Es gab eine Zeit Ende Juni, Anfang Juli, da fragte sich Javier González, ob das System überhaupt funktioniert. Die Messungen in den vier Kläranlagen der Großgemeinde Calvià ergaben zu dem Zeitpunkt keinerlei Spuren auf Covid-19-Rückstände, wie der Geschäftsführer der kommunalen Stadtwerke Calvià 2000 berichtet. Doch dann Ende Juli ging es los: punktuelle Messungen in der Anlage von Bendinat, mal in der Anlage von Santa Ponça, mal in Peguera oder in der des Dorfes Calvià. Mal positive Werte, mal negative Werte, „die Kurve verlief in etwa parallel zu den Corona-Nachrichten in den Medien", so González.

Einerseits sind die Messungen in den Kläranlagen ein Projekt mit großem Potenzial, schließlich lassen sich hier theoretisch Covid-19-Rückstände für Gebiete, einzelne Viertel oder auch konkrete Gebäude zu einem Zeitpunkt nachweisen, wenn die betroffenen Bewohner selbst mangels Symptomen noch gar nichts von ihrer Infektion wissen. Andererseits fehlt es aber noch an der nötigen Erfahrung, um die gemessenen Werte auch richtig zu interpretieren. Was bedeutet es wirklich, wenn sich die Menge der gemessenen Rückstände plötzlich verzehnfachen sollte? Dass es auch zehn Mal so viele Infizierte gibt?

Die derzeit laufenden Pilotprojekte sollen die Grundlage für diese nötige Kalibrierung legen, also für einen Abgleich zwischen den Messungen in den Kläranlagen und den Positiv-Tests bei den Infizierten. Auf Mallorca werden derzeit in mehreren Anlagen Covid-19-Proben entnommen. Drei verschiedene Projekte sind am Start. Da wäre zum einen eine landesweite Initiative des spanischen Umweltministeriums, an dem 30 Kläranlagen beteiligt sind. Auf Mallorca ist dies die depuradora von Coll d'en Rabassa, die von Palmas Stadtwerken Emaya betrieben wird. Daneben nimmt auch der private Wasserversorger Facsa, der Konzessionen für den Betrieb in den Gemeinden Sóller, Sa Pobla und Santa Llorenç hält, eigene Covid-19-Studien vor. Bei den Probenentnahmen in den Anlagen von Calvià schließlich handelt es sich um ein drittes Projekt. Die touristische Großgemeinde wollte eigentlich bei der Initiative des spanischen Umweltministeriums dabei sein, wurde aber letztlich nicht für die Stichprobe ausgewählt.

Allen Projekten ist gemein, dass nicht das infektiöse Virus selbst in den Proben entdeckt wird, sondern dessen sogenannte RNA - ein Biomolekül, das als Träger der Erbinformation dient und über die Kanalisation in der Kläranlage landet. Ohnehin haben Studien inzwischen nachgewiesen, dass Infizierte weniger die Viren als das Viren-Erbgut beim Toilettengang ausscheiden. Für die Angestellten in der Kläranlage sei die Probenentnahme deswegen nicht gefährlich, betont Gónzalez - jedenfalls nicht gefährlicher als allgemein der Umgang mit ungeklärtem Abwasser, für den umfangreiche Schutzmaßnahmen gelten.

Hinzu kommt: Die Entnahme von Abwasser-Proben gehört in einer Kläranlage ohnehin zum Protokoll, um Verschmutzung und Qualität des Wassers zu messen. Aber auch auf Krankheitserreger wird getestet - schließlich spiegelt das Abwasser einer Kläranlage generell den Gesundheitszustand der angeschlossenen Haushalte wider. Und das gilt für Viren allgemein, aber auch für Spuren von Medikamenten oder Drogen, die die Bewohner einer Stadt einnehmen - und wieder ausscheiden. Alles lässt sich am Ende nachweisen.

Die Gemeinde Calvià arbeitet bei dem Projekt mit den Stadtwerken von Barcelona sowie der dortigen Universität zusammen. In der Pilotphase wurden in den Kläranlagen von Calvià 36 Proben entnommen und zur Analyse aufs Festland verschickt. Inzwischen läuft das Projekt im regulären Betrieb, weitere 160 Proben stehen an. Dabei ist es nicht so, dass ein Mitarbeiter einen Messbecher in die trübe Brühe taucht. Vielmehr entnimmt ein programmiertes Messgerät über einen Zeitraum von 24 Stunden jeweils stündlich kleine Mengen Wasser, die dann vermischt werden, um Messfehler auszugleichen. Täglich um 16 Uhr steht dann ein Kurier auf der Matte, um die mit Kühlplatten ausstaffierte Probe abzuholen und zur Analyse nach Barcelona zu bringen.

Während die Kläranlage von Bendinat vor allem die Abwässer einheimischer Wohnsitze aufnimmt, fließt in die große Anlage von Santa Ponça auch die trübe Brühe der Hotels von Magaluf und Palmanova. Geschäftsführer González ist vorsichtig bei der Interpretation der bisherigen Daten, aber soviel lässt sich sagen: Bei den Werten habe sich durchaus bemerkbar gemacht, als britische Urlauber nach dem Lockdown wieder nach Magaluf kamen, und sei es auch nur für kurze Zeit. Und „wenn wir die Werte von Woche zu Woche vergleichen, spiegelt sich auch wider, wie die strengeren Restriktionen greifen." So berichtet González für Ende vergangener Woche von sinkenden Covid-19-Werten im Abwasser der Gemeinde, als auf den Balearen gerade neue Höchstwerte der gemeldeten Neuinfektionen in der offiziellen Statistik der Landesregierung bekannt wurden.

Es geht eben darum, neben den Tests eine zweite Informationsquelle für die Verbreitung des Virus zu haben, wie auch beim Unternehmen Facsa betont wird. Neben den Balearen hält die Firma Konzessionen auf dem spanischen Festland, wo nun überall ebenfalls Proben genommen und in Zusammenarbeit mit dem spanischen Wissenschaftsrat (CSIC) ausgewertet werden. Ziel dabei ist eine Art Frühwarnsystem, bei dem durch künstliche Intelligenz die Messwerte mit allgemeinen Bevölkerungs- und Umweltdaten abgeglichen werden. Auch Facsa mahnt dabei zur Geduld - die bisherigen Ergebnisse in Mallorcas Kläranlagen seien noch wenig aussagekräftig.

Es ist ein bisschen so wie bei der weltweiten Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19 - geforscht wird parallel in verschiedenen Projekten. Um die Studien zu koordinieren, organisiert das spanische Umweltministerium eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Wasserwerke und der Gesundheitsbehörden. Auf einer Plattform können zudem Experten und Wissenschaftler ihre Daten und Erfahrungen austauschen. González von Calvià 2000 hat schon jetzt konkrete Ideen zur Anwendung der Technologie. Er schlägt vor, einzelne Gebiete oder Viertel näher zu analysieren sowie das Messgerät beispielsweise auch am Abflussrohr von Seniorenheimen anzubringen. Dann wisse man umgehend, ob die bislang getroffenen Vorsichtsmaßnahmen ausreichen - oder aber schnell Tests und weitere Restriktionen in die Wege geleitet werden müssen.

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