In Cala Ratjada auf Mallorca gibt es kaum ein Grundschulkind, das seine Eltern nicht zielstrebig in eine bestimmte Richtung zieht, wenn es in die Nähe des Marktplatzes kommt. Es gibt kaum einen jugendlichen Draufgänger, der nicht gern mal die Pause an der Gesamtschule im Nachbarort Capdepera auf eigene Faust verlängert, um mit dem Moped kurz einen Abstecher zu dem Laden am Pinienplatz zu machen. Und es gibt kaum einen erwachsenen Ur-Mallorquiner, der - und sei es nur aus Nostalgie - nicht ab und an sein Bier statt im Supermarkt bei Buti kauft.

„Vamos al Buti", das sind in Cala Ratjada geflügelte Worte. Sogar als Verb ist butear schon im örtlichen Sprachgebrauch integriert. Trotz Corona: Buti ist immer einen Abstecher wert. Dabei ist Buti, wie er selbst beteuert, eigentlich nichts Besonderes, sondern nur der Besitzer eines mittelgroßen Kiosks, der Generationen von Dörflern anzieht mit - ja, womit eigentlich?

Streng genommen heißt Buti in Wahrheit Tomeu Servera, auch wenn ihn schon seit Ewigkeiten niemand mehr so nennt. „Den Spitznamen habe ich, weil alle meinen Vater früher butifarrón gerufen haben, er war dick und klein wie die Wurst", sagt Buti und wiegt den Kopf. Streng genommen heißt auch sein Kiosk offiziell anders: „Llepulies", das mallorquinische Wort für „Süßigkeiten". Doch solche Feinheiten werden von den Anwohnern geflissentlich ignoriert.

Der heute 55-Jährige, dessen Familie seit vielen Generationen in Capdepera wohnt, war etwa 17, als seine Mutter sich entschied, das Hausfrauendasein aufzugeben. „Mein Großvater war noch von der alten Schule und fand, dass Frauen keine Unternehmen führen sollen. Aber er war damals schon tot. Kurz zuvor hatte ein Mann im Ort seinen Süßigkeitenladen aufgegeben, weil er in den Ruhestand gegangen war. Meine Mutter witterte eine Marktlücke und eröffnete das Llepulies."

Konkurrenz gab es damals wenig. „Die meisten Geschäfte in der Nähe waren Souve­nirläden", erzählt Buti. Jeder Urlauber sei damals mit einer Stierkämpfer-Figur oder einer kleinen Flamenco-Tänzerin im Koffer nach Hause geflogen - was man eben so kaufte, wenn man in Spanien im Urlaub war. „Heute läuft das anders, mittlerweile geben die Leute statt für Ramsch ihr Geld lieber für eine Cola oder ein Brötchen auf die Hand aus." Auch in dem Ladenlokal, in das das Llepulies einige Jahre nach der Eröffnung umzog - von der einen Ecke des Pinienplatzes in die andere - war zuvor ein Souvenirladen untergebracht. „Man kann sagen, dass meine Mutter auf das richtige Pferd gesetzt hat", sagt Buti.

Das Angebot geht mit der Nachfrage. Heute gibt es zumindest im Sommer zahlreiche Läden, die Snacks und Getränke zum Mitnehmen anbieten, Urlauber machen nur noch einen Bruchteil der Kunden bei Buti aus. Es sind vor allem die Einheimischen, die ganzjährig die Kassen klingeln lassen - wenn auch nicht immer mit sonderlich hohen Beträgen. Die Kinder sind vor allem von der großen Süßigkeitenauswahl fasziniert - ab fünf Cent Stückpreis gibt es kleine Leckereien. Da ist das Taschengeld gut investiert, denn Buti geht mit den Trends. „Gerade sind Fruchtgummis an-gesagt, die die Zunge blau färben. Alle laufen momentan mit blauer Zunge herum."

Und dann sind da die Backwaren. „Meine Mutter buk empanadas, coca mallorquina, cocarois und bunyols, praktisch bis zum letzten Tag." Als sie vor sechs Jahren an Krebs verstarb, musste Buti auf zugekaufte Ware ausweichen. Im eigenen Ofen werden aber seit jeher die Brote gebacken, die Buti den größten Umsatz bescheren.

Wer länger in Cala Ratjada wohnt, kommt nicht umhin, die selbst belegten bocadillos zu probieren. „Nachmittags fallen hier die Jugendcliquen ein und wollen Proviant für den Strandausflug oder einen Snack, wenn sie auf dem Marktplatz abhängen", so Buti. Die Auswahl an Wurst und Käseaufschnitt ist groß, für jeden seiner pubertätshungrigen Kunden schneidet Buti frisch auf, dazu gibt es hochwertiges Olivenöl und Rohkost.

An guten Tagen verkauft Buti gut 60 bocadillos. „Jeder Kunde kann selbst über den Belag entscheiden. Auch wenn ich mit meiner Meinung nicht hinterm Berg halte, falls das schon ausgefallen ist", sagt Buti.

Seine etwas schroffe, aber doch gutmütige Art kommt an. „Nicht wenige Kunden kommen wegen des Brötchens, bleiben aber den halben Morgen zum Plaudern hier." Vor Corona hatte er extra Höckerchen aufgestellt, damit die Redebedürftigen sich setzen konnten. Auch das eine oder andere Dosenbier wurde dann gerne direkt vor Ort geöffnet.

„Ich bin nicht nur Verkäufer, sondern auch Therapeut", sagt Buti. Zahlreiche Fälle von Liebeskummer hat er sich in all den Jahren angehört, zahlreiche Happy Ends hautnah miterlebt. „So ist das Leben, man kann nicht wirklich helfen, aber doch durch Zuhören unterstützen", so der 55-Jährige. Das sei ja gerade das Schöne. „Ich habe schon Kunden bedient, deren Kinder später ebenfalls bei uns kauften und die heute wiederum Kinder haben, die zu uns kommen."

Dass Corona den engen Kontakt zu seinen Kunden erschwert, kann Buti nicht bestreiten. „Ich glaube, es wird unsere Kommunikation langfristig ändern, und das nicht zum Besseren", befürchtet er. Nun machen es sich die Kunden vermehrt draußen auf der steinernen Fensterbank des Schaufensters bequem. Anders als die meisten Läden im Ort hat Buti in der Pandemie zu keinem Zeitpunkt ans Schließen gedacht. Ein Brötchen bei Buti ist auch in der Krise noch drin - und ein zungefärbendes Fruchtgummi sowieso.