Ein Leben wie ein Trommelwirbel: Rumänischer Vater, griechische Großmutter, russische Wurzeln, „irgendwo auch ein Ungar im Stammbaum“, jedenfalls eine unruhige Mischung aus Rhythmus, Temperament und Kreativität, die den jungen Musikprofessor Harald Weiss auf die Bühne trieb. Mit „Solo-Perkussionstheater“, worunter sich a priori nur wenige etwas vorstellen können, machte sich der Deutsche einen Namen, bereiste die ganze Welt und verdiente genug, um sich 1984 ein Haus auf Mallorca, in Colònia de Sant Pere, zu kaufen, wo er heute lebt und komponiert.

Es ist eigentlich komplizierter - Brasilien, Regie, Filme, Opern, vier Kinder auf drei Kontinenten -, aber irgendwo muss man eben anfangen. Ein guter Ansatzpunkt ist die Auszeichnung, für die Harald Weiss in der Kategorie „Komposition Musiktheater“ nominiert wurde und die am Donnerstag (28.5.) erstmals vergeben wird: der Deutsche Musikautorenpreis 2009.

Nahezu gleichzeitig feiert er Premiere: Beim Evangelischen Kirchentag wird am Donerstag (21.5.) sein „Bremer Requiem“ uraufgeführt, ein sinfonisches Werk, an dem er in seinem Haus in Colònia de Sant Pere zwei Jahre lang gearbeitet hat.

Zwei Marksteine einer Karriere, die Harald Weiss als halbwüchsiger Schlagzeuger bei einer Rockband beginnt. „Ich bin in den 68ern rebellierend aufgewachsen“, sagt er mit der Abgeklärtheit eines jugendlichen 60-Jährigen, der viel hinter sich, aber auch noch viel vor hat. Man könnte die Facette des sinfonischen Komponisten, der in diesem griechisch weißen Patio am Tisch sitzt und in den riesigen Notenblätter seines Requiems blättert, mit dem Alter in Verbindung bringen und mit einem gewissen Sarkasmus dem wilden Trommler gegenüberstellen, der er war, doch Harald Weiss scheint grundsätzlich auf mehr als einem Gleis unterwegs zu sein.

Der rebellierende Rock-Schlagzeuger jedenfalls studierte an der Musikhochschule - u.a. natürlich Perkussion - und begann ein ordentliches Leben als Musikprofessor in Hannover.

„Ich bin in Deutschland geboren, habe einen deutschen Pass, bin deutsch erzogen, habe das deutsche Abitur, ich bin ein kompletter Deutscher, aber vom Blut her eben nicht so ganz“, sagt Weiss, um zu erklären, was danach passierte. Seine Leidenschaft, die Perkussion, erwies sich als Feld voller Beschränkungen. „Den größten Teil der Zeit zählt man Takte, die man nicht spielt. Man sitzt zwar im Orchester, aber nicht so richtig im Geschehen.“ Tatsächlich gibt es kaum Stücke, die für Schlagzeugsoli geschrieben worden sind, und das wenig Vorhandene sei oft „mathematisches Gedusel“.

Nachdem Europa das Gesuchte nicht bot, studierte Weiss andere Kulturen, an erster Stelle Afrika, „wo die Trommel kein Zusatzinstrument ist, sondern vitaler Mittelpunkt. In Afrika ist der Trommler neben dem Bürgermeister der wichtigste Mann im Dorf.“

Bildlich gesprochen packte Weiss sein Trommelzeug zusammen, verließ das Orchester und baute seinen Kram auf einer anderen Bühne neu auf, und zwar allein. Was er dann erfand, ist so ungewöhnlich, dass sich viele Autoren in den Satz flüchten: „Harald Weiss passt in keine Schublade.“

1979 wagte er sich vor einem kleinen Häufchen Freunde und Bekannter erstmals auf eine Bühne. „Ich hatte keine Ahnung, ob man so was überhaupt öffentlich vorzeigen konnte.“

So was: Spiel mit Rhythmen, Oberflächen, Schauspielerei, Stimme, später dann auch mit kleinen Textelementen. Die Mini-Premiere bei einem Mini-Festival bei Frankfurt war so erfolgreich, dass Weiss sich unvermittelt in Berlin wiederfand. Von da an war er unterwegs, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, oft im Auftrag deutscher Kulturinstitutionen, und auch in Afrika.

Einen Trommler nach Afrika schicken, das klingt nach dem berühmten Kühlschrank für Eskimos. Doch in seinen Programmen („Trommelgeflüster“, „Tänze ums hölzerne Pferd“, usw.) steckte viel Europa und krochen mit der Zeit auch Worte zurück, die Weiss in alle Sprachen übertrug - „die Chinesen waren verblüfft“.

Zwischendurch blieb Weiss in Brasilien hängen, wo er zehn Jahre lang lebte, an der Uni in Bahia Perkussion lehrte, und wo er noch heute ein Haus hat (und eine Tochter). Seine Wanderjahre resümiert er mit: „Viel Afrika, viel Indien, viel Südamerika.“ Als Musiker genoss er das Privileg, „zu reisen und dafür auch noch bezahlt zu werden“. Er gehörte auch zu den Privilegierten, die von der Bundesrepublik für ihr Gesamtwerk mit einem Jahr Dolce Vita in der Villa Massimo verwöhnt wurden, Lohn einer der wichtigsten deutschen Kulturauszeichnungen.

Nun also Colònia de Sant Pere, was im Vergleich beinahe bieder klingt. Weiss arbeitet schon am nächsten Werk, ein Requiem für den NDR, das möglicherweise auch auf Mallorca aufgeführt wird. Die Trommeln seines Solo-Perkussionstheaters hat er sorgfältig weggepackt. „Das Kapitel ist abgeschlossen“, sagt er zu Beginn des Gesprächs. Am Ende wirkt er nicht mehr so sicher. Juckt‘s ihn etwa wieder in den Fingern? Das energische Nein scheint Weiss im Hals stecken zu bleiben.

Auf unserer Website www.mallorcazeitung.es bieten wir einen Link zum Video eines Solo-Perkussionstheaters von Harald Weiss.

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