„Einmal hier stehen bleiben", sagt der Portier und schaut auf die Anzeige eines Temperaturmessgeräts, das jeden, der hineinkommt, scannt. Dann deutet er auf den Spender mit Desinfektionsmittel. „Gründlich die Hände einreiben, bitte", befiehlt er. Die Vorsichtsmaßnahmen werden im öffentlichen Kreiskrankenhaus Manacor ernst genommen. Kein Wunder: Hier kämpfen die Mitarbeiter an vorderster Front gegen das Coronavirus. Statt sich, wie ein Teil der Bevölkerung, über ins Wasser gefallene ­Familienfeiern, Reiseverbote oder Einschränkungen des Nachtlebens zu beschweren, sind die Ärzte und Krankenschwestern ganz un­mittelbar mit Covid-19 konfrontiert. Tod, Verzweiflung und Hilflosigkeit gehören für sie zum Alltag. Vier von ihnen haben sich Zeit ­genommen, mit der MZ zu sprechen.

Die Krankenpflegerin

Wir treffen Elena Barceló in der Eingangshalle, in der es von Menschen nur so wimmelt. „Vormittags finden die ambulanten Sprechstunden, da ist es immer so voll", erklärt sie und führt uns über ein paar Treppen zum Eingang der Intensivstation. Vor Corona standen in dem Bereich hinter der schweren Schwingtür fünf Intensivbetten. Heute können dort bis zu acht Covid-19-Härtefälle behandelt werden. Für die Nicht-Corona-Intensivpatienten sind andere Räumlichkeiten eingerichtet worden.

Corona habe den Arbeitsalltag in der ­Intensivstation auf den Kopf gestellt, sagt ­Barceló. Sie ist die Koordinatorin der Krankenpfleger und arbeitet fast seit Anbeginn im vor 23 Jahren eröffneten Hospital Manacor. Auch die Intensivstation baute sie quasi mit auf. Praktisch alle Abläufe hätten sich mit Corona verändert, sagt sie. Die Lagerung der Medikamente, die Essenslieferungen und natürlich die Schutzkleidung.

Jedes Mal, wenn Barceló und ihre Kollegen zu einem Covid-Intensivpatienten gehen, müssen sie sich zuvor von oben bis unten verhüllen: Ganzkörperanzug, Kopfschutz, zwei Gesichtsmasken, Handschuhe. „Allein mit dem An- und Ausziehen sind wir täglich rund drei Stunden beschäftigt", sagt die 47-Jährige. Denn ebenso wichtig, wie die Schutzkleidung korrekt anzuziehen, sei es, auch beim Ausziehen aufzupassen, um mögliche Ansteckungen zu vermeiden. „Normale Intensivpatienten ­besuchen wir etwa 15 Mal am Tag. In der ­Covid-Zone ist das durch die Schutzmaßnahmen oft unmöglich." Nun versuchen die Pfleger, mehrere Gänge zum Patienten zusammenzufassen. „Dafür braucht es sehr viel Koordina­tion. Und die wiederum kostet Zeit."

Zu Beginn der Pandemie war Improvisa­tionstalent das höchste Gebot. Das Krankenpfleger-Team der Intensivstation musste ­aufgestockt, Kollegen aus der Notaufnahme angelernt und Räume im Handumdrehen auf die neuen Gegebenheiten umfunktioniert werden. „Es hat uns alle verändert. Wir sind als Team unglaublich zusammengewachsen. Gleichzeitig ist uns bewusst geworden, wie wichtig Familie ist, und wie sehr die Patienten darunter leiden, wenn ihre Angehörigen nicht zu ihnen kommen dürfen", so die Krankenpflegerin. „Früher waren wir eine sehr offene Intensivstation. Heute ist Besuch nur unter strengen Auflagen möglich. Das ist nicht leicht für die Patienten und ihre Angehörigen."

Der Intensivarzt

Francisco Vecilla gesellt sich zu uns. Er ist Intensivmediziner und leitet die Intensivsta­tion. „Am schlimmsten war zu Beginn der ­ersten Welle, dass sie uns kalt erwischt hat. Niemand hätte eine Pandemie von solcher Intensität erwartet. Es fehlte an Material und an Informationen, um unsere Arbeit richtig erledigen zu können", sagt er. Dabei hätten die ­Inseln noch Glück gehabt: Der explosionsartige Anstieg der Infektionszahlen setzte rund ­einen Monat später ein als auf dem Festland. Mit Schrecken habe man die Bilder aus dem Fernsehen gesehen, von überfüllten Krankenhäusern in Madrid, wo die Intensivpatienten teilweise auf den Fluren behandelt werden mussten. Die stetige Angst, dass dieses Szenario auch in Manacor Wirklichkeit werden könnten, habe alles überschattet, so Vecilla. Kein Arzt wolle entscheiden müssen, welchen Patienten er wegen fehlender Mittel sterben lasse und welchen nicht. „Letztlich kam es bei uns nicht so weit. Nur einige Male wurden Menschen wegen Platzmangels ins Landeskrankenhaus Son Espases überführt. Aber die balearische Gesundheitsbehörde hat das sehr gut koordiniert."

Auch jetzt, in der zweiten Welle, sei der ­Arbeitsalltag nicht mit dem vor Corona zu ­vergleichen. Material sei nun zwar da. „Aber heute fehlt es an Spezialisten. Teilweise müssen wir Ärzte anderer Fachrichtungen in der Intensivmedizin einsetzen, weil wir sonst nicht hinterherkämen. Statt fünf gilt es bis zu 13 Intensivbetten zu betreuen, die neuen Abläufe stehlen Zeit und jeder von uns muss statt zwei Nachtschichten acht bis neun im Monat übernehmen. „Wir sind müde, und noch ist kein Ende in Sicht", so Vecilla. Zumal sich die Situation in Manacor Ende Oktober wieder zuspitzte, als die Zahl der Covid-Patienten innerhalb weniger Tage rapide angestiegen war. Die Krankenhausleitung forderte daraufhin drastische Maßnahmen von der Landesregierung, um die Fallzahlen zu senken. Der fast einen Monat andauernde lokale Lockdown in Manacor beruhigte die Lage, doch dem Krankenhauspersonal ist anzumerken, dass die Kräfte schwinden. Auch Francisco Vecilla streicht sich erschöpft über die Augen.

„Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Intensivstationen viel vorausschauender aufgestellt sein müssen", sagt er. Dass es in Krankenhäusern Räumlichkeiten brauche, die nach Bedarf umgestaltet werden können. Und dass medizinisches Material und Maschinen auf Vorrat angeschafft werden müsse. Letztlich gehe es darum, global zu denken, aber lokal zu handeln, sagt Vecilla. „Das gilt aber auch für die ­Bevölkerung. Jeder muss begreifen, dass sein eigenes Verhalten wichtig ist. Viele Leute ­denken, Corona wäre nicht so schlimm. Vielleicht, weil sie Bekannte haben, die die Erkrankung ohne größere Beschwerden überstanden haben. Aber wir haben hier täglich mit Menschen zu tun, deren Leben wegen Covid-19 auf dem Spiel steht."

Der Mikrobiologe

Im Erdgeschoss des Krankenhauses lässt sich Xavier Mesquida auf einen Bürostuhl fallen. Auch er sieht erschöpft aus. Mesquida ist Facharzt für Mikrobiologie, Leiter der Labors des Krankenhauses und Vorsitzender des Komitees für Infektionskrankheiten im Hospital Manacor. Vor Corona war sein Arbeitsschwerpunkt die Auswertung von Proben. Seit dem Frühjahr liegt es in seiner Verantwortung, die Abläufe im Krankenhaus so zu koordinieren, dass Infektionsherde vermieden werden. Keine leichte Aufgabe, bei rund 1.300 internen Mitarbeitern und rund 300 externen. Früher ging er nachmittags nach Hause und hatte dann frei. Heute bleibt er oft bis spät und nimmt dann noch Arbeit mit nach Hause, auch am Wochenende. „Ganz oft sitze ich um Mitternacht noch am Laptop", erzählt er.

Anfangs, während der ersten Welle, bestand die Herausforderung für Mesquida hauptsächlich darin zu gewährleisten, dass das Krankenhaus - auch für Nicht-Covid-Patienten - weiterhin funktioniert. Das war allein schon logistisch ein Kraftakt. Bis heute ist die dritte Etage für Covid-Patienten reserviert, ebenso ein Teil der vierten Etage. Auch einige Aufzüge und Eingänge sind Covid-Infizierten vorbehalten. „Anfang April hatten wir fast 40 Corona-Patienten gleichzeitig auf der Station und weitere in den Intensivbetten. Bei einer Grippewelle kommen hier sonst maximal fünf Patienten mit dem gleichen Krankheitsbild zusammen. Wenn da jemand behauptet, Corona sei nicht gefährlicher als eine Grippe, dann ist das schlichtweg nicht wahr", sagt ­Xavier Mesquida.

In den ersten Pandemie-Monaten war es zumindest im Labor noch ruhig. Denn die ­Proben für die PCR-Tests wurden damals erst nach Madrid, später dann ins Landeskrankenhaus Son Espases geschickt, erinnert sich ­Mesquida. Heute führt sein Team die Tests vor Ort selbst durch, etwa 300 am Tag, sieben Tage die Woche. „Es ist ein ständiger Druck. Und es bleibt die Angst, dass die Situation vollkommen außer Kontrolle geraten könnte."

Die Internistin

Laia Vilaplana nickt. Die Internistin arbeitet mit Mesquida Hand in Hand an den Strategien, um Infektionen im Haus zu vermeiden. „Anfangs wussten wir weder, wie man die Krankheit diagnostizieren konnte, noch, wie lange und in welchem Stadium sie ansteckend ist. Wir haben die Patienten teilweise mit Mitteln behandelt, von denen jetzt ganz abgeraten wird", sagt sie. Und vieles sei noch immer ungewiss. Zu spärlich seien die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Coronavirus. Bis heute gibt das spanische Gesundheitsministerium immer wieder neue Maßnahmenprotokolle vor. Und immer wieder müssen Xavier Mesquida und Laia Vilaplana sie der Struktur in Manacors Krankenhaus anpassen. „Es ist schwer, dem Personal unter diesen Umständen Sicherheit zu vermitteln", sagt Vilaplana.

Als effektiv habe sich die Maßnahme erwiesen, denjenigen Mitarbeitern, die mit Covid-­Patienten zu tun haben, ein zweites Team zur Seite zu stellen. „Mitarbeiter, die während des Lockdowns keine Aufgaben hatten, mussten beim An- und Ausziehen der Schutzkleidung assistieren. Das hat sehr geholfen", erklärt ­Vila­plana. In all den Monaten habe es kaum ­Infizierte unter dem Krankenhauspersonal ge­geben, so die Internistin.

„Trotzdem muss man natürlich sehen, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung durch die Pandemie allgemein sinkt", fügt sie hinzu. Es habe Momente im Frühjahr gegeben, in denen im ganzen Krankenhaus nur noch Not-OPs stattfinden konnten, da in Spanien die Beruhigungs- und Betäubungsmittel ausgingen. „Wir haben sogar bei Tierärzten bestellen müssen." Diese Mängel seien schon lange behoben, doch noch immer wirke sich der zeitweise Behandlungsstopp vieler Patienten aus. „Als die am­bulanten Sprechstunden im Sommer wieder geöffnet werden konnten, kamen viele Menschen mit ernsten Krankheiten, die weit fortgeschritten waren. Sie hatten seit März ausgeharrt, viel länger, als sie es unter normalen Umständen getan hätten. Das bleibt nicht ohne Folgen."

Nun macht die für Anfang des Jahres angekündigte Impfkampagne den Mitarbeitern im Krankenhaus Manacor Hoffnung, dass die ­Pandemie bezwungen werden kann. Doch bis die Impfungen greifen, da sind sich alle einig, sind Disziplin und Durchhalten gefragt - auch in der Bevölkerung. „Wenn wir jetzt einfach zur Normalität zurückkehren würden, dann wären wir hier ruck, zuck wieder bis obenhin voll", sagt Xavier Mesquida.