Die Meteorologen hatten für ­Donnerstagabend (17.9.) ein Gewitter angedroht, stattdessen brach eine Flut über die Innenstadt her – eine Besucherflut, und was für eine. Tausende waren auf den Beinen, wie viele genau, weiß kein Mensch. Einzig einen Anhaltspunkt gibt es: Im Es ­Baluard gab man am Eingang Gratis- tickets aus, und so konnte die Museumsleitung am folgenden Tag vermelden, dass sich in den vier offiziellen Stunden der Nit de l´Art, von 20 bis 24 Uhr, mehr als 4.400 Personen in das Getümmel der Es-Baluard-Säle stürzten. Dort hatte eine neue Ausstellung eröffnet: „Paisatges creuats" (wörtlich: gekreuzte Landschaften) – ein Potpourri aus dem Fundus und genau das Richtige für einen Abend, an dem Abwechslung angesagt war.

Nicht weit entfernt stellten Alejandra und Maribel Bordoy von Aba Art Contemporani fest, dass nicht einmal die Baustelle vor der Haustür – die gesamte Plaça Santa Catalina ist in Arbeit – das Publikum aufhielt. Dieses wurde eher gefiltert, und zwar effizient: Obwohl die Nit de l´Art bei den Galeristen mehr als Image- und Society-Event läuft, sammelten sich in der Galerie Aba Art die roten Verkauft-Pünktchen an. Dabei schickten die Zwillinge mit der Koreanerin Yenting Chung und der Amerikanerin Michelle Yu zwei absolute Newcomer ins Rennen, die noch nie in einer kommerziell geführten Kunstgalerie ausgestellt hatten.

Zwischen Es Baluard und dem Borne verlief eine der Hauptschlagadern der Nit de l´Art: Die C/. Sant Feliu und ihr Umfeld haben sich zum Kunstterritorium par excellence entwickelt. Hier zogen auch die beiden deutschen Galerien Kunstmann und Kewenig das Publikum in ihren Bann, die erste mit Stefan Gnads Landschaften, die zweite mit einer Performance der Malerin Nina Hoffmann in der gotischen Kapelle. Über eine Stunde lang beobachtete eine gedrängte Menge, wie die Künstlerin sich selbst mit erhitztem Wachs übergoss, allmählich zu einer gespenstischen Figur mutierte, um das weiße Material dann mit Hilfe eines Bügeleisens wieder wegzuschmelzen.

Die einzige Galerie, an der die Flut nahezu achtlos vorbeiströmte, war SKL. Vielleicht flößte die ­enorme Projektion eines Porträts des Königs Juan Carlos zu viel Ehrfurcht ein. Dabei ist sehenswert, wie der Künstler Marcelo Víquez sich mit Fotografie, Zeichnung und Videoinstallation dem Thema Hierarchie angenähert hat.

Im Casal Solleric war wie jedes Jahr der Teufel los, gleich drei neue Ausstellungen wurden eröffnet, und obwohl die Werke junger Comic-Zeichner Furore machten, verdienen die Schwarz-Weiß-Porträts des afrikanischen Fotografen Malick Sidibé besondere Erwähnung: Hier verlangsamte sich der Besucherstrom.

Auf der anderen Seite vom Borne brodelte es im Kunstnest Pelaires-Caja Blanca-Joan Guaita. Nach dem ersten Ansturm wurde es hingegen in der Galerie Mar Gaita rasch ruhig, obwohl die Aquarelle von Eduard Vich und Tudanca den Geschmack eines breiteren Publikums treffen.

Vor dem Gran Hotel wurden Graffiti-Künstler auf den Kiosk losgelassen, die Open-Air-Ausstellung der Künstlervereinigung Arte Visión litt allerdings unter der allzu schummrigen Beleuchtung.

In der Galerie Empire Art in der C/. Sant Jaume sah sich der deutsche Künstler Schüno mit seiner Struktur-Art von einem Besucherstrom umspült, der eher an eine U-Bahn-Station erinnerte, während auf der Plaça Santa Magdalena Performance angesagt war – die Galería Berlín, trotz ihres Namens keine deutsche Initiative, folgte mit einem Aufgebot von 50 Künstlern der von einem deutschen Strategen geprägten Strategie: Nicht kleckern, sondern klotzen.

Gegen Mitternacht dann die Erkenntnis: Vier Stunden sind zu wenig, das Angebot ist zu riesig, man brauchte einen ganzen Tag. Aber es heißt eben „Nit de l´Art" – die Nacht der Kunst.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem

- Comeback der Gurugús mit Filmfestival zum Thema Menschenrechte

- Denker-Gipfel in Formentor mit Stargast Nobelpreisträger Saramago