Ein schwarz-weißer QR-Code, darüber steht in dunkelblauen Lettern auf weißem Grund „EU Digital Covid Certificate“. Der Impfnachweis über die doppelte Covid-19-Impfung gehört für die Menschen in Deutschland seit Monaten genauso in die Handtasche wie der Haustürschlüssel oder die Geldbörse. In Spanien dagegen haben viele sich das Zertifikat noch nicht einmal heruntergeladen – und führen es erst recht nicht ständig mit sich. Warum auch? Im Alltag wird es hier fast gar nicht benötigt. Es ist nur ein Beispiel von vielen aus der Zeit seit Ausbruch von Corona. Es zeigt, wie unterschiedlich beide Länder mit dem Virus umgehen. Stand heute lässt sich sagen: In Spanien läuft es deutlich besser als in Deutschland. Und das hat nicht nur mit den nackten Zahlen zu tun.

Unterschiedliche Methoden

Dass nicht alle Regierungen zu den gleichen Methoden greifen, um ihre Bevölkerung bestmöglich zu schützen, wurde vielen Mallorca-Residenten von Anfang an deutlich – ob beim kurzen oder längeren Deutschlandbesuch, beim Telefonat mit Familie und Freunden in der Bundesrepublik (Standardfrage: „Und wie läuft es bei euch mit Corona?“) oder beim Konsum deutscher Medien.

Zur Erinnerung: Während man in Deutschland im März 2020 in einem Supermarkt noch komisch angeschaut wurde, wenn man sich in Zickzackbewegungen durch die Ladenfläche schob, um Abstand zu halten, waren auf Mallorca bereits innerhalb weniger Tage nach Ausrufung der Pandemie strengste Sicherheitsvorkehrungen bei Mercadona und Co. etabliert: Kennzeichnungen am Boden, Türsteher, die die maximale Personenanzahl kontrollieren, Einweghandschuhe en masse.

Während die Impfkampagne in Deutschland schnell auf den Grundsatz „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ hinauslief, wurde in Spanien konsequent Jahrgang für Jahrgang gepikst.

Mehr noch: In Spanien durften die Menschen fast zwei Monate lang so gut wie gar nicht vor die Tür. In Deutschland appellierte Angela Merkel eher an die Vernunft der Bürger, statt allumfassende Ausgangssperren zu etablieren. Dennoch lag die Zahl der Todesopfer in Spanien anfangs deutlich höher.

Und so ging es weiter mit der unterschiedlichen Handhabung. Während Anfang 2021 in Deutschland die Selbsttests Hochkonjunktur hatten, waren sie auf Mallorca bis Juli nicht einmal für Privatpersonen erhältlich. Im vergangenen Winter lockerte die Balearen-Regierung die Restriktionen langsam, aber stetig, gleichzeitig begann in Deutschland ein langer und zäher Lockdown-Marathon. Während die Impfkampagne in Deutschland schnell auf den Grundsatz „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ hinauslief, wurde in Spanien konsequent Jahrgang für Jahrgang gepikst. Mallorca entwickelte sich im internationalen Vergleich zum Hardliner der universalen Maskenpflicht, wohingegen Deutschland in den vergangenen Monaten immer schwerere Geschütze gegen Nichtgeimpfte auffuhr. Und möglicherweise ist es genau das, was dort zum „Impfdebakel“ führte.

Die Zahlen

Um zu beurteilen, wo es besser läuft, ist ein Blick auf die Zahlen längst zur Gewohnheit geworden – in Spanien wie in Deutschland. Aktuell (Stand 17.11.) liegt die 7-Tage-Inzidenz in der Bundesrepublik bei 320, in einigen Kreisen vor allem in Ostdeutschland und Bayern sogar um die 1.300. In Spanien sind es 62, auf Mallorca derzeit 74 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen 7 Tagen. Tendenz: In beiden Ländern steigend. Doch die Inzidenz ist bekanntlich kein stabiler Wert. Mal hat ein Land die Nase vorn, mal das andere.

Die im spanienweiten Vergleich etwas niedrigere Impfquote auf den Balearen führt die balearische Impfkoordinatorin Eugènia Carandell auf die Existenz von Karteileichen zurück

Beständiger sind Impfzahlen. In Deutschland liegt die Quote der abgeschlossenen Impfungen laut RKI bei 67,7 Prozent, auf Mallorca bei 83,5. Vergleichbar ist dies nur bedingt: In Deutschland wird der Anteil der Geimpften an der Gesamtbevölkerung gerechnet, in Spanien sind Kinder unter zwölf ausgenommen. Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten haben in Spanien 91,3 Prozent der Erwachsenen die erste Dosis, in Deutschland nur 83,8 Prozent. Die im spanienweiten Vergleich etwas niedrigere Impfquote auf den Balearen führt die balearische Impfkoordinatorin Eugènia Carandell auf die Existenz von Karteileichen zurück – Personen, die etwa inzwischen auf dem Festland leben, aber wegen der Vorteile des Residentenrabatts weiter hier gemeldet sind.

Um zu bewerten, wer sich in der aktuellen Pandemie-Welle besser schlägt, eignet sich darüber hinaus der Vergleich der Auslastung der Intensivbetten. Während auf Mallorca mit derzeit 8,5 Prozent Belegung die Lage entspannt ist, machen vor allem in Bayern überfüllte Krankenhäuser Schlagzeilen.

Die Impfgegner

Doch es ist nicht nur das direkte – sich ohnehin schnell wandelnde – Pandemiegeschehen, das den politischen Erfolg oder Misserfolg eines Corona-Krisenmanagements ausmacht. Es sind auch die gesellschaftlichen Konsequenzen, die es mit sich bringt. Dass unter diesem Gesichtspunkt in Deutschland einiges im Argen liegt – dauerhaft, nicht kurzfristig wie bei der Inzidenz –, zeigt sich derzeit wohl deutlicher denn je.

„Die Stimmung ist schlecht. Man spürt die Unzufriedenheit regelrecht. Viele sind genervt, aggressiv, ungehalten“, berichten Freunde aus Deutschland beim wöchentlichen Telefonplausch. Ob aus Berlin, Hamburg, Bonn, Hannover oder dem Sauerland – die subjektiven Gemütseinschätzungen sind erschreckend ähnlich. Wissenschaftliche Studien bestätigen den Eindruck: Schon im Januar hatte die Studie „Die Ängste der Deutschen“ vom R+V Infocenter tiefgreifendes Misstrauen der Befragten beim Stichwort Corona gegenüber der politischen Führung im Land aufgedeckt.

Der Protest hier war – anders als in Deutschland – zumeist nicht von grundsätzlicher Systemkritik, Verschwörungstheorien und Impfzweifeln geprägt

Laut einer am 8. November veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey ist der Anteil der Menschen in Deutschland, die die Corona-Politik von Bund und Ländern als unangemessen bewerten, seit Mitte Oktober rasant angestiegen. Dabei spalten sie sich in zwei Lager: Rund 42 Prozent der Deutschen halten die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung für nicht ausreichend, 27 Prozent dagegen empfinden sie als übertrieben. Nur ein knappes Drittel findet, dass die Maßnahmen angemessen sind.

Die deutschen Medien spiegeln die Spaltung und die Unzufriedenheit wider, befeuern sie. Kaum ein Abend, an dem nicht in einer Talkshow über das „Impfdebakel“ oder die 3-G-Regelungen (geimpft, genesen, getestet) debattiert wird. Sogar die Booster-Impfungen führten zu wochenlangen Auseinandersetzungen.

Der Konsens

Und auf Mallorca? Die Zeiten, in der sich im großen Stil Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen regte, sind vorbei, seit die Sommersaison noch einigermaßen gut wurde und in der Gastronomie nur noch marginale Regelungen gelten. Zwar waren laut einer im Juli 2021 veröffentlichten Studie der Fundació Gadeso 47 Prozent der Befragten mit der Corona-Politik in Spanien nicht zufrieden. Doch der Protest hier war – anders als in Deutschland – zumeist nicht von grundsätzlicher Systemkritik, Verschwörungstheorien und Impfzweifeln geprägt, sondern von Unternehmern und Arbeitnehmern, die aufgrund der Corona-Auflagen um ihr Einkommen bangten. Nicht der Kampf um vermeintlich beschnittene Freiheiten stand im Vordergrund, sondern in der Regel die finanzielle Existenzangst. Der Begriff „Querdenker“ existiert in Spanien nicht.

Eine Demonstration im August 2020, bei der rund 400 Menschen in Palma auf die Straße gingen und teilweise Corona an sich infrage stellten, blieb die Ausnahme. Unternehmerverbände distanzierten sich sogar von den Demonstranten. Freilich: Auch auf Mallorca sind Querdenker in sozialen Netzwerken aktiv. Doch in der Öffentlichkeit hört man kaum von ihnen. Überhaupt scheinen viele Nichtgeimpfte weniger kampfeslustig zu sein als in Deutschland. „Ich habe einfach Angst vor den Langzeitfolgen der Impfung und warte lieber noch ab“, berichtet eine Ungeimpfte. Es sei eine persönliche Entscheidung, so die Spanierin.

Was ist es, das gerade unter Deutschen so viel Misstrauen hervorruft? Die politische Geschichte des Landes, in dem nicht wenige Menschen grundsätzlich Machthabern misstrauen, sobald es um die Beschneidung ihrer Freiheiten geht?

Auffällig: Bei besagter Demo im August 2020 waren es nicht zuletzt Residenten aus deutschsprachigen Ländern, die die Kundgebung vorantrieben. Und das scheint sich bis heute nicht geändert zu haben. Wie die balearische Gesundheitsministerin Patricia Gómez am Dienstag (16.11.) erklärte, handle es sich bei der Hälfte der rund 181.000 gemeldeten Personen auf den Balearen über zwölf Jahren, die bislang nicht geimpft seien, um Ausländer. Unklar ist, welcher Teil der Ausländer schlichtweg nicht erreicht werden konnte, etwa weil sie nicht das ganze Jahr hier leben, und welcher Teil eine bewusste Entscheidung gegen die Impfung getroffen hat. Gleichzeitig klagen weiterhin Ausländer ohne Empadronamiento (Anmeldung im Rathaus) über Schwierigkeiten beim Gang zur Impfung.

Annähern statt spalten

Was ist es, das gerade unter Deutschen so viel Misstrauen hervorruft? Die politische Geschichte des Landes, in dem nicht wenige Menschen grundsätzlich Machthabern misstrauen, sobald es um die Beschneidung ihrer Freiheiten geht? Was sich herauskristallisiert: Mit Druck, wie er in Deutschland seit Monaten durch die 3-G-Regelungen auf die Ungeimpften ausgeübt wird, kann die Ablehnung der Impfung offenbar nur schwer durchbrochen werden. Schlechte Stimmung und eine Verhärtung der Fronten sind die Konsequenz.

Auf Mallorca dagegen wird bislang kaum differenziert zwischen Geimpften und Nichtgeimpften. Die Maskenpflicht im Innern und Abstandsregeln gelten für alle. Das verhindert Spaltungen. Und auch der Versuch, die Zweifler zu überzeugen, dürfte auf den Inseln weniger Konfliktpotenzial bergen: Die balearischen Gesundheitsbehörden planen aktuell eine detaillierte Studie, um die Hintergründe und Motive der Impfablehner zu ergründen, um dann gezielter Überzeugungsarbeit leisten zu können.

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Dass Experten der Krankenhäuser Manacor und Son Espases am Dienstag (16.11.) erstmals auch auf Mallorca eine 3-G-Regelung in Restaurants und Kinos forderten, könnte die Situation ändern. Die Landesregierung hatte jedoch noch am Montag (15.11.) betont, dass erst mal keine strengeren Restriktionen geplant seien.

Stattdessen setzt man weiter aufs Impfen. Der Impfbus sollte auch am Dijous Bo in Inca am Donnerstag (18.11.) den ein oder anderen zur spontanen Impfung anregen, die Booster-Impfungen schreiten kontrolliert voran. Ganz ohne hitzige Debatten und Frust.