Und plötzlich war alles anders... Der Ausnahmezustand des Corona-Jahres hat unser Verhältnis zur Insel auf die Probe gestellt. Wir fassen einige Erkenntnisse zusammen.

Wir Mallorca-Deutsche sind weniger sesshaft, als wir immer dachten.

Es gibt diese ominösen Schätzungen: 50.000, 60.000, vielleicht sogar 70.000 Deutsche lebten zumindest einen Teil des Jahres auf Mallorca. So sie das tatsächlich tun, waren sie 2020 größtenteils nicht da. Das Jahr hat gezeigt: Die, die ihren tatsächlichen Lebensmittelpunkt hier haben, sind in Wahrheit sehr viel weniger. Realistischer dürfte hier die Zahl der gut 16.000 zum Jahresende 2019 auf der Insel gemeldeten Deutschen sein. Die Pendler, die hin und herfliegen, sind noch einmal so viele - und womöglich noch einige mehr. Die Reisebeschränkungen ließen viele von ihnen in Deutschland bleiben. Den deutschen Geschäftsleuten fehlten plötzlich viele Kunden, den Gastronomen viele Gäste, den Ärztezentren viele Patienten und den Zeitungen viele Zeitungskäufer.

Wir Mallorca-Deutsche hängen in der Luft.

In der Theorie wussten wir es alle, jetzt ist es uns auch in der Praxis bewusst geworden: Mallorca als deutscher Lebensentwurf und deutsches Sehnsuchtsziel ist aufs Engste mit den guten Flugverbindungen verwoben. Werden sie eingeschränkt, gerät das ganze Modell schnell ins Wanken. Das gilt für jeden Einzelnen, aber eben auch für

die größeren Zusammenhänge, für die Immobilienbranche zum Beispiel oder natürlich für die Tourismuswirtschaft.

Wir Mallorca-Deutschen möchten diese Insel auf keinen Fall missen.

Bei allen Schwierigkeiten, auf die Insel zu gelangen, oder gerade wegen ihnen, haben diese Monate wieder unter Beweis gestellt, wie innig unsere Beziehung zu Mallorca ist. Diese Verbundenheit sprach aus der Begeisterung vieler Urlauber ob des Wiedersehens mit Strand und Finca im Frühsommer genauso wie aus der Sehnsucht vieler verhinderter Pendler. Sie zeigte sich auch in dem großen Interesse deutscher Medien an der Insel zu Zeiten des Lockdowns und zu Beginn der Feriensaison.Wir Mallorca-Deutsche interessieren nur bedingt.

Die breite deutsche Öffentlichkeit nimmt dennoch meist nur im Zusammenhang mit dem Thema Urlaub von uns Kenntnis. Das gleiche gilt mit Abstrichen für die mallorquinische Öffentlichkeit und Politik: Sie nehmen die Deutschen mehr als Touristen wahr denn als Inselbewohner. Relevant wurde das im Zusammenhang mit den spezifischen Problemen der Zweithausbesitzern: Man hatte nicht das Gefühl, dass ihre Klagen ob des über Monate hinweg erschwerten Zugangs zu ihren Immobilien überhaupt gehört wurden. Ohnehin hält sich das Interesse der Insel an der Welt der Mallorca-Deutschen (nicht der Urlauber) in Grenzen.Wir Mallorca-Deutsche können ziemlich unangenehm auffallen.

Die Außenwahrnehmung mag auch damit zu tun haben, wie wir mitunter auftreten. Der von so vielen unterzeichnete und von einigen dann auch wieder bereute offene Brief der Zweithausbesitzer an die balearische Ministerpräsidentin hat gezeigt, dass das Klischee des deutschen Besserwissers leider manchmal zutrifft. Zur Erinnerung: Darin wurde nicht nur damit gedroht, die Investitionen wieder abzuziehen, sondern auch nahegelegt, dass die Mallorquiner und Spanier sich in Sachen Pandemie-Bekämpfung doch bitte ein Beispiel an Deutschland nehmen sollten. Da liefe doch alles viel besser. Der Brief erntete zu Recht massive Kritik seitens vieler auf Mallorca lebender Landsleute.

Wir Mallorca-Deutsche sind halt Deutsche.

Klingt erst einmal nach einer Binsenweisheit, ist auch eine, verweist aber darauf, dass wir Vorstellungswelten aus der Heimat mit uns herumtragen und auch sonst eine Art Quintessenz der deutschen Gesellschaft sind. So war es denn auch nicht verwunderlich, dass es seit vielen, vielen Jahren - seit den Zeiten der NSDAP-Versammlungen des Nazi-Konsuls Hans Dede?, seit „Wurstkönig" Horst Abel und seinen Parteigründungsplänen? - erstmals wieder zu größeren politischen Kundgebung von Deutschen auf Mallorca kam. Es waren die Corona-Leugner und Querdenker, die sich da versammelten. Wie in Deutschland auch blieben sie letztlich in der Minderheit.

Wir Mallorca-Deutsche sind auch der Ballermann.

Egal ob man ihn nun verabscheut, ignoriert oder liebt, der Partyurlaub ist ein zentrales Element des ganzen deutschen Mallorca-Konstrukts. Es ist durchaus möglich, dass er mit den vereinten Kräften des Coronavirus, der Behörden, der Hoteliers und Immmobilienunternehmer herausgebrochen werden kann und nach 2020 nie mehr das sein wird, was er einmal war. Dieser Prozess aber, das zeigen die aggressiven Reaktionen auf die Schließungen von Bier- und Schinkenstraße und auf die Berichterstattung darüber, wird schmerzhaft sein.

Wir Mallorca-Deutsche leben nicht in einer Blase.

Viele von uns haben sich hier eingerichtet, arbeiten hier, zahlen hier unsere Steuern. Somit sind wir, wie alle anderen auch, von den auf Mallorca besonders harten gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise betroffen. Auch unsere Existenzen stehen auf dem Spiel. Wenn auch im Schnitt wohl besser gestellt als andere Zuwanderer, und sei es nur, weil wir den deutschen Wohlstand und Sozialstaat im Rücken haben, sind auch wir Mallorca-Deutschen auf ein funktionierendes Gesundheitssystem angewiesen, müssen auch wir nun vielfach um unsere Unternehmen und Unternehmungen oder gar um unseren Lebensunterhalt fürchten.

Wir Mallorca-Deutsche bringen uns ein und übernehmen Verantwortung

Wir stehen zu Mallorca, gerade auch in der Not: Auch das ist eine Erkenntnis dieses Jahres. Die von engagierten Mallorca-Deutschen getragene Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität ist beeindruckend: immer weiter ausgebaute Lebensmittelausgaben, viele Zehntausend Euro Spenden, Lastwagen voller Hilfsgüter - besser könnten wir gar nicht zeigen, wie viel uns an dieser Insel und ihren Menschen liegt.