Die Bauern zählen auf dem Schachbrett bekanntlich zu den schwächsten Spielfiguren. Sie sind nicht nur optisch kleiner gestaltet als König, Turm oder Dame, sondern dürfen auch lediglich in sehr beschränkten Zügen über das Spielfeld bewegt werden. Dennoch schaffte es einer dieser Bauern in Spanien vor Kurzem ganz weit nach vorn.

"El peón" (spanisch für den Bauern beim Schach, Anm.d. Red.) heißt das Buch des katalanischen Schrift­stellers Paco Cerdà, das unter anderem den nationalen Premio Cálamo für das beste Buch des Jahres 2020 gewann. Es erzählt die Geschichte des mallorquinischen Schachgenies Arturo ­„Arturito" Pomar (1931-2016), der mit fünf Jahren das Spiel erlernte, sich als 15-Jähriger erstmals zum spanischen Meister krönte - und von da an als Schachsport-Wunderkind in Spanien Geschichte schrieb. Zu großer Beachtung und Anerkennung im Ausland kam Pomar bei den internationalen ­Meis­terschaften in Stockholm 1962, als er der US-Schachlegende Bobby Fischer als einziger ­Finalteilnehmer ein Remis abringen konnte.

Schach ist derzeit schwer angesagt

Dass das Buch „El peón" seit Wochen auf den Bestsellerlisten in Spanien zu finden ist, liegt allerdings nicht allein an der außergewöhnlichen Geschichte seiner Hauptfigur. Schach ist derzeit schwer angesagt. Auslöser für das plötzlich erwachte Interesse an dem strategischen Brettspiel ist die vom Internetstreaming-Anbieter Netflix ausgestrahlte Filmreihe „Das Damengambit", die es mittlerweile in 63 Ländern weltweit auf Platz eins der beliebtesten TV-Serien geschafft hat. „Sicherlich hat die Popularität der Serie dazu beigetragen, dass viele Menschen sich für mein Buch interessieren", sagt Autor Paco Cerdà. Er selbst habe sich „Das Damengambit" noch nicht angeschaut, dafür aber dessen gleichnamige literarische Vorlage von Walter Tevis gelesen.

Das ist die fiktive Geschichte von Beth ­Harmon, die in den 50er-Jahren als Waisenkind aufwächst, mit acht Jahren Schachspielen lernt, um anschließend als heranwachsendes Genie die besten Spieler der Welt, einem nach dem anderen, schachmatt zu setzen. „Die Ähnlichkeiten zwischen der fiktiven Romanfigur Beth Harmon und dem realen Arturito Pomar sind fast verblüffend", meint Paco Cerdà. Denn auch seine Hauptfigur sei auf eine gewisse Art ein Waisenkind gewesen. „Pomar wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, und galt als schüchternes, introvertiertes Kind, für den das Schachspiel vor allem ein mentaler Rückzugsort war." Statt wie alle anderen professionellen Turnierspieler habe der Mallorquiner nie einen Manager, Berater oder Privattrainer an der Seite gehabt. „Allein aus diesem Grund verdienen seine Erfolge höchste Anerkennung", so der Autor.

Auf dem politischen Schachbrett nur ein Bauer

Cerdà sieht sein Buch allerdings weniger als Würdigung für die sportlichen Verdienste des später nach Katalonien umgesiedelten Mallorquiners. „Mir ging es in erster Linie ­darum, zu beleuchten, wie das Franco-Regime die Erfolge von Pomar für seine Propaganda-­Zwecke benutzte. 2017, also rund ein Jahr nach Pomars Tod, stieß ich bei einer Archiv-Recherche auf einen Beitrag des ,NoDo', einer damaligen Wochenschau, die nichts anderes als ein Propaganda-Instrument der Regierung war. Das Bild von dem in die Kamera lächelnden Franco und dem danebenstehenden, vollkommen teilnahmslos blickenden Pomar weckte mein Interesse", erzählt Cerdà.

Ob Pomar sich freiwillig vor den Karren der Faschisten spannen ließ? „Nein. Er selbst hat in vielen Interviews immer wieder sein Desinteresse an der Politik betont. Pomar war auf dem politischen Schachbrett seiner Zeit nur ein Bauer. Als Turm, Läufer oder Springer für König oder Dame in die Schlacht zu ziehen, das wäre für ihn wohl niemals infrage gekommen." Cerdà führt in seinem Buch ­ähnliche Beispiele von populären Stars der Zeit auf, die ebenfalls, und ohne dass es ihnen selbst bewusst war, für politische oder wirtschaftliche Interessen benutzt wurden. ­„Bobby Fischer bezeichnete Arturito Pomar nach dessen Ausscheiden beim Turnier in Stockholm als ,armen spanischen Briefträger'. Das war meiner Meinung aber nur ein Seitenhieb an Franco, der Pomar nach seiner Rückkehr als nationalen Helden darstellte."

Filmreife Schach-Erfolge

Dass Arturito Pomar irgendwann ähnlich populär werden könnte wie die fiktive Romanfigur Beth Harmon aus „Das Damengambit" scheint nicht unmöglich. „Ich habe bereits von einer spanischen Filmproduktionsfirma Anfragen für ein Drehbuch über Pomar er­halten. Sollte der derzeitige Schachboom anhalten, könnte vielleicht etwas draus werden", sagt Paco Cerdà.

Verdient hätte es der Mallorquiner aus sportlicher Hinsicht allemal. Mit insgesamt sieben gewonnenen nationalen Meisterschaften zählt er zu den erfolgreichsten Schachspielern in Spanien. Dessen Nationalmannschaft vertrat er bei allen zwischen 1958 und 1980 ausgetragenen Schach-Olympiaden. Im Alter von 18 Jahren wurden ihm der Titel „Großmeister" vom internationalen Schachverband verliehen. Arturito Pomar starb im Alter von 85 Jahren in San Cugat bei Barcelona.

Das Buch zum Wunderkind: Paco Cerdà, "El peón", Verlag Pepitas de calabaza, 256 Seiten, 18 Euro