Mit der Backsteinwand im Bühnenbild ist das „Harlem" im Stadtteil Molinar von Palma ein typisches Kleinkunstlokal. Es ist Donnerstagabend, und die ­„Diabéticas Aceleradas" bereiten ihren ersten Saisonauftritt auf dieser Bühne vor. Auf Tischen liegen Fummel herum – eine unverzichtbare Zutat. Travestie ist ein Kernelement des mallorquinischen Kabarett-Humors, und ältere Frauen sind ein beliebtes Vehikel, um die Reibungsflächen zwischen Tradition und Aktualität komödiantisch zu verwursten.

In einer der ersten Nummern navigieren zwei alte Mallorquinerinnen zu Fuß mit einem GPS durch Palma. Die keifende Alte ist die Glanzrolle von Pep Noguera, einziges noch aktives Gründungsmitglied dieser nun 25 Jahre alten Truppe. Noguera macht für den Lokalsender IB3 eine Radiosendung und ist der einzige klinische Diabetiker der Gruppe. Daher auch der Name: Als das Ensemble noch namenlos in einem Club an der Plaça Gomila einem Auftritt entgegenfieberte, der sich bis in die Morgenstunden hinauszögerte, wurde Noguera nervös, weil er sein Insulin brauchte, und die Moderatorin sagte spontan die „nervösen Diabetikerinnen" an.

Pep Noguera beginnt, sich im WC zu schminken, es ist nicht viel Platz, das Interview findet zwischen zwei Pissoirs und einem Waschbecken statt. Die „Diabéticas" haben alle Höhen und Tiefen des Showgeschäfts durchlebt. „Wir sind U-Bahn und Limousine gefahren" sagt Noguera. „Man sollte mit beidem klarkommen."

Limousine ist momentan keine in Sicht – an diesem Abend kommen gerade so viele Gäste, wie Jahre zu feiern sind –, aber es ist noch keine sechs Jahre her, da boten die Mallorquiner in Cannes bei der Premierenfeier zu Pedro Al­modóvars „Schlechte Erziehung" ihre Show dar. „Im Publikum waren Julia Roberts und Quentin Tarantino", erinnert sich Noguera, der mit Almodóvar befreundet ist. Einmal sind die Diabéticas sogar in einem seiner Filme aufgetreten: „High Heels" (1991).

Der Programmzettel des Harlem definiert den Stil des Ensembles als „humoristischer Humor im Stil eines boshaften Kabaretts mit almodovarianischer Travestie". Die Verweise auf die mallorquinische Realität sind in homöopathischen Dosen eingestreut. So singen zwei ­„Diabéticas" als Jaume Matas und Maria Antònia Munar den „Jailhouse Rock". Doch im Grunde seien sie unpolitisch. „Matas und Munar haben nichts mit Politik zu tun, die sind schon Teil unserer Folklore." Die Krise lässt Noguera außen vor. „Ich finde absolut nichts Komisches daran, wenn die Menschen sogar schon Schwierigkeiten haben, Essen zu kaufen."

Die Sprechparts werden großteils katalanisch, die Lieder meist spanisch dargeboten, manche Nummern bieten ausreichend wortlosen Humor, um auch sprachlich Unbeleckte zu unterhalten. Und wie halten es die „Diabéticas" mit den ausländischen Residenten? Der Blick schweift weit in die Vergangenheit: Das erste Bühnenspektakel im Auditorium nach der Rückkehr aus Madrid Anfang der 90er Jahre drehte sich rund um die matançes (Schlachtfeste) und die schwierige Kommunikation eines mallorquinischen Bauern mit seiner deutschen Nachbarin. Noguera: „Damals kamen so manche Deutsche in unsere Show."

„Molt d´Anys Diabéticas". Im Sommer Darbietungen jeweils donnerstags 23.00 Uhr im Harlem (El Molinar, Palma) und freitags 22 Uhr im Café-Theater „Sa Botiga de Buffon´s" (Palma).

In der Printausgabe vom 10. Juni (Nummer 527) lesen Sie außerdem im Ressort Kultur:

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