Ausverkauf! Wie die Deutschen bereits vor 25 Jahren Mallorca übernahmen (oder das zumindest befürchtet wurde)

Schon Mitte der 90er-Jahre bereiteten ausländische Immobilienkäufe den Mallorquinern große Sorgen. Die „friedliche Invasion“ durch die Deutschen versetzte die Insel in eine Art Psychose. Ein Rückblick

Mit diesem T-Shirt protestierten vor 25 Jahren viele Mallorquiner gegen den Ausverkauf an die Deutschen.

Mit diesem T-Shirt protestierten vor 25 Jahren viele Mallorquiner gegen den Ausverkauf an die Deutschen. / Raimon Schirmer Sastre

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Es war ein schlichtes dunkelblaues T-Shirt, das Ende der 90er-Jahre die Ängste und Sorgen vieler Mallorquiner auf den Punkt brachte. In einigermaßen katastrophalem Deutsch stand da: „Ich bin von oben bis unten Majorkiner. Gemischt von Arab, Juden und Katalanisch. Ich verkaufe mich NICHT, meine lande auch nicht und ende.“ Auf der anderen Seite war der Text auf richtigerem mallorquí verfasst.

Die Panik ging vor 25 Jahren auf Mallorca um, die Panik vor dem Ausverkauf der Insel an die Deutschen. Bis auf Regierungsebene drang das Thema damals vor. Mitte der 1990er-Jahre entdeckten die Deutschen ihre Lieblingsinsel plötzlich nicht mehr nur als Paradies zum Planschen im zweiwöchigen All-inclusive-Sommerurlaub. Immer mehr Menschen vor allem aus den gut angebundenen Großstädten wollten plötzlich eine eigene Immobilie auf Mallorca besitzen. Grundstücke und Häuser waren zu Beginn noch billig, die Lebenshaltungskosten auch und die Sonne gab’s kostenlos dazu.

Der Zustrom in Zahlen

Dass sich die Mallorquiner seinerzeit eine deutsche „Invasion“ nicht nur einbildeten, zeigen die Daten des Einwohnerregisters. Innerhalb von vier Jahren verdoppelte sich die Zahl der auf den Balearen gemeldeten Deutschen: Von 10.236 im Jahr 1998 auf 20.469 im Jahr 2002. Das war allerdings nur die offizielle Zahl.

Schon damals meldete sich nur ein Bruchteil der Deutschen auf Mallorca an. Schätzungen Ende der 90er-Jahre gingen davon aus, dass rund 100.000 Deutsche ganzjährig oder zumindest einen großen Teil des Jahres auf der Insel verbringen. Mallorca hatte im Jahr 1998 gerade einmal 610.000 Einwohner. Heute zählt die Insel eine knappe Million Bewohner, die Zahl der Deutschen wird auf rund 60.000 geschätzt. Etwa 19.000 Deutsche waren Ende 2022 auf Mallorca offiziell gemeldet.

Eine Folge der damals sprunghaft gestiegenen Anzahl an deutschen Immobilienbesitzern war, dass sich mancherorts regelrechte Gettos bildeten. Bezeichnungen wie der „Hamburger Hügel“ nahe Santanyí oder das „Düsseldorfer Loch“ in Andratx entstanden zu jener Zeit.

Fehlende Sensibilität

Begonnen hatte die „Kolonialisierung“ der Insel durch die Deutschen dem Eindruck vieler Mallorquiner zufolge bereits 1993. In jenem Sommer hatte der CSU-Abgeordnete Dionys Jobst mit seiner scherzhaft gemeinten Forderung in der „Bild“-Zeitung, Mallorca für 50 Milliarden Euro zu kaufen und zum 17. Bundesland zu machen, zu einer veritablen Verstimmung unter vielen Mallorquinern geführt. In einem Interview mit dem „Stern“ 2007 sagte Jobst, diese Forderung sei aus einem lockeren Gespräch mit einem „Bild“-Reporter entstanden.

Er habe mit ihm angesichts der zwei Millionen deutschen Mallorca-Urlauber gescherzt, die Insel müsse eingemeindet werden. „Wir einigten uns auf den Namen Palmenhausen für Palma“, sagte Jobst 14 Jahre später dem „Stern“. Er nehme es der „Bild“ immer noch übel, dass sie die Geschichte so prominent platzierte.

Denn: Spaß hin oder her, das Herumalbern stieß auf der Insel auf wenig Gegenliebe. Und noch weniger tat das der Film „Ballermann 6“, mit dem es 1997 dem Komiker Tom Gerhardt als Regisseur und Schauspieler gelungen war, all die billigen Vorurteile des kurz zuvor noch als „Putzfraueninsel“ verschrienen Mallorca in Bild und Ton umzusetzen. Die Botschaft aus Sicht vieler Mallorquiner: Die Deutschen kommen zu uns und lassen hier die Sau raus, ohne sich für die Insel auch nur im Mindesten zu interessieren.

Die beiden Hauptdarsteller in "Ballermann 6" Tom Gebhardt (li.) und Hilmi Sözer.

Die beiden Hauptdarsteller in "Ballermann 6" Tom Gebhardt (li.) und Hilmi Sözer. / Filmplakat

Diese Mischung aus Proletentum und Großkotzigkeit einiger Neu-Immobilienbesitzer prangerte auch der Journalist Matías Vallés vom „Diario de Mallorca“ regelmäßig an. Er sagt heute: „Es war diese Selbstverständlichkeit, mit der die Deutschen damals von ‚ihrer Insel‘ gesprochen haben. Es gab sogar einen ‚Spiegel‘-Titel, der ‚Unsere Insel‘ lautete.“

Es war nicht nur das fehlende Feingefühl für die Insel, sondern auch das wirtschaftliche Ungleichgewicht, das viele Mallorquiner störte. „Wenn wir uns ein Haus kaufen wollten, kam immer ein Deutscher, der mehr bezahlen konnte“, sagt der Liedermacher, Lehrer und Aktivist Biel Majoral.

Wie auch andere Intellektuelle wandte er sich damals gegen die deutschen Kaufexzesse und widmete dem Phänomen sogar ein ganzes Lied. In „Havaneros“ singt der aus Algaida stammende Musiker: „Jetzt sind die Deutschen gekommen, kein Haus wird für uns übrig bleiben. Sie werden die ganze Insel Mallorca kaufen. Was sollen wir tun?“ Und am Ende: „Das ist das Land, das wir ihnen verkauft haben. Und wir haben es für immer verloren.“

Den etwas pathetisch anmutenden Text hält Majoral rückblickend im Gespräch mit der MZ heute noch für angemessen: „Es existierte damals eine reale Angst, dass die Deutschen kommen und uns unsere Häuser wegschnappen, die sonst unsere Söhne und Töchter gekauft hätten, um damit ihr eigenständiges Leben zu beginnen“, sagt Majoral der MZ.

Das Land der Kinder verscherbelt

Die Deutschen und ihre Kaufwut waren das beherrschende Thema auf der Insel. So berichtet Journalist Matías Vallés heute: „Es gab damals eine Art Kollektivpsychose. Menschen, die ihr Haus oder ihre Finca an Deutsche verkauft hatten, mussten zur Behandlung zum Psychiater gehen, als sie verstanden hatten, dass sie das Land verscherbelt haben, das über viele Generationen der Familie gehörte.“

Vallés schrieb im August 1997 von Schätzungen, nach denen sich zu dieser Zeit bereits 15 bis 20 Prozent der „Fläche Mallorcas in Händen von Deutschen“ befanden. In der Gemeinde Artà seien rund 80 Prozent der in den Jahren zuvor vergebenen Baugenehmigungen an Ausländer gegangen. Der damalige Bürgermeister von Artà, Montserrat Santandreu, rief denn auch in einem Interview mit dem „Diario de Mallorca“ dazu auf, „nicht ohne Not an Deutsche zu verkaufen“.

"Nicht ohne Not an Deutsche verkaufen": Der Bürgermeister von Artà rief im Sommer 1997 dazu auf.

"Nicht ohne Not an Deutsche verkaufen": Der Bürgermeister von Artà rief im Sommer 1997 dazu auf. / DM-Archiv

„Die Übermacht der Deutschen lief zu dieser Zeit Gefahr, erdrückend zu werden“, sagt heute Carlos Garrido, Journalist und Autor, der sich eingehend mit dem Phänomen der deutschen Einwanderer befasst und ihnen unter anderem ein Buch gewidmet hat. „Mallorca de los alemanes“ sei damals stark wahrgenommen worden, es sei viel über das Buch gesprochen worden. „Nur gekauft hat es fast niemand, es verstaubt bei mir im Schrank“, sagt Garrido.

Er erzählt eine Anekdote von der Vorstellung des Buches. „Bei der Fragerunde fiel das Mikrofon aus und ein Mann aus dem Publikum forderte daraufhin in deutlich hörbarem deutschem Akzent ‚un micrófono alemán, por favor‘. Das sollte lustig gemeint sein, gelacht hat aber keiner der beinahe ausschließlich mallorquinischen Zuhörer.“ Ein weiterer Scherz aus der Reihe 17. Bundesland, der nach hinten losgegangen war.

Anderer Menschenschlag

Es sei ein neuer Schlag an deutschen Auswanderern gewesen, die in den 90er-Jahren auf die Insel kamen, sagt Garrido. In zwei vorherigen Wellen in den 20er- und 30er-Jahren sowie in den 60er-Jahren seien es eher unauffällige Einwanderer gewesen, die versucht hätten, sich auf der Insel zu integrieren. „Später waren es dann aber Leute, die die Insel germanisieren wollten.“ Bekannt waren die Deutschen laut Garrido damals dafür, dass sie gerne ungefragt Lektionen erteilten und unablässig die Gepflogenheiten auf der Insel kritisierten. „Das war nicht böse gemeint, es liegt wohl am protestantischen Einfluss, aber es kam überhaupt nicht gut an“, sagt Garrido.

Die Deutschen trifft nur einen Teil der Verantwortung, sagte damals Carlos Garrido. Zu einem Käufer gehört immer auch ein Verkäufer.

Die Deutschen trifft nur einen Teil der Verantwortung, sagte damals Carlos Garrido. Zu einem Käufer gehört immer auch ein Verkäufer. / DM-Archiv

Der Chirurg Andreas Overbeck, der als einer der ersten deutschen Ärzte auf Mallorca praktizierte, berichtet am Telefon ebenfalls von einem ganz eigenen Charme, den viele der Deutschen damals auf der Insel versprühten. Er habe bei einigen seiner Landsleute „fehlende Sensibilität“ den Einheimischen gegenüber ausgemacht. „Was damals auf Mallorca abging, war unglaublich. Die Leute sind aus Deutschland teilweise für ein Tennisturnier am selben Tag hin- und wieder zurückgeflogen.“

Auch die geplante Gründung einer deutschen Partei unter Vorsitz des Fleischwarenunternehmers Horst Abel sorgte in der mallorquinischen Öffentlichkeit für Kopfschütteln. Abel wollte sich gegen mutmaßliche Benachteiligungen deutscher Unternehmer bei den mallorquinischen Behörden zur Wehr setzen. Außerdem forderte er in seinem Programm, dass öffentliche Veranstaltungen auf Mallorca für die ausländischen Zuhörer immer vom Katalanischen ins Spanische übersetzt werden sollten. Die Partei wurde nie Realität, selbst das engere Umfeld Abels riet ihm von diesem Schritt ab.

Horst Abel wollte eine deutsche Partei gründen. Doch es kam nicht dazu.

Horst Abel wollte eine deutsche Partei gründen. Doch es kam nicht dazu. / DM-Archiv

Unter den Einheimischen konnte man sich indes nicht auf ein alleiniges Feindbild einigen. Denn zu jedem deutschen Käufer gehörte ja auch ein – in den meisten Fällen – mallorquinischer Verkäufer. Auf der Insel gab es eine lebhafte Debatte darüber, wen eine größere Schuld trifft – die Deutschen oder diejenigen, die an die Deutschen verkauften.

Auch die Politik mischt sich ein

Die „friedliche Invasion“, wie die Zeitungen sie damals auf der Insel bezeichneten, sorgte bis in die Regierungen beider Länder hinein für Unbehagen. So traf sich der damalige balearische Ministerpräsident Jaume Matas 1997 bei der Tourismusmesse ITB in Berlin mit dem FDP-Politiker Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Klaus Kinkel. Matas wollte Schäfer seine Besorgnis über eine mögliche Abschottung der Deutschen auf Mallorca überbringen. Der Politiker der konservativen Volkspartei PP hatte zwischenzeitlich angekündigt, auf der Insel Plakate auszuhängen, die die Deutschen an ihre Rechte, aber auch ihre Pflichten erinnern sollten.

Das Treffen zwischen Matas und Schäfer dauerte rund eine halbe Stunde. Am Telefon berichtet der inzwischen 90-jährige Schäfer der MZ, dass es ein harmonisches Gespräch gewesen sei. „Matas war damals sehr zufrieden mit dem Verlauf unserer Unterhaltung. Ich habe ihm zugesichert, dass ich seine Besorgnis weitergeben werde, was ich auch getan habe.“

Ministerpräsident Jaume Matas machte sich seinerzeit Sorgen um eine deutsche Getto-Bildung.

Ministerpräsident Jaume Matas machte sich seinerzeit Sorgen um eine deutsche Getto-Bildung. / DM-Archiv

Seinem für derartige Angelegenheiten zuständigen Referatsleiter habe er das Anliegen von Matas vorgetragen. Was im Endeffekt aus der ganzen Sache geworden sei, wisse er nicht mehr. Aber auch er habe damals die Meinung der Mallorquiner geteilt, dass die Deutschen auf der Insel „sich an die Gegebenheiten anpassen müssen und beim Bäcker nicht einfach Deutsch reden können“.

Kurz darauf war die Ära Matas, die sich auch durch eine ungezügelte Bautätigkeit charakterisierte, beendet. Der neue Ministerpräsident Francesc Antich, ein Sozialist, dem viel am Thema Landschaftsschutz lag, begann, Bauland in Grünflächen umzuwidmen und somit den Immobilienboom einzudämmen. Er erinnert sich im MZ-Gespräch gut an diese Zeit. „Wir haben das Thema ganzheitlicher gesehen und nicht nur als deutsche Invasion. Für uns war klar, dass wir die Raumplanung auf der Insel neu aufstellen und neue Naturparks ausweisen mussten, um weitere monströse Neubauprojekte zu verhindern“, berichtet Antich.

Schon damals ein Thema: den Verkauf von Immobilien an Nicht-Residenten beschränken.

Schon damals ein Thema: den Verkauf von Immobilien an Nicht-Residenten beschränken. / DM-Archiv

Den Verkauf beschränken?

So habe man, ohne sie explizit zu verbieten, die Investitionen von wohlhabenden Ausländern auf der Insel deutlich einschränken können. Denn auch damals stand man vor der Frage, mit welcher Formel man Immobilienverkäufe an Nicht-Residenten beschränken könnte. Und auch damals lautete die Antwort wie heute: Die Freizügigkeit in der Europäischen Union lässt dafür keinen Spielraum. Allerdings schien man der Sache zu dieser Zeit ein Stück näher gewesen zu sein. In einem Interview sagte ein damaliger Berater der EU, er könne sich Beschränkungen beim Immobilienerwerb vorstellen, sofern diese alle EU-Ausländer gleichermaßen träfen.

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