"Es war wohl der blödeste Zeitpunkt überhaupt für eine Auswanderung nach Mallorca." Kenny Matthias steht vor seinem kleinen Eisladen am Carrer Argenteria mitten in der Innenstadt von Palma. Normalerweise sollte er jetzt seine Curly-Eiskreationen zu Hunderten verkaufen. Doch in die Straßen der City haben sich wieder einmal kaum Menschen verirrt. Nur ab und zu kommen mal Spanier an seinem Lokal vorbei. Touristen dagegen sind derzeit eher die Ausnahme - und die wären eigentlich so wichtig für sein Geschäft.

Seit fünf Monaten ist Kenny nun auf der Insel - und erlebte den wohl schwierigsten Start, den sich ein Mallorca-Auswanderer vorstellen kann. Denn der gebürtige Magdeburger erreichte die Insel zusammen mit einen Freund am Morgen des 14. März, also genau einen Tag vor Beginn des Shutdowns. Losgefahren waren sie in der Schweiz, wo der 26-Jährige zuvor mit seiner Freundin gelebt hatte. „Wir hatten das im Vorfeld gar nicht mitbekommen, da wir so sehr mit unseren Vorbereitungen beschäftigt waren." Erst auf der Fahrt, irgendwo zwischen der Schweiz und Spanien, hätten sie dann erfahren, dass Spanien für den nächsten Tag eine strikte Ausgangssperre verhängt hatte. „Aber da war es schon zu spät." Umkehren sei für die beiden nicht infrage gekommen. „Zu diesem Zeitpunkt konnten wir ja nicht damit rechnen, dass das so lange dauern würde."

Am Ende waren es sieben Wochen, in denen auch Kenny und sein Kumpel die gemeinsame Wohnung in Palma praktisch nur zum Einkaufen verlassen durften. Dabei hatten die beiden noch Glück im Unglück. Denn sie waren mit einem vollgestopften Transporter auf die Insel gekommen. „Wir hatten ein Bett, eine Couch, eine Waschmaschine, einen Computer und einen Kühlschrank dabei", erzählt Kenny. Bei ihrer Anreise war ihre zuvor bereits angemietete Wohnung ansonsten komplett leer. „Und wir hätten in den wenigen Stunden, die wir noch bis zum Beginn de Ausgangssperre hatten, ja auch keine Möbel mehr bekommen." Die kurze Zeit, die ihnen blieb, nutzten die beiden schließlich, um zumindest die notwendigsten Lebensmittel einzukaufen.

Mit ihm Gepäck hatte Kenny zudem seine Playstation, die während der Ausgangssperre zur Hauptbeschäftigung des Magdeburgers werden sollte. Während sein Mitbewohner als Bauzeichner weiterhin für eine Firma in der Heimat im Homeoffice arbeiten konnte, war Kenny zum Nichtstun verdammt. Denn er durfte nicht einmal in das bereits angemietete Ladenlokal in Palmas Innenstadt.

Dort wollte er mit seinem Partner Roby Haile eigentlich einen Verkaufsstand für ganz besondere Eiskreationen eröffnen. Für die sogenannten Ice Curls, also Eisrollen, werden Sahne, frische Zutaten wie Obst oder auch Kekse und Soßen auf einer rund minus 30 Grad kalten Platte zerkleinert, vermengt und schließlich glatt verstrichen, um die gefrorene Masse dann mit einem Spachtel zu Röllchen zu formen. Mit Waffeln und Soßen werden die Eisröllchen dann im Becher zu einem Gesamtkunstwerk zusammengebaut. Der Freiburger Roby Haile hatte diese besondere Eisvariante eher durch Zufall bei Besuchen in Thailand und China kennengelernt. Als einer der Ersten überhaupt holte er die Idee nach Deutschland, wo er mittlerweile vier Läden führt.

Kenny hatte bei Instagram von den Läden erfahren und war sofort Feuer und Flamme. Die beiden trafen sich schließlich und beschlossen eine Partnerschaft. Zunächst war der Plan, dass der gelernte Logistiker ein Geschäft in der Schweiz eröffnen sollte. Doch dann kam beiden unabhängig voneinander die Idee, einen Laden auf Mallorca aufzuziehen. Rund ein halbes Jahr später war alles geplant und vorbereitet, ein passendes Ladenlokal gefunden und eine Wohnung angemietet. Die Handwerker waren bereits beauftragt, sich um den Ladenbau zu kümmern.

Am Osterwochenende sollte dann die große Eröffnung stattfinden. Auch Roby wollte dann eigentlich bereits mit Frau und Kindern eine Wohnung auf Mallorca bezogen haben, um beim Aufbau in der Startphase helfen zu können. Doch dann kamen Corona und der Shutdown - und alles stand still.

Ans Aufgeben hat Kenny selbst in dieser schwierigen Zeit nie gedacht, wie er sagt. „Ich wollte das Geschäft unbedingt aufmachen - es war und ist noch immer mein absoluter Traum, für den es sich zu kämpfen lohnt." Wenn er jedoch nur einen Tag früher angekommen und von der Ausgangssperre gewusst hätte, wäre er wohl schnell wieder zurückgefahren. „Die zwei Monate, in denen ich nichts am Laden machen konnte, waren schon hart."

Umso motivierter sei er dann gewesen, als die Ausgangssperre endlich wieder gelockert wurde. „Das Erste, was wir dann gemacht haben, war ein gutes Stück Fleisch in einem Restaurant essen, und endlich einmal an den Strand", erinnert sich Kenny. Denn das Meer hatten die beiden bisher nur am Anreisetag kurz gesehen. „Dass wir auf dieser tollen Insel waren, hat man ja kaum mitbekommen."

Zeit für ausgiebige Strandbesuche blieb den beiden aber freilich nicht. Denn nun galt es, die verlorene Zeit aufzuholen. Im Eiltempo wurden die Ladenmöbel, Kühlschränke, Theken und die so wichtige Eisplatte angeliefert, die Handwerker instruiert und der Laden vorbereitet. Bereits am 1. Juli konnte die Eisdiele eröffnet werden. „Uns war klar, dass wir dennoch mit angezogener Handbremse starten würden", sagte Firmenchef Roby Haile. Denn noch immer war die Insel fast komplett ohne Touristen.

„Unser Konzept lebt vom Show-Effekt und funktioniert überall dort, wo viele Menschen sind." Eigentlich sei die Innenstadt von Palma deshalb der ideale Standort für das Geschäft. „Doch wenn keine Touristen kommen, sieht es eben schlecht aus", so Roby. Und so wurden am Eröffnungstag gerade einmal rund 30 Eisportionen verkauft. „Normalerweise sind es an einem solchen Tag

mindestens 500", sagt Roby.

Auch für die kommenden Wochen rechnen die Betreiber nicht mehr mit deutlich zahlreicheren Kunden. „Das Geschäft ist diese Saison gelaufen", sagt Roby, der nun in der restliche Saison auf möglichst viele Tage hofft, an denen sich das Wetter bewölkt und weniger schön präsentiert. „Denn an solchen Tagen gehen die Menschen nicht an den Strand, sondern besuchen Palma - und

kommen dann auch zu uns zum Eis essen."

Finanziell werden die beiden das Jahr wohl irgendwie überstehen können. „Wir versuchen jetzt, an möglichst vielen Stellen zu sparen", sagt Roby. Da helfe es auch sehr, dass der Vermieter des Ladenlokals die Miete von monatlich 1.300 Euro derzeit etwas reduziert hat. „Wir gucken jetzt schon aufs nächste Jahr, in dem wir dann bei Caterings und Events dabei sein wollen", verrät Roby. „Wir stecken nicht den Kopf in den Sand, sondern versuchen alles rauszuholen, was geht." Damit die Auswanderung am Ende doch noch eine gute Wendung nimmt. /mw