Nur wenige halten es lange aus in den Kammern, die der venezolanische Künstler Carlos Cruz-Diez im Museum für zeitgenössische spanische Kunst in Palma für seine Ausstellung "El color sucede" (Farbe geschieht) bauen ließ. Wenn die Besucher in die erste von drei Kammern treten und die Welt nur noch blau ist, wandeln sie wie durch einen Traum. Nichts holt in die Wirklichkeit zurück: An der Decke ein paar Leuchtröhren, aus denen Farbe in den Raum strömt und die glatten Wände überflutet, ja selbst die Luft einzufärben scheint.

Das große Blau als Sinnes­experiment. Man verlässt den blauen Kosmos und taucht in einen roten, danach in einen grünen ein. Der Sehsinn schlägt Alarm, der Kopf misstraut den Augen und sucht in sich selbst nach all den abwesenden Farben, um den Normalzustand wiederherzustellen. Wenn man die tatsächlich zu sehen beginnt, setzt Verstörung ein, und man geht besser wieder raus.

Cruz-Diez denkt seit 50 Jahren über Farben nach. Das Gedächtnis, sagt er, ist bei Farben unpräzise, denn wie sie wahrgenommen werden, hängt von den Umständen ab. Damit erkläre sich die Befremdung dessen, der einen gekauften Artikel zu Hause plötzlich ganz anders sieht als im Laden (und auch der rote Leuchtkörper über der Metzgerware).

Im Museum für zeitgenössische Kunst manipuliert Cruz-Diez das Auge mit feiner Klinge. Neben den Farbkammern zeigt er Bilder, die ihr Aussehen tatsächlich oder nur scheinbar verändern. Als würdiger Vertreter der kinetischen Kunst macht er seinen visuellen Experimenten auch mit Elektromotoren Beine.

Die Unmenge an Bildern und Klängen, mit denen wir heute bombardiert werden, hat uns ­"visuell taub und akustisch blind" gemacht, sagt Cruz-Diez, der trotz seiner internationalen Bekanntheit bisher noch nie in Spanien ausgestellt hat. Seine Kammern nennt er "Farbsättigungen". Eine Schocktherapie, die uns neue Antennen für das Phänomen Farbe aufsetzen soll.

"Carlos Cruz-Diez - El color ­sucede" ist bis 27. Juni im Museu d´Art Espanyol Contemporani, in Palma zu sehen. Carrer Sant Miquel 11. Tel. 971-71 35 15.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

- Gemälde, die wie Fotos aussehen: Girbent in der Galerie Horrach

- Jonathan Richman und seine Lieder

- Fitzners Kunststückchen: Auf der Suche nach Barnardí Roig