Als die MZ-Redakteurin Ana Pérez, die auf Mallorca lebt, zum vereinbarten Interviewtermin auf ihrem Handy anruft, meldet sich eine Männerstimme. Die 39-Jährige hat einen Hirntumor und benutzt ihr Handy aus Angst vor schädlicher Strahlung nur so selten wie möglich. Nimmt sie nicht ab, wird der Anruf automatisch auf das Mobil-telefon ihres Mannes umgeleitet. Doch die Krebspatientin hat nicht auf alle elektromagnetischen Felder in ihrem Umfeld einen Einfluss: die neuen Antennen für mobile Kommunikation, die Ende April auf einem nur zehn Schritte von ihrem Wohnhaus in Illetas entfernten Hotel angebracht worden sein sollen etwa. „Ich mache mir große Sorgen, dass dort bald 5G installiert wird. Ich kann mich nicht noch mehr Strahlung aussetzen", sagt Pérez, die auch gegenüber der zuständigen Stadträtin der Gemeinde Calvià schon ihre Bedenken über das ultraschnelle Handynetz, das weltweit auf 2G (auch GSM), 3G (UMTS) und 4G (LTE) folgen soll, kundgetan hat.

Aufregung im Netz

Doch längst nicht nur gesundheitlich angeschlagene Menschen wie Pérez sind anlässlich des geplanten Ausbaus des neuen Mobilfunkstandards auf der Inselgruppe besorgt. Erst Mitte März gegründet, verzeichnet die Facebook-Gruppe „Baleares Says No To 5G!!!" (Die Balearen sagen Nein zu 5G!!!) bereits knapp 7.200 Mitglieder. Scrollt man sich durch die Timeline, bekommt man neben vor 5G warnenden Artikeln durch die vielen Fotos und Videos aus verschiedenen Gemeinden schnell den Eindruck, als verwandle sich insbesondere Mallorca gerade in eine dichte Antennenlandschaft.

Dabei lohnt es sich, genau hinzuschauen: Als etwa eine Nutzerin das angeblich erst Mitte Mai aufgenommene Foto vom Hotel Portixol (siehe oben) in der Gruppe veröffentlicht, befeuern andere Mitglieder es zunächst mit Kommentaren wie „Das sind sicher 5G-Antennen" und „Dem Hotelbesitzer ist Geld offensichtlich mehr wert als Gesundheit" - bis sich zwei Frauen melden, die die Antennen schon 2017 dort gesehen haben wollen, eine mit Beweisfoto. „Eine Sache ist, gegen 5G zu sein (was ich auch bin), eine andere ist, Gefahren zu sehen, wo gar keine sind", mahnt sie. Die Urheberin des Portixol-Fotos ist mittlerweile aus der Gruppe ausgetreten.

Es ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie manche Balearen-Bewohner ihrem Unmut über die neue Technik Luft machen und lässt erahnen, wozu Desinformation über das Thema führen kann. Laut der Telekommunikationsingenieurin Loren Carrasco, die an der Balearen-Universität (UIB) zu Mobilkommunikation forscht, ist es derzeit für Laien und auch für sie selbst nicht möglich, 5G-Installationen von solchen vorheriger Technologien, etwa 4G, zu unterscheiden. „Es gibt zum einen ganz verschiedene Antennen-Arten, zum anderen befinden sich oft gleich mehrere an ein und derselben Stange", sagt Carrasco. Noch dazu würden viele Anbieter bereits existierende 4G-Installationen lediglich erweitern.

Zurück zum Portixol-Beispiel: Das offizielle Geo-Portal der spanischen Regierung (https://geoportal.minetur.gob.es/VCTEL/vcne.do, auf der Karte ganz nah an den entsprechenden Ort hinzoomen) zeigt an, dass die Installation dem Anbieter Telefónica gehört. Die technischen Daten unter „Detalle" sind für Laien leider nicht zu entschlüsseln. „5G" taucht jedenfalls an keiner Stelle auf. Auf Anfrage bestätigt ein Telefónica-Pressesprecher, dass es sich bei der Installation auf dem besagten Foto nicht um eine 5G-Antenne handelt. In der Anfangsphase des Ausbaus des neuen Netzes arbeite man mit dem sogenannten „Non Stand Alone" (NSA), das mittels der Verbindungen der 4G-Installationen funktioniere, und habe daher zunächst keine extra

5G-Antennen aufgebaut. Telefónica macht keine genauen Angaben zu den einzelnen Orten, verspricht aber den Balearen-Bewohner dank 5G schon bald von einer höheren Geschwindigkeit beim Datenaustausch profitieren zu können. Mit dem neuen Netz verbundene Geräte würden zudem weniger Energie verbrauchen als vorherige Technologien.

Auch Mitbewerber Vodafone bestätigt, dass seit Kurzem die Hälfte der Bewohner Palmas als einer von 21 Städten in Spanien Zugang zu der neuesten Mobilfunk-Generation haben. Wie neu das Phänomen ist, zeigt die Karte, in der bisher noch kein Bereich der Stadt entsprechend eingefärbt ist (zu sehen auf https://www.vodafone.es/c/conocenos/es/vodafone-espana/mapa-cobertura-movil/). Das Unternehmen wird sie in Kürze aktualisieren, heißt es.

Auf die Frage nach den Vorteilen der neuen Technologie nennt der Anbieter etwa den Einsatz von Sensoren in Fabriken, die automatisch Bescheid geben würden, Präzision beim Einsammeln der Ernte durch künstliche Intelligenz oder chirurgische Eingriffe aus der Distanz. Da mit dem neuen Netz 100-mal mehr Geräte verbunden würden, könnten in „intelligenten Städten" künftig auch etwa die Müllaufbereitung, die medizinische Versorgung oder die Rettungsdienste verbessert werden. Für den Einzelnen würde sich das neue Netz zum Beispiel positiv beim Herunterladen großer Dateimengen auswirken.

Wie in Wuhan?

Brauchen wir alles nicht, sagen die Gegner der neuen Technologie. Auf dem Sofa zu sitzen, und einen Film statt in einer halben Stunde in einer Minute heruntergeladen zu haben, sei „unnötiger Schnickschnack", findet der Event-manager Pep Ribas, der sich um die Umwelt, die Weitergabe persönlicher Daten und etwaige gesundheitliche Nebenwirkungen der Technologie sorgt. Wie auch bei vielen deutschen 5G-Skeptikern ist es nur ein kleiner Schritt zu den Verschwörungstheorien, die in den sozialen Netzen verbreitet werden. In seinem Blog bei der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca" erwähnt Ribas in einem Eintrag etwa, dass es doch mehr als kurios sei, dass ausgerechnet in Wuhan, einer der ersten Städte weltweit, die mit dem 5G-Netz bestückt wurde, das Virus ausgebrochen sei.

In einem offenen Brief wirft er der balearischen Landesregierung zudem vor, dass sie den Alarmzustand bewusst genutzt hätten, um heimlich Anlagen zu installieren. Von Ramon Roca, dem Zuständigen in der Balearen-Regierung, etwa fordert er mehr Information und Transparenz beim Ausbau des Netzes, dass etwa die Rathäuser der einzelnen Gemeinden informiert werden. Mehr als 30 offizielle Schreiben hat Ribas bereits verfasst, zudem hat er eine Unterschriftenaktion gestartet und für den 6. Juni eine friedliche Demonstration in Palma de Mallorca angemeldet, um den Ausbau von 5G auf den Balearen zu verhindern.

Eher schwächere Strahlung

Dabei bietet die aktuelle Faktenlage wenig Anlass für Alarmismus, sagt Loren Carrasco von der Balearen-Universität. Sie kann die ganze Aufregung nur schlecht nachvollziehen. 5G sei keine neue Erfindung, sondern vorhergehenden Netzen sehr ähnlich. Der Hauptunterschied sei, dass die 5G-Antennen kleinere Bereiche abdecken, weswegen mehr von ihnen benötigt werden und sie sich näher an den Handys befinden müssen. Dafür seien sie aber leistungsschwächer. Nicht nur für die an einem Hirntumor erkrankte Ana Pérez bedeute das: „Je weiter eine Antenne weg ist, desto mehr Leistung und damit Strahlung muss das Endgerät aufbringen, um das Signal der Antenne zu empfangen - etwa an einem Handy, das man sich direkt ans Ohr hält", sagt Carrasco. Dennoch sollte die Antenne, bei der immer auch die Ausrichtung eine Rolle spielt und die zertifiziert sein muss, nicht direkt neben dem Fenster oder im Garten stehen. Wer besorgt sei, könne die Strahlung in seinem Haus von einem Fachmann messen lassen.