„Die beiden da drüben fliegen auch noch raus", sagt Martyn Smith. Es klingt ein klein wenig herzlos. Dazu noch im Vorübergehen. Gemeint sind allerdings nur zwei angestaubte Ritterrüstungen, die in einer dunklen Ecke des Restaurants herumstehen. „El Castillo" heißt das Lokal. Der Name ist Programm. Vor dem Restaurant, dessen aufgeklebte Steinfassade am oberen Ende mit Burgzinnen-Imitaten versehen wurde, parkt eine Steinschleuder. Oder sieht zumindest danach aus. Auch drinnen erwecken düstere, holzvertäfelte Wände, an denen gusseiserne Fackelhalter und Armschilder mit Pseudo-Wappen hängen, den Eindruck, man befinde sich in einer Taverne am Rande von Sherwood Forest. Kurz bevor Robin Hood durch die Tür schneit.

Martyn Smith kann über solch kindische Vorstellungen nur lachen. Burgen, Schwerter, Lanzen, Reiterkämpfe oder andere nach vergangenen, düsteren Zeiten aussehende Deko sind für den neuen Manager von Mallorcas Showbühne und Event-Finca Son Amar an der Landstraße nach Sóller kein Thema mehr. Over and out. Bereits in wenigen Wochen sollen die beiden Blech-Ritter durch bunte Neonröhren, mit LED-Licht umrahmte Spiegel und anderer Pop-Art-Inneneinrichtung ersetzt werden. „Wir wollen dem Lokal ein vollkommen anderes, jugendlicheres Image verpassen", sagt Smith. Und nicht nur dem. Das gesamte Landgut, inselweit bekannt für seine „Dinnershows", gleicht dieser Tage einer Großbaustelle.

Nur ein Stück weit vom Haupteingang entfernt, drehen Mischmaschinen in der Sonne, wuseln Arbeiter mit Zementsäcken, Spachtel und anderem Arbeitsgerät herum. Die Zeit drängt. Bereits Mitte Mai will Smith hier das Paradies eröffnen. „Eden" soll der neue Outdoor-Bereich zumindest heißen, ein manegenförmiges Außenlokal, mit Showbühne, Cocktailbar und Sitzplätzen für bis zu 300 Personen. „Wir bieten Besuchern hier wöchentliche Akrobatik-, Tanz und Performance-Aufführungen. Man kann hier aber auch mal zu DJ-Musik tanzen oder einfach nur chillen, etwas trinken und essen", erklärt Martyn das Konzept. Natürlich immer unter Einhaltung der geltenden Corona-Sicherheitsbestimmungen.

Links um die Ecke des Haupt­gebäudes entsteht ein zweiter Open-Air-Bereich. „El reino de Alcazár", eine Art Mini-Themenpark für Kinder. Vorbild sei Disneyland, sagt Martyn Smith etwas schnell, womöglich wissend, dass er damit dann doch ein wenig übertreibt. Das imaginäre Königreich mit Kletterschiff und anderen Attraktionen soll als infantiler Spielplatz in Zukunft verstärkt Familien nach Son Amar locken, die ihre Kleinen ganz entspannt im Auge behalten können, während sie in oder vor der ehemaligen Robin-Hood-Taverne stylishe Hamburger oder vegetarische Spießchen verdrücken.

Damiá Seguí würde bei diesem Anblick möglicherweise der Löffel aus dem Mund fallen. 1982 kam der mittlerweile verstorbene mallorquinische Unternehmer und Volleyball-Verrückte auf die Idee, das einstige Landgut aus dem 16. Jahrhundert samt seines über 135.000 Quadratmeter großen Grundstücks zu kaufen, um dort später mallorquinische Folklore-Abende für zahlende Hotelurlauber zu veranstalten. Deren Ablauf: Barbecue-Buffet im Fackelschein vor historischem Gemäuer, Rotwein-Flatrate und Flamenco-Tänzerinnen, die schön laut mit den Kastagnetten klapperten. Das Publikum war begeistert. Und der Grundstein für „Dinnershows" auf Mallorca gelegt. Seguí verfeinerte im Laufe der Jahre sein Angebot. So ließ er einen der Seitenflügel des Gutshofes zu einem riesigen Show-Theater mit bis zu 4.000 Sitzplätzen ausbauen. Geboten wurde dem Publikum, das zu 90 Prozent aus Busladungen voller Pauschalurlauber bestand, mehrmals wöchentliche Tanz- und Akrobatikshows. Davor wurde den Zuschauern ein Mehrgänge-Menü serviert. Eigentlich nicht viel anders als in Las Vegas.

2007 verkaufte Damiá Seguí seine Goldmine aus Altersgründen an eine englische Unternehmerin. Keineswegs eine Unbekannte. Margaret Whittaker, die mit ihren markanten Silbersträhnchen ein klein wenig an Cruella de Vil aus dem Disney-Klassiker „99 Dalmatiner" erinnert, und mit dem Vertrieb von Diät- und Naturheilmitteln ein Vermögen gescheffelt hatte, war bereits 1996 auf der Insel gelandet, um hier Geld auszugeben. Unter anderem für den Erwerb eines heruntergewirtschafteten Restaurants in erster Meereslinie bei Puerto Portals, das sich unter ihrer Führung in den glamourösen Mood Beach Club verwandelte. Danach war Son Amar dran.

„Irgendwann habe ich mit meinem Mann eine Dinnershow besucht", erzählt Whittaker beim Videocall-Interview mit der MZ. Location und Show habe sie dermaßen begeistert, dass sie ein paar Jahre später mit Damiá Seguí ins Geschäft kam.

Seit der Pandemie ist Son Amar wie alle anderen Event-Locations auf der Insel geschlossen. In die Schlagzeilen rutschte die Finca zuletzt durch die Nachricht, dass Hofherrin Whittaker einem Großteil ihrer Angestellten gekündigt habe. Das klingt herzlos. „Wir haben trotz einjähriger Zwangspause bis Anfang dieses Jahres mehr als 150 Mitarbeiter unter Vertrag gehabt. In Kurzarbeit. Allein die Abgaben für die Sozialversicherung beliefen sich auf mehr als 60.000 Euro im Monat. Das war irgendwann aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr tragbar", erklärt Whittaker.

Fakt sei, dass sie alle entlassenen Mitarbeiter aus eigener Tasche mit wöchentlichen Hilfszahlungen unterstütze. Und ihnen eine Perspektive biete, in den kommenden Monaten wieder neu anzufangen. „Son Amar befindet sich im Umbruch. Wir arbeiten daran, unser Event- und Entertainment-Angebot an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Das kostet Geld, Geduld und Zuversicht", so Whittaker. Sie sei die Letzte, die Son Amar im Stich lassen würde. „Auch wenn das kitschig klingt. Mein Herz hängt an dieser Finca."

Die Dinnershows würden weiter ein wichtiger Bestandteil des Angebotes, sagt Martyn Smith. Um den derzeit vorgeschriebenen Sicherheitsabstand für Zuschauer bei Großveranstaltungen auch in unabsehbarer Zukunft garantieren zu können, wird das Bühnentheater komplett neu gestaltet, die Abstände zwischen den Sitzplatzreihen vergrößert oder zu kleineren, exklusiven VIP-Inseln komprimiert.

Und da man schon mal dabei ist, wird auch die Bühnentechnik von Grund auf erneuert. Neben einer 46 Meter breiten und knapp vier Meter hohen LED-Leinwand auf beiden Seiten - „Die Größte in ganz Europa", sagt Mr. Smith - sollen Besucher nach der geplanten Wiedereröffnung im Herbst unter einem virtuellen Nachthimmel aus 8.000 Spotleuchten sitzen. Deren Lage und Stärke an der Decke werden per Internetstreaming in Echtzeit der gerade aktuellen Sternenkonstellation über Son Amar angepasst.