Mallorca-Residenten und -Urlauber kennen es nur zu gut: das wohlige Gefühl, wenn die Sonne den ganzen Körper aufwärmt und nach dem Sonnenbad noch dazu einen schönen braunen Teint auf der Haut hinterlässt. Regelmäßiges Sonnen ist jedoch nicht nur schädlich für die Haut, sondern kann sogar süchtig machen. Dermatologen sprechen dann von Tanorexie (dt. Bräunungssucht). Der Begriff setzt sich aus dem englischen Wort für Hautbräunung (engl. tan) und Anorexia nervosa, dem Fachwort für Magersucht, zusammen.

Gestörtes Selbstbild

„Menschen, die an dieser Krankheit leiden, haben ein gestörtes Selbstbild. Sie folgen ständig dem Schönheitsideal, immer perfekt gebräunt zu sein", sagt der Dermatologe Joachim von Rohr von der Clínica Picasso. Vor allem Menschen, die sich exzessiv um ihr äußeres Erscheinungsbild sorgen, würden eher als andere dazu neigen, eine Bräunungssucht zu entwickeln. „Sie sind besessen, einen perfekten Körper zu haben, und lassen sich oftmals auch die Brüste operieren oder Botox spritzen", fügt die Psychologin Nicole Blay Franzke von der Palma Clínic hinzu.

Doch nicht nur das Äußere spielt bei der Bräunungssucht eine Rolle: Das Sonnenlicht regt die Vitamin-D-Produktion an. Zudem hat das Sonnenbad wegen der Wärme und des Lichts auf Körper und Seele einen wohltuenden Effekt, so Blay. Tanorektiker, die lange nicht in den Genuss dieses Gefühls kommen, könnten laut Alexandra Noguero, die als Psychiaterin im Krankenhaus Son Espases arbeitet, sogar Entzugserscheinungen bekommen, wie sie in einem Interview mit der Zeitung „Ara Baleares" erläuterte.

Besessenheit vom eigenen Erscheinungsbild gemischt mit diesem süchtig machenden Wohlfühleffekt führe dann zu Bräunungssucht. Tanorexie sei letztlich eine Sucht wie Mager-, Drogen- oder Spielsucht, so Psychologin Blay. „Die Menschen wissen, dass ihnen das Sonnenbaden schadet, wiederholen es aber immer wieder, da sie keine Kontrolle mehr über ihr Verhalten haben", sagt die 43-Jährige.

Offiziell als Störung klassifiziert sei Tanorexie dennoch nicht. Laut der Psychiaterin Alexandra Noguero gibt es allenfalls ein paar wissenschaftliche Publikationen, in denen der Begriff Tanorexie auftaucht und in denen die Autoren vorschlagen, das schädliche Verhalten in die Liste der Dysmorphophobien (Störung der Wahrnehmung des eigenen Leibes, Anm. d. Red.). Während das kritische Betrachten vermeintlicher körperlicher Mängel im Leben gesunder Menschen demnach keine Rolle spiele oder sie ihnen schlichtweg keine Beachtung schenken, würden Menschen, die an Tanorexie leiden, sich aufgrund dessen häufig schlecht fühlen. Oft würden die Sorgen zudem ihren

Alltag stark beeinträchtigen, weiß Noguero.

Kaum Patienten

Allerdings haben weder Noguero noch Blay bislang Patienten, die an Bräunungssucht leiden und daran arbeiten wollten. Dass sich die Menschen häufig aus Unwissen oder Scham keine Hilfe suchen, sei allerdings auch Teil des Problems, so die beiden Frauen. Selbst das

balearische Gesundheitsministerium hat keine Zahlen zu Menschen, die hierzulande an Bräunungssucht leiden.

Joachim von Rohr behandelt zwar ab und an mal Patienten, die sich, etwa weil sie in der Sonne eingeschlafen sind, starke Verbrennungen zugezogen haben, Tanorektiker jedoch würden sich bei ihm aber eher selten zu erkennen geben - „auch, um sich eine Moralpredigt zu ersparen", mutmaßt der Hautarzt. Dennoch: Der Unterschied zu normalen Sonnenanbetern ist laut dem Dermatologen sofort zu erkennen. „Die Haut von bräunungssüchtigen Menschen ist schwarz-braun. Jemand, der jahrelang in der Sonne schmort, hat zudem Hauterschlaffungen sowie sichtbare Veränderungen an der Haut, etwa Krebsvorstufen oder gar schon Hautkrebs", so von Rohr. „Die UVA-Strahlung lässt unsere Haut vorzeitig altern. Bei manchen Menschen hängt sie daher herunter wie Leder", fügt er hinzu.

Sonnenflecken könne man gut weglasern, ebenso Hautkrebsvorstufen. Die betroffenen Stellen werden etwa per photodynamischer Therapie mit einem speziellen Licht bestrahlt. „Das führt zu Entzündungen. So wird das kranke Gewebe abgestoßen", erklärt von Rohr. Die Technik funktioniere jedoch nur bis zu einem bestimmten Stadium der Hautschäden. „Einen weißen Hautkrebs etwa muss man herausschneiden", so von Rohr.

Hier gibt's Hilfe

Wer glaubt, an Bräunungssucht zu leiden, kann neben seinem Hautarzt auch einen Psychologen aufsuchen. Nur wenn sich der Sonnenanbeter auch des Problems bewusst ist und wirklich daran arbeiten will, können Nicole Blay, Alexandra Noguero und ihre Kollegen mit ihnen therapeutisch etwas bewegen. Dann entwickeln die Profis mit den Patienten gemeinsam Strategien, wie sie ihre Sucht nach brauner Haut und Sonne ändern und sich selbst kontrollieren können.

Nicht jeder strebt nach Bräune

Zu Nicole Blay kommen auch polnische, bulgarische oder tschechische Patienten. „Von ihnen sind nur wenige gebräunt. Schönheitsideale gehen eben auch immer mit der Kultur eines jeden Menschen einher", weiß die Psychologin. In Spanien oder auch Deutschland gilt (normales) Braunsein als gesund und sexy. „Wer braun ist, kann es sich auch leisten, in den Urlaub zu fahren", gibt von Rohr als einen weiteren Aspekt zu bedenken. Vor einigen Jahrzehnten noch war es genau umgekehrt: Die Blassen galten als die Reichen. Schließlich mussten sie offensichtlich nicht draußen auf dem Feld schuften.

So können sich Residenten und Urlauber schützen

Zunächst ist immer zu natürlichem Sonnenschutz zu raten, also einer Kopfbedeckung und der passenden Kleidung. Residenten, die ihren Hauttyp noch nicht kennen, sollten sich unbedingt von einem Hautarzt beraten lassen. „Wer auf Mallorca im Urlaub ist, sollte mit einem hohen Schutzfaktor beginnen und seinen Körper so langsam an die intensivere Sonneneinstrahlung gewöhnen", so Joachim von Rohr. Das Schutzprodukt sollte zudem wasserfest sein. „Wer aus dem Wasser kommt, muss dennoch nachcremen, denn nicht die ganze Creme bleibt haften", sagt der Hautarzt.

Wer dann ein bisschen Farbe bekommen hat, kann den Lichtschutzfaktor vorsichtig reduzieren. Je nach Sonnenempfindlichkeit eines Residenten oder Urlaubers empfiehlt von Rohr emulgatorfreie Produkte, also eher Gele oder Sprays statt Cremes. „Emulgatoren verstopfen die Poren, was zu Entzündungen führen kann", so von Rohr. Zudem rät er, 1.000 Milligramm Kalzium pro Tag einzunehmen. „Das erleichtert die Pigmentierung. Der Körper benötigt es für die Melatoninsynthese." Einmal pro Jahr sollte man zudem zur Vorsorgeuntersuchung zum Hautarzt gehen.