Noel Siquier erinnert sich noch genau daran, wie sehr er sich in einer Partynacht im März 2012 ausnahmsweise wünschte, von dem Türsteher einer Diskothek in Palma de Mallorca nach seinem Ausweis gefragt zu werden. Erst drei Tage vorher hatte der mittlerweile 38-Jährige endlich seinen neuen Personalausweis bekommen. Statt seines Geburtsnamens Noemi stand dort nun Noel und beim Geschlecht ein „m" für „masculino". Auch das Foto in dem Dokument zeigte ihn eindeutig als Mann.

Was für viele nur ein Stück Papier ist, war Siquiers ganzer Stolz. Zwei Jahre Hormontherapie inklusive Umoperation zum Mann, viele schwierige Momente und schiefe Blicke hatte es ihn gekostet, endlich auch ganz offiziell ein Mann sein zu dürfen. „Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis es endlich so weit war", erinnert sich Siquier, der sich bis dahin beispielsweise vor dem Aufrufen im Wartezimmer des Gynäkologen mit seinem Frauennamen regelrecht gefürchtet hatte.

Künftig sollen Transsexuelle in Spanien deutlich weniger Hürden überwinden müssen, um ihr Geschlecht offiziell ändern zu können. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den die spanische Linksregierung Anfang Februar veröffentlicht hat. Laut diesem können schon Minderjährige ab 16 ohne psychologisches Gutachten, ohne zwei Jahre dauernde Hormontherapie und ohne Geschlechtsumwandlung ihre Daten ändern. Jugendliche zwischen zwölf und 16 Jahren bräuchten dafür künftig nur noch das Einverständnis ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten. Es ist eine Initiative, die auch innerhalb der Koalition von Sozialisten und Unidas Podemos sowie bei Feministinnen für Debatten sorgt und dem konservativen Lager ohnehin zu weit geht. Die oppositionelle PP bezeichnet das Projekt als „unnötig".

Künftig ohne Gutachten

Noel Siquier war zum Zeitpunkt seiner Geschlechtsumwandlung zwar schon längst erwachsen, dennoch habe sein Leben quasi von dem psychologischen Gutachten abgehangen, wie er sagt. „Ohne die Unterschrift der Psychologen und Psychiater hätte mir der Endokrinologe keine Hormontherapie verschrieben." Die Anpassung des Ausweises - der als Grundlage für die Änderung der Daten in vielen anderen Dokumente nötig ist - wäre damit in weite Ferne gerückt. Statt einen verpflichtenden Test mit zum Teil kurios wirkenden Fragen zu absolvieren, findet Siquier es viel wichtiger, dass Transsexuelle im persönlichen Gespräch mit Psychologen Unterstützung erhalten. ­„Viele brauchen Hilfe, da sie nicht verstehen, was mit ihnen los ist", so Siquier - ein Problem vor allem für junge Transsexuelle.

Eine Anlaufstelle ist die Abteilung für Geschlechtsidentität im Landeskrankenhaus Son Espases. Hier helfen Psychologin Nati Solivellas und ihre Kollegen gegenwärtig im Schnitt acht Personen wöchentlich weiter. Ein Großteil, wenn auch längst nicht alle unterzögen sich im Moment der rund zwei Jahre dauernden Hormontherapie, die für die offizielle Geschlechtsänderung derzeit obligatorisch ist. Aber „es ist gut möglich, dass sich jemand mit dem ­anderen ­Geschlecht identifiziert, ohne zwangsweise auch seinen Körper verändern zu wollen", weiß ­Solivellas. „ Jeder Fall ist anders." Wie auch viele andere Experten begrüßt sie den Gesetzentwurf - auch weil er Transsexualität nicht mehr als Krankheit versteht. Da unter anderem die Gutachten-Pflicht wegfällt, werden Trans­sexuelle demnach künftig nicht mehr als Patienten mit „psychischer Störung" angesehen.

„Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits 2018 ihre Klassifikation überarbeitet. Demnach gelten Transgender-Menschen nicht mehr als krank", ruft auch Tatiana Casado in Erinnerung. Sie ist Vorsitzende der Vereinigung Ben Amics, die sich für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen engagiert. Einige Länder, darunter etwa Dänemark, Belgien oder Portugal, setzten sich schon lange für eine freie Geschlechtsbestimmung oder den kompletten Verzicht auf Angaben dazu in Ausweisdokumenten ein.

Spanienweit einheitlich

In Spanien gelten in einigen Regionen fortschrittlichere Regelungen als in anderen. „Es kann nicht sein, dass man je nach Wohnort innerhalb Spaniens weniger oder mehr Rechte hat", kritisiert Casado. Deswegen sollten nicht nur die persönlichen Daten in offiziellen ­Unterlagen vereinheitlich werden. Auch bei Fortpflanzungstechniken wie künstlicher Befruchtung oder In-vitro-Fertilisation müsse es einheitliche Regeln geben.

Der Gesetzentwurf sieht nun auch Vergünstigungen für Unternehmen bei den Sozial­abgaben ihrer Mitarbeiter vor, wenn sie ­transsexuelle Menschen einstellen. Vor allem ­Transfrauen würden bei der Jobsuche häufig benachteiligt und diskriminiert, weiß Casado. „Acht von zehn Transfrauen haben keine Arbeit und können sich beruflich nicht weiterent­wickeln." In einzelnen Fällen scheitere eine Einstellung nur deswegen, weil der Pass noch nicht die aktuellen Daten enthalte. „Stellen wir uns einmal vor, eine Transfrau, die ein ,normales' weibliches Erscheinungsbild hat, durchläuft ein Vorstellungsgespräch, als Maria. Anschließend kommt heraus, dass Maria in Wirklichkeit Manolo heißt, nur weil sie es noch nicht ­geschafft hat, die Daten in ihrem Ausweis zu ­ändern. Daraufhin wird sie letztlich nicht eingestellt", gibt Casado zu bedenken. Auch Nati ­Solivellas verweist darauf, dass die Gesellschaft mit Transsexuellen nach wie vor Berührungsängste habe. „Spanien ist im Anerkennen von Diversität zwar schon ein ganzes Stück weitergekommen. Dennoch gibt es noch viel zu tun", so die Psychologin.

„Viele denken bis heute, wir wären Gestalten des Nachtlebens und würden uns Drogen reinziehen oder prostituieren", so Noel ­Siquier. Er hatte Glück: Sowohl seine Familie als auch sein Umfeld und sogar sein früherer Arbeitgeber (DHL) haben seine Umwandlung zum Mann sofort akzeptiert. „Wir haben, ehrlich gesagt, nur darauf gewartet, dass du dich endlich umoperieren lässt", hätten seine Freunde auf seine Ankündigung hin reagiert.

Stolz darauf, seinen Ausweis zeigen zu können, ist er mittlerweile nicht mehr. „Ich denke gar nicht mehr darüber nach, was das Gegenüber denkt", so Siquier. „Wenn du dich selbst nicht normal verhältst, wie kannst du dann verlangen, dass die anderen es tun?"