen erklärten Neugeborene von politischen Gefangenen und Regimekritikern für tot und gaben sie gegen Geld zur Adoption frei.

Elke Becker, die hier unter dem Pseudonym Elena Bellmar schreibt, führt geschickt sowohl die Leser als auch den Kommissar in die Irre. Doch zum Glück hat Morales eine kluge Frau und vor allem eine clevere und unkonventionelle Schwiegermutter an seiner Seite. Nebenschauplätze greifen aktuelle Themen auf, etwa häusliche Gewalt. Besonders die Milieubeschreibungen von Palma und dem Landleben - herrlichstes Lokalkolorit und treumallorquinische Eigenschaften - ver­raten, dass die Autorin ihr „mörderisches Mallorca" bestens kennt. Die gebürtige Schwäbin lebt seit 2005 auf der Insel und hat bereits einen ersten Krimi („Das Mallorca-Kartell"), Kurzgeschichten („Mallorca-Schattengeschichten") und diverse auf der Insel spielende Liebesromane veröffentlicht.

In „Toni Morales und die Töchter des Zorns" ­beschäftigt sie sich nun mit einem noch längst nicht aufgearbeiteten Kapitel der jüngsten spanischen Geschichte. Seit den 30er-Jahren wurde schätzungsweise bis zu 300.000 Säuglinge und Kleinkinder ­ihren Familien weggenommen und in Adoption ge­geben. Bis heute leben nicht nur auf dem Festland, sondern auch auf Mallorca ­Menschen, die als Baby entführt wurden. Die Täter waren Priester, Nonnen, Ärzte und Krankenschwestern, und sie führten ­dieses ­lukrative Geschäft auch nach Francos Tod noch weiter. Der letzte dokumentierte Fall - man glaubt es kaum - stammt aus dem Jahr 1988.

Becker ist pessimistisch, dass das Geschehen eines Tages noch mal aufgeklärt wird. „Schon aufgrund eines Amnestiegesetzes wird es keine Gerechtigkeit geben." Im Nachwort fasst sie die bislang bekannten Fakten des spanischen Babyhandels zusammen. Die Selbsthilfegruppen in den größeren Städten seien auf sich ­allein gestellt. Es gibt noch nicht einmal eine zentrale Datenbank der bekannten Fälle. „Was wäre so schwierig daran?", fragt sich Becker.

Neben der Internet- und Literaturrecherche hat Elke Becker sich für Toni Morales ersten Fall auch bei der Ortspolizei in Sencelles und der Guardia Civil in Palma umgesehen, um die Arbeitsweise der mallorquinischen und ­spanischen Behörden genau beschreiben zu können. Da freut man sich bereits auf die Fortsetzung: Der zweite Teil von Toni Morales soll im nächsten Frühjahr erscheinen. Auch bei diesem wird aus der Realität geschöpft, und - nur so viel verrät die Autorin - diesmal sieht sich Toni Morales mit kriminellen Praktiken in der illegalen Ferienvermietung konfrontiert.

Fragt sich noch, wieso sie nicht unter ­ihrem eigenen Namen schreibt. Da sind die Gründe so vielfältig wie die Pseudonyme, ­unter denen sie ihre bislang zwei Dutzend ­Bücher verfasst hat. Zumal man etwa „Erotikromane besser unter geschlossenem Pseudonym" schreibe, sagt Elke Becker.

„Toni Morales"

Pendo Verlag, 320 Seiten,

Taschenbuch: 15 Euro, Kindle: 12,99 Euro

"Mariposa"

Dass Roland Winterstein eine blühende Fantasie hat, dürfte vielen regelmäßigen Leserinnen und Lesern der MZ bekannt sein: In seiner Kolumne „Ein Haus auf Mallorca" erzählt er seit 2016 einfallsreich und launig aus der Perspektive des deutschen Inselfans. Häufig ein wenig überzogen und verspielt, aber stets mit einem lebensbejahenden Grundton. Nun legt der Nürnberger Autor mit „Mariposa" auch ­einen mit viel schwarzem Humor gespickten Mallorca-Krimi vor.

Hauptfigur ist Javier Ramos, ein merkwürdigerweise stets in Flip-Flops auftretender Polizeikommissar und Surfer aus Artà. Gemeinsam mit seinem bis dahin eher als Büroklammer verschrienen Kollegen Carlos geht er einer Serie von Brandanschlägen nach, die in schneller Folge zu einer Serie von Morden wird. Die Ferieninsel ist erschüttert, die ­Zusammenhänge zwischen den Verbrechen sind über weite Strecken unergründlich - und das Ermittlerduo verhält sich ausgesprochen ­trottelig, verliert entscheidende Beweisstücke, übersieht Spuren und vergisst auch mal die eine oder andere Information.

Also schickt Roland Winterstein Verstärkung: In „Mariposa" ermitteln auf mehr oder weniger eigene Faust auch noch ein hinzu­gezogener Polizist aus Madrid, eine traumatisierte Polizistin aus Deutschland, ein Basketball spielender Polizei-Praktikant, ein ­tuntiger PR-Mensch, ein dubioser Tätowierer, ein Reporter der Mallorca Zeitung. Nicht alle werden es überleben.

Weitere Figuren sind, unter anderem, ein schnöseliger Immobilienhändler, ein deutsch-mallorquinischer Sexualstraftäter, ein offenbar von zu Hause entflohenes Mädchen, ein wohlhabender Unternehmer aus Port d'Andratx, ein MZ-Chefredakteur namens Milo Stockhausen. Herauskommt ein wildes Tohuwabohu, in dem der Autor selbst zuweilen den Überblick verliert, das aber schlussendlich dann doch in einem großen Knall mündet.

Auch wenn es über weite Strecken regnet, es ist Hochsaison auf Mallorca: Die immer wieder durch das Geschehen stolpernden, stets staunenden und manchmal auch dummes Zeug redenden Urlauber sind eine der ­gelungensten Pointen in diesem Buch. Und so bestätigt der Krimiautor die Qualitäten des Kolumnenschreibers. Roland Winterstein kann prägnant formulieren, und er hat diebischen Spaß daran, den Bogen zu überziehen. „Mariposa" ist somit um einiges schriller als das, was sonst so an mallorquinischem Mord und Totschlag auf dem Markt erhältlich ist.

„Mariposa"

Schardt Verlag, 289 Seiten,

derzeit nur als E-Book erhältlich, Kindle: 4,99 Euro