Anmerkung: Dieser Artikel erschien erstmals im Januar 2021

Mallorca ist für viele Deutsche ein Ort, um noch einmal neu anzufangen. So auch für Lukas Bals. Der 31-Jährige lebte versteckt unter Polizeischutz in Deutschland. Jahrelang war er Täter, ehe er selbst ins Visier rechter Gewalttäter geriet. Bals war einer der führenden Köpfe der deutschen Neonazi-Szene, moderierte Pegida-Veranstaltungen und war der gefeierte Held im Gefängnis. Auf der Insel sucht er nun seine Ruhe und ein nazifreies Umfeld.

Der Einstieg in die Neonazi-Szene

Der Wuppertaler war ein typischer deutscher Heranwachsender. Abenteuerlustig, auf der Suche nach der eigenen Bestimmung und dem Kick. „Mit 20 Jahren bewegte ich mich eher in linken Kreisen. Freunde luden mich zu einer 1.-Mai-Demonstration ein", erzählt er. Die Stimmung gefiel ihm. Schreien, Pöbeln, Schubsen - genau nach seinem Geschmack. Dann nahm er über Bekannte 2012 das erste Mal Kontakt zur rechtsextremen Szene auf. „Wie bei vielen Neuzugängen der Neonazis suchte ich nach Anerkennung. Dort war ich ­allein durch meine Geburt in Deutschland schon etwas wert. Ich musste nichts geleistet haben im Leben."

Das Gruppengefüge gab ihm Halt. Seine „Kameraden" brachten ihm das rechte Gedankengut nahe. Er hinterfragte es nicht. „Man hätte mir alles erzählen können. Ich hatte zuvor kaum Kontakt zu Ausländern und keine ­Ahnung. Gleichzeitig beschwert man sich nicht, man will ja schließlich der Gruppe zugehören. Nach und nach glaubt man dann an die ausländerfeindlichen Parolen, wenn man sie oft genug schreit." Freunde und Familie wandten sich von Lukas Bals, dem Neonazi, ab. „Das war mir egal, ich hatte ja eine neue Familie. Kameraden, die füreinander einstehen."

Aufstieg in der Rangordnung

Stück für Stück arbeitete sich Bals in der Rangordnung hoch. Der eloquente Mann wurde Redner bei Demonstrationen, verteilte Flugblätter, warb an Schulen neue Mitglieder an. Dabei blieb es nicht. „Ohne Gewalt läuft es nicht. Es ist ein Prozess der Entmensch­lichung. Ich habe keine andere Person angegriffen, sondern den Feind", sagt er.

Schon vor seiner Neonazi-Zeit wanderte er 2010 nach einer Kneipenschlägerei das ­erste Mal für zehn Monate ins Gefängnis. „Ich habe viele Straftaten begangen, oft bin ich glimpflich davongekommen. Meist hatte ich gleichzeitig drei bis vier Anklagen gegen mich", sagt er. 2014 zog Bals nach Dortmund, in die „stärkste Neonazi-Szene Deutschlands". Er trat der Partei „Die Rechte" bei, die in den Dortmunder Stadtrat gewählt wurde. Politiker anderer Parteien wollten den Neonazis den Weg beim Einzug ins Gebäude versperren. In der einen Hand eine Flasche, die andere zur Faust geballt, boxte sich Bals den Weg frei. Das Bild schaffte es bis in die „New York Times".

Umzug nach München

Ende 2015 musste der Wuppertaler erneut für vier Monate ins Gefängnis. „Zu Weihnachten erhielt ich Post aus aller Welt. Neonazis aus Neuseeland munterten mich auf, durchzuhalten. Die Szene will einen bei der Stange halten", erinnert er sich. Zwei Berufsausbildungen hat Bals abgebrochen, auch weil die Arbeitgeber von der rechten Gesinnung Wind bekamen. Den als Neonazi Abgestempelten wollte niemand mehr einstellen. Durch die vielen Bußgelder der Straftaten häuften sich die Schulden.

Bals zog nach München, wo er in einer von Rechtsextremen geleiteten Spedition einen Job bekam. „Direkt am ersten Tag hat mich der Chef auf eine Pegida-Demo ­mit­genommen." Auch hier wurde Bals schnell zum ­Redner und Anführer. „Pegida- und ­AfD-­Veranstaltungen nehmen sich gegenüber Nazi-Treffen nicht viel. Es sind dieselben rechtsextremen ­Parolen", sagt er.

Die Zweifel kommen

2017 seien ihm erste Zweifel gekommen, sagt Bals. „Die Leute bei Pegida waren nicht mehr die Außenseiter und Hooligans. Das waren Snobs. Ich habe mich erstmals hinterfragt. Schlüsselmoment war eine Rede von AfD-Chef Alexander Gauland. Ich fragte mich, ob ich eigentlich für das stehe, was ich da gröle, oder ist es nur der Gruppenzwang?" Hinzu kam eine private Krise, seine Freundin hatte ihn verlassen. Bals hatte niemanden, mit dem er über seine Sorgen und Probleme reden konnte. „Gegenüber den Nazis darf man keine Schwäche zeigen. Das passt nicht in das Männlichkeitsbild. Dabei habe ich zu Hause geweint und Selbstmord gegoogelt", sagt er.

So wurde er zum Aussteiger

Ein Aussteigerprogramm half ihm. Bals zog in die Nähe von Köln und bekam einen normalen Job. Seine rechtsradikalen Täto­wierungen ließ er sich überdecken. Als er sich ­wochenlang nicht bei seinen Kameraden ­meldete, war den Rechtsextremen klar, dass sie ­einen der Ihren verloren hatten. Doch so ­einfach ist das nicht. „Ich wurde als Verräter ­beschimpft. Gegen meine Familie und mich wurden Morddrohungen ausgesprochen." Der Wuppertaler kam in Polizeischutz.

„Das Ringen um den Ausstieg ist ein zäher Prozess, der sich über Jahre erstrecken kann. Und nicht immer ist er von Erfolg gekrönt", schreibt die Bundeszentrale für politische ­Bildung. Das weiß auch der ehemalige Neo­nazi. „Die Rückfallquote ist hoch", sagt er. Zumal ihm nicht alle seinen Ausstieg abkaufen. Er inszeniere sich als Opfer, wirft ihm Tobias Schmidt, Chef einer antifaschistischen Organisation in Dortmund, gegenüber der Zeitung „Neues Deutschland" vor. „Bals' Weg pflastern gebrochene Knochen und Leute, die teilweise bis heute traumatisiert sind, weil sie von ­Nazis durch die Straßen gehetzt wurden. Glaubwürdig ist nur, wer sich seinen Weg zurück verbaut und Brücken abbrennt."

Knochen habe er nie gebrochen, meint Bals. Seinen Weg zurück habe er sich dadurch verbaut, dass er mit der Polizei kooperiert. „Ich schäme mich heute für mein altes Ich und ­kläre darüber auf, wie abartig Rassismus ist. Das sehe ich als meine Aufgabe an. Zum Teil habe ich mich auch schon mit meinen früheren Opfern getroffen."

Nach Mallorca ausgewandert

2018 zog der Aussteiger auf die Insel, wohin schon zuvor seine Mutter ausgewandert ist. Er hat sich mit ihr versöhnt. „Sie ist wieder stolz auf mich. Ich wollte ein neues ­Leben beginnen und fühlte mich auf Mallorca sicherer." Im Megapark fand er einen Job als Flyerverteiler. Er durfte ihn auch behalten, als ehemalige Gefährten ihn bei der Geschäftsleitung als Aussteiger entlarvten. „Sie hatten dann zwar ein Auge auf mich, wollten aber auch meine Hilfe im Kampf gegen Nazis. Die spanischen Türsteher haben schließlich keine Ahnung von den rechtsradikalen Symbolen."

In der Sommersaison wimmelt es laut dem 31-Jährigen an der Playa vor Rechtsextremen und Sympathisanten. „Ich nenne sie besoffen rechts offen. Das sind Leute, die in der Disco den Hitlergruß zeigen. Im Juni gibt es am Ballermann teilweise mehr Nazis als in den deutschen Großstädten." Der Aussteiger will ein Bewusstsein dafür schaffen und in den Playa-Lokalen für Anti-Nazi-Plakate sorgen.

Sicher vor Angriffen ist er auch auf der Insel nicht. Seitdem er im vergangenen Jahr mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen ist, erhält er wieder täglich Morddrohungen. Schon vorher haben immer wieder Neonazis ihren alten Kameraden entdeckt und beschimpft, einmal am Strand sogar angegriffen. „Es ist bezeichnend, dass mir in dem Fall ausgerechnet ein Pakistaner geholfen hat, also quasi einer meiner früheren Feinde", sagt Bals.