Darmkrebs im Stadium vier, mit Metastasen. Die Diagnose für Jürgen Lakhal de Muynck im März 2017, als er sich wegen Bauchschmerzen untersuchen ließ, kam unerwartet. Der damals 49-Jährige hatte sich bis dato nie näher mit dem Thema Krebs beschäftigt. Wieso auch? „Meiner Frau sagten die Ärzte, wenn ich nicht sofort operiert würde, wäre ich in wenigen Monaten tot", berichtet der Belgier, der seit Jahren auf Mallorca lebt. Der Eingriff erfolgte zwei Tage später, dann begannen die Chemotherapien. Von einem auf den anderen Tag wurde Lakhal aus einem Alltag gerissen, der vor allem durch Arbeit bestimmt war („ich war ein Workaholic, arbeitete 70 Stunden die Woche") und fand sich plötzlich in einer Krankenhauswelt wieder, die nichts mit seinem vorherigen Leben zu tun hatte. Medizin statt Meetings, sich schonen statt schuften, Untersuchungen statt Überstunden.

„Krebs meldet sich eben nicht vorher an, er ist plötzlich da und ändert alles. Und er kann uns alle betreffen", sagt Yanina Paglioni. Seit 13 Jahren ist sie als Sozialarbeiterin bei dem balearischen Ableger der spanischen Krebshilfevereinigung Asociación Española contra el Cáncer (AECC) tätig. Sie begleitet Menschen, die sich wie Jürgen Lakhal plötzlich mit der Krankheit konfrontiert sehen oder seit Jahren unter den Auswirkungen leiden. Telefonisch, bei Hausbesuchen oder in den Räumlichkeiten der Vereinigung in Palmas Carrer d'Aragó. „Wir können nicht alle heilen, aber wir können sie entlasten", sagt Paglioni schlicht.

Seit mehr als 60 Jahren ist die AECC auf den Balearen aktiv, rund 20 feste Mitarbeiter verteilt auf die Standorte Palma, Inca und Campos und mehr als 300 Freiwillige helfen mit. Hinzu kommen rund 16.000 Mitglieder, die mit Spenden unterstützen. Die Vereinigung fördert Forschungsprojekte und organisiert auch Präventionsveranstaltungen. „Mehr als 40 Prozent der Krebsfälle könnten durch eine gesunde Lebensweise verhindert werden", so Paglioni. Aber vor allem bietet sie eine integrale Begleitung der Betroffenen und ihnen nahestehenden Personen. Im Jahr 2019 nahmen knapp 2.500 Menschen die Hilfe in Anspruch.

Geboten werden psychologischer Beistand und Unterstützung bei bürokratischen Hürden, aber auch praktische Hilfe wie die Zahlungen für Menschen, die aufgrund ihrer Krankheit ihre Arbeit verloren haben. Ob Rollstühle, Echthaarperücken, Physiotherapien, Brustprothesen oder Krankenbetten - alles wird den Krebskranken kostenlos zur Verfügung gestellt. „Und das unabhängig davon, wo sie herkommen oder ob sie eine gültige Aufenthaltsgenehmigungen haben. Wir kümmern uns um alle, egal, ob sie mit einem Flüchtlingsboot auf die Insel gekommen sind oder schon immer hier leben."

Nein, ihr Job sei nicht zermürbend, betont Paglioni, die sogar übers Telefon im Gespräch mit der MZ Optimismus ausstrahlt. „Wir versuchen, ein warmes Ambiente zu schaffen, ein Lächeln zu vermitteln und vor allem mit viel Empathie zuzuhören."

Auch Jürgen Lakhal wandte sich wenige Monate nach der Diagnose und der Not-OP an die AECC und bat um therapeutischen Beistand. „Die Psychologin sagte scherzhaft zu mir, dass ich sie doch gar nicht brauche, weil ich so tough war", berichtet der mittlerweile 53-Jährige. Er klingt weder mitleidheischend noch schwach, strahlt sogar eine gefestigte Zufriedenheit aus. Die Krankheit habe ihn nie völlig aus der Bahn geworfen, obwohl er mittlerweile vier große OPs und zahlreiche Chemotherapien hinter sich hat, als arbeitsunfähig in Frühpension gehen musste, und es derzeit keine Chemotherapie gibt, die weiterhelfen könnte. Jedes Jahr werden ihm weitere befallene Organe entnommen. „Ich sehe es so: Der Krebs hat mir auch etwas gegeben. Früher habe ich nie auf meinen Körper gehört, mich schlecht ernährt, war übergewichtig und habe kaum Sport gemacht. Wahrscheinlich hätte ich irgendwann einen Herzinfarkt bekommen." Jetzt habe er es sich zur Aufgabe gemacht, sich vor jeder anstehenden OP möglichst fit zu halten - mental und körperlich. „Ich genieße das Wichtige im Leben viel mehr und achte auf mich", sagt Lakhal.

Dennoch: Ab und zu täte es trotzdem gut, sich mit den Profis von AECC auszutauschen. „Anfangs habe ich dort viele Informationen über die Krankheit eingeholt, ich hatte ja wenig Ahnung." Seine Frau stehe ebenfalls in Kontakt mit der Vereinigung. Eine Hotline kann rund um die Uhr angerufen werden. „Manchmal braucht man einfach jemanden, der zuhört und Ratschläge gibt." Zudem schwört Lakhal auf Cannabis-Öl, das ihm bei der Genesung helfe. Auf seinem Blog „Canabis, Cáncer & Co" veröffentlichte Lakhal knapp ein Jahr nach der Diagnose einen Text mit dem Titel „Ich habe Krebs, und es ist nicht das Ende der Welt." Das ist noch immer sein Motto.

„Jeder geht anders mit der Krankheit um", sagt Yanina Paglioni. Einige brächen zusammen, andere verdrängten, wieder andere setzten sich konstruktiv damit auseinander. „Wir versuchen, auf alle einzugehen. Keiner der zu uns kommt, geht, ohne etwas für sich mitgenommen zu haben."

Mehr Infos auf www.aecc.es