Die Gerichte sind eigentlich dafür da, Ordnung zu schaffen und Konflikte im Sinne des Gesetzes zu klären. In Spanien hat nun jedoch der Oberste Gerichtshof für ein beispielloses Chaos auf dem Hypothekenmarkt gesorgt, das Tausende von Kunden und die Banken in Atem hält. Am Donnerstag (18.10.) veröffentlichte der Tribunal Supremo ein Urteil, wonach die Bank die beim Abschluss eines Hypothekenvertrags fälligen Notarkosten und entsprechenden Steuern zahlen muss und nicht wie bisher der Kunde. Die Entscheidung kam unerwartet, da erst im März eine andere Kammer des Supremo zum umgekehrten Schluss zugunsten der Banken gekommen war.

Das Urteil löste einen Kurssturz der Bankaktien aus, da zu allem Übel viele Details in der Begründung ungeklärt blieben, wie etwa die möglichen rückwirkenden Ansprüche der Verbraucher. Am Tag darauf ruderte der Oberste Gerichtshof zurück und setzte das Urteil außer Kraft. Nun wollen die Richter am 5. November abschließend diese Frage klären. Bis dahin herrscht auf dem Markt, auf dem monatlich etwa 40.000 Hypothekenverträge gemacht werden, Verwirrung.

Im Konkreten geht es um die sogenannte „Stempelsteuer", den „Impuesto sobre Actos Jurídicos Documentados", die bei der Beglaubigung der Einschreibung der Immobilie vor dem Notar fällig wird. Diese Abgabe macht in Spanien im Schnitt 1,5 Prozent des Gesamtwertes der Immobilie aus, also eine erhebliche Summe. Bisher wurden diese Kosten vom Kunden getragen. Doch Verbraucherverbände und Anwälte gingen dagegen vor und bekamen durch das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 18.10. recht.

Bis das Thema am 5. November endgültig geklärt wird, lassen alle Beteiligten Vorsicht walten. Mehrere Gerichte im ganzen Land haben laufende Verfahren wegen Klagen der Kunden über die Kostenaufteilung der Hypothek vorerst geparkt. Der Verband der Notare hat seinen Mitgliedern empfohlen, weiter Verträge zu beglaubigen, dabei aber festzuhalten, dass nicht geklärt ist, wer die Kosten übernehmen wird. Dennoch verweigern etwa die Notare auf Ibiza und Formentera vorläufig ihre Unterschrift für neue Hypotheken. Viele Banken zögern bei der Vergabe neuer Darlehen.

Experten und die Medien stellen zurzeit täglich neue Rechnungen über die drohenden Kosten eines negativen Urteils für die Finanzbranche auf. Von bis zu 26 Mrd. Euro ist die Rede, sollten Regressansprüche rückwirkend geltend gemacht werden. Die Banken hoffen noch, dass die in der Vergangenheit angefallenen Steuern letztlich beim Finanzamt hängen bleiben und keine Forderungen auf die Kreditinstitute zukommen. Doch so richtig weiß das niemand. Die Hauskäufer sind ebenso verunsichert wie Anleger an der Börse, was sich selbstverständlich in den Kursen widerspiegelt. Dabei wurden die vornehmlich in Spanien tätigen Banken stärker bestraft als die international breit aufgestellten Großbanken Santander und BBVA.

Das juristische Chaos rief auch die spanische Regierung auf den Plan. Wirtschaftsministerin Nadia Calviño sah sich dazu veranlasst, die Arbeit und die Unabhängigkeit der Richter vor der massiven Kritik zu verteidigen. Sie unterstrich jedoch die Bedeutung der Rechtssicherheit für die Wirtschaft. Das forderten auch die Fachverbände, allen voran die Asociación Española de Banca (AEB). „Wir warten auf eine Klärung der Situation und verlangen einen Rahmen der Rechtssicherheit", erklärte auch der Vorsitzende der verstaatlichten Bankia, José Ignacio Goirigolzarri. Denn in den letzten Jahren musste die Branche einige juristische Rückschläge einstecken.

Während sich die Banken mit Kritik am Supremo eher zurückhielten, hagelte es Beschwerden von einigen Politikern, den Medien und sogar dem Richtergremium selbst. ­Juristische ­Berufsverbände wie Jueces para la Democracia (JpD) warfen dem Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Supremo, Luis María Díez-Picazo, eine „unheilvolle Handhabung" des Falles vor.

Wie auch immer die Sache ausgeht, wer sich jetzt schon auf ein gutes Geschäft freut, sind die auf Bankkunden spezialisierten Anwaltskanzleien. Seit Jahren vertreten diese Firmen Zehntausende von Verbrauchern bei Regressansprüchen vor Gericht. Das lag an einigen Urteilen zugunsten der Kunden. So etwa im Fall der „participaciones preferentes", riskanten Vorzugsscheinen, die unwissenden Kleinkunden der Bankfilialen als absolut sichere Anlage untergejubelt wurden. Bei diesem Betrug machten im Zuge der Finanzkrise nach 2008 fast alle Geldinstitute mit. Nun müssen sie die Kunden entschädigen, wenn diese beweisen können, dass sie über das Risiko nicht aufgeklärt worden waren. Außerdem gaben die Richter den Klagen der Verbraucherverbände bezüglich der sogenannten „Bodenklauseln" („cláusulas suelo") statt, bei denen ein Mindestzinssatz für die Hypotheken festgelegt wurde, der weit über den durch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank festgelegten Niedrigzinsen lag. Das löste die letzte große Klagewelle aus, der nun wohl eine weitere wegen der Stempelsteuer folgen wird.