Die Angst geht um in Teilen der Bevölkerung von Palma. Vor allem bei den Menschen, die in einem der Wohnblocks leben, die zu Hunderten den Vierteln zwischen den Innenstadt-Avenidas und der Ringautobahn ihr Gesicht geben. Die zu Zeiten des Tourismusbooms und der schnell wachsenden Einwohnerzahl auf der Insel in den 50er- und 60er-Jahren billig hochgezogenen Gebäude bekommen so langsam ihre ersten altersbedingten Gebrechen. Oder auch mehr. Im Oktober war es zehn Jahre her, dass an der Plaça Camp d'en Serralta nördlich der Innenstadt ein Wohnhaus in sich zusammenfiel. Sieben Menschen fanden damals den Tod. In den vergangenen Tagen mussten gleich mehrfach in Palma ganze Gebäude evakuiert werden, weil ein reelles Risiko des Einsturzes bestand.

Aktuelle Fälle

Zunächst war es am 18. November eine Anwohnerin des Viertels Pere Garau, die die Feuerwehr rief, weil sie einen plötzlich aufgetretenen Riss in ihrem Haus bemerkte. Die Einsatzkräfte bestätigten, dass sich die Balken in einem derart katastrophalen Zustand befanden, dass das Haus womöglich nicht mehr zu retten ist. Da es sich um ein Eckhaus handelte, mussten insgesamt 26 Bewohner das Haus und drei angrenzende Wohngebäude verlassen. Die zuständige Stadträtin von Palma, Neus Truyol, erklärte wenige Tage später die betroffenen Häuser zur Ruine. Sie dürfen nicht mehr bewohnt werden. Die Bewohner wurden laut einem Sprecher der Stadt so weit es ging bei Angehörigen oder Freunden untergebracht. Mehrere Bewohner bekamen provisorische Notunterkünfte gestellt.

Einen Tag später wurde das Gebäude des ehemaligen Kinos Astoria im Zentrum von Palma geräumt, hier stellten in die Jahre gekommene Stützpfeiler ein essenzielles Sicherheitsrisiko dar. Am Donnerstag gab es dann Alarm in einem achtstöckigen Wohngebäude im Viertel La Soledat. Dort waren mehrere Säulen einsturzgefährdet, auch in diesem Fall musste das gesamte Haus evakuiert werden.

Um derartige Fälle zu verhindern, gibt es in Spanien einen Gebäude-TÜV. Dieser ist für alle Wohngebäude Pflicht, die das Alter von 50 Jahren erreichen. Zumindest in Gemeinden mit mehr als 25.000 Einwohnern. Ausführen dürfen ihn Architekten (arquitectos superiores) und technische Architekten (arquitectos técnicos aparejadores), Kontakte gibt es unter anderem bei der mallorquinischen Architektenkammer (coaib.org). Nur: Entweder die Unwissenheit ist weitverbreitet, oder aber viele Eigentümer scheuen die Kosten und Mühen dieses sogenannten IEE (Informe de Evalua-ción del Edificio).

Nur jeder Zehnte macht mit

Fakt ist, dass viele dieser Pflicht nicht nachkommen. Im vergangenen Jahr haben in Palma laut Statistik der Stadtverwaltung nur rund 68 Prozent der Eigentümer der 50-jährigen Gebäude diesen TÜV abgelegt. Im Falle des betroffenen Hauses in Pere Garau weiß der Präsident der Architektenkammer der Insel, Nacho Salas, dass zwar ein IEE vorgelegt wurde, aber dabei nur ein Teil der Wohnungen begutachtet werden konnte.

In diesem Jahr sehen die Zahlen deutlich finsterer aus, denn es kommt erschwerend hinzu, dass es zumindest in Palma im Jahr 2019 deutlich mehr Gebäude sind, die überprüft werden müssen. Wie der Sprecher der Stadt erklärt, sind in diesem Jahr turnusgemäß die Gebäude aus dem Jahr 1969 an der Reihe, zusätzlich aber auch diejenigen, die vor 1900 erbaut wurden und/oder unter Denkmalschutz stehen.

Allein im Fall von Palma beläuft sich die Zahl der zu inspizierenden Gebäude auf mehrere Tausend. Die Stadt erfasst lediglich die Zahl der Parzellen. Demnach müssen 2.884 bebaute Parzellen inspiziert werden, allein 2.461 davon stammen aus der Zeit vor 1900 oder sind denkmalgeschützte Gebäude. 2019 ist die Beteiligung der Eigentümer am Gebäude-TÜV bislang so niedrig, dass die Stadtverwaltung Ende Oktober einen Appell an die Bevölkerung richtete. Nach Angaben der Stadträtin Neus Truyol hatten bis zum 22. Oktober gerade einmal 9,7 Prozent der Eigentümer die Inspektion veranlasst. Von den 2.884 Parzellen waren das gerade einmal 282 IEE. „Wir rufen die Bevölkerung dazu auf, verantwortlich mit ihrem Eigentum und der Sicherheit aller umzugehen", hieß es vonseiten der Stadt.

Strafen von 600 Euro

Wer den IEE nicht fristgerecht veranlasst, begeht eine leichten Verstoß gegen die Bauvorschriften, die im Falle von Privatpersonen mit 600 Euro geahndet wird, wie die Stadt Palma auf ihrer Website erklärt. Wer nach der Zustellung des Bußgeldbescheids aktiv wird, bevor die Frist zur Zahlung der Strafe abläuft, der muss nur noch 150 Euro zahlen.

Das lohnt sich in den meisten Fällen, denn eine Inspektion ist keine teure Sache. So berichtet Luis Marín, der leitende Sachverständige der auf derartige Inspektionen spezialisierten Firma IEE Mallorca, dass sich die Kosten für die etwa einstündige Begutachtung einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus auf rund 80 bis 100 Euro plus Mehrwertsteuer belaufen. Der IEE beinhalte eine Inspektion des gesamten Gebäudes mit besonderem Augenmerk auf tragenden Elementen wie etwa Balken, Stützpfeilern, Säulen. Auch Dächer, Balkone, Geländer, Dachvorsprünge oder schmiedeeiserne Bestandteile werden unter die Lupe genommen. „Vor allem aber die Risse erzählen uns, was mit den Gebäuden los ist", sagt Marín.

Eine etwa einstündige Inspektion sei zwar keine Garantie dafür, dass alle Schäden aufgespürt werden, räumt Marín ein. Trotzdem: „Die Gebäude kündigen normalerweise an, wenn etwas nicht in Ordnung ist, und krachen nicht von einem auf den anderen Moment zusammen", erklärt Nacho Salas.

Wer auch bei einem Strafbescheid vonseiten der Stadt nicht aktiv wird, der muss sich darauf einstellen, dass der zu zahlende Betrag mit jeder Frist, die verstreicht, steigt und am Ende 1.200 Euro erreichen kann. Allerdings, so Marín, schickt die Stadtverwaltung längst nicht an jede säumige Eigentümergemeinschaft Mahnbescheide. Viele Eigentümer hoffen, dass sie ungeschoren davonkommen.

Die meisten fallen durch

Von den ohnehin schon wenigen Gebäuden, die untersucht werden, kommen viele nicht durch den TÜV. Zwar wollen sich Marín und Salas nicht auf einen genauen Prozentsatz festlegen, aber Marín sagt: „Die allermeisten Gebäude fallen beim ersten Anlauf durch. Klar, wenn man in 50 Jahren keine einzige Inspektion gemacht hat." Ähnlich drückt es Salas aus - und fügt hinzu: „Oft aber sind es einfach zu behebende Mängel." Im Fall von schweren Schäden muss der Sachverständige sofort das Rathaus benachrichtigen. Dort muss dann entschieden werden, wie man mit dem Gebäude weiter verfährt.

Die Gebäude, die beim IEE durchgefallen sind, müssen die Schäden beheben. Die Eigentümer der Immobilien können dann hoffen, dass eine weitere, zweite Inspektion positiv verläuft. Vielfach scheitert die Inspektion aber schon an der Koordination der verschiedenen Eigentümer eines Mehrfamilienhauses, die sich nicht gemeinsam zu einem IEE durchringen können. „Dabei wäre eine gemeinsame Inspektion wichtig. Denn es verkompliziert die Sache enorm, wenn nur einzelne Parteien aus dem Haus mitmachen und andere nicht. Wir müssen ja das Haus samt der Gemeinschaftsbereiche begutachten", sagt Marín, der nicht davon sprechen will, dass die Wohngebäude in Palma generell in schlechtem Zustand sind. „Es gibt allerdings Ausnahmen, vor allem in den Häusern, in denen viele Parteien zur Miete wohnen. Dort kümmern sich die Eigentümer häufig nicht ausreichend um den Unterhalt. Das wird speziell in den Vierteln zum Problem, in denen die Mieten nicht lukrativ genug sind."

Außer in Palma sind auf Mallorca bisher lediglich die Bewohner von Manacor und Marratxí dazu verpflichtet, ihre Häuser dem Gebäude-TÜV zu unterziehen. Laut der vom Gesetzgeber festgelegten Untergrenze von 25.000 Einwohnern wären allerdings auch Inca, Calvià und Llucmajor zu den IEE verpflichtet. In diesen Orten fehlen bislang entsprechende Gemeindevorschriften.

Bei der Stadt Palma war man mit dem Start des Gebäude-TÜV übrigens recht früh dran. Bereits 2004 wurde eine Vorschrift verabschiedet, die die Eigentümer von Häusern, die mehr als 25 Jahre alt waren, zu einer Inspektion verpflichtete. 2008 kam eine zweite Verordnung hinzu, die nun die mehr als 50 Jahre alten Gebäude umfasste. Erst 2011 gab es landesweit eine entsprechende Vorgabe, den ITE (Informe Técnico de Edificios) genannten Vorläufer des IEE, der nur Sicherheitsaspekte berücksichtigte. Den IEE in seiner jetzigen Form gibt es seit einem königlichen Dekret aus dem Oktober 2015. Neben dem Gebäudezustand prüfen die Sachverständigen beim IEE nun auch die

Barrierefreiheit und erstellen ein Energiezertifikat, sofern es noch nicht vorliegt.