München, März 1978: Patti Smith ist auf Europa-Tournee. Freunde müssen mich erst zu dem Konzertbesuch überreden. Ich stehe mehr auf die Improvisationen von Iron Butterfly, Cream, Pink Floyd oder Colosseum als auf dreiminütige Songs wie die von Patti Smith.

Doch was die rund 2.000 Zuhörer erleben, ist ein Rockgewitter. Die Menge tobt, schwitzt, grölt jeden einzelnen Song mit, taumelt, springt, hüpft vorne, an den Seiten, in der Mitte und hinten im Saal Pogo. Die Tanzfläche bebt.

Auf der Bühne veranstaltet Patti Smith ein wahres Feuerwerk. Sie trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „MC 5. All Power to the People“. Die 32-jährige Rock-Rebellin flitzt über die Bühne wie Rumpelstilzchen, dann steht sie plötzlich wieder da und schreit, nein schleudert mit ihrer durchdringenden Stimme ihr Lied „Rock’n’roll Nigger“ in den Saal. Die Lichtkegel und flammenden Blitze der Lightshow lassen die schweren Rauchschwaden aus Dope und Tabak wie Wolken aus einer anderen Welt erscheinen.

New York, 1969, Chelsea Hotel, in dem gleichnamigen Stadtviertel. Hier wohnte die 23-Jährige mit dem Künstler und Fotografen Robert Mapplethorpe. Patti Smith bezeichnet die Liebe der beiden in ihrer Autobiografie „Just Kids“ als „die Geschichte einer Freundschaft“.

Das Chelsea war Anlaufpunkt für Poeten, Schriftsteller, Künstler und Musiker. Allen Ginsberg hat dort acidgetränkte Gedichte verfasst. William Burroughs logierte hier. Bob Dylan und Leonard Cohen bezogen hin und wieder Zimmer. Mick Jagger, Keith Richards und Marianne Faithfull dröhnten sich hier zu.

Patti Smith hat zu dieser Zeit schon einige Gedichte geschrieben und sich auch an der Malerei versucht. Doch die Musik muss sie erst noch in sich entdecken.

Den Zugang findet sie in einem Restaurant neben dem Chelsea Hotel. Die junge Frau trifft dort auf Country Joe and the Fish, Jimi Hendrix, Janis Joplin und die Big Brother & the Holding Company, Grace Slick, die Jefferson Airplane und Johnny Winter.

Patti Smith will werden wie sie. Schon einige Wochen zuvor hatte sie ein Konzert von den Doors und Jim Morrison besucht. Der Sänger mit seinen ekstatischen Gesang, provokativen Texten und lasziven Bewegungen beeindruckte Patti Smith. Sie spürte: Das kann ich auch.

Doch es soll noch Jahre dauern, ehe sie mit dem Gitarristen Lenny Kaye und dem Pianisten Richard Sohl 1974 ihre erste Single mit den beiden Titeln „Hey Joe/Piss Factory“ veröffentlicht. In „Just Kids“ schreibt Smith: „Wir betrachteten uns als sons of liberty und sahen unsere Mission darin, den revolutionären Geist des Rock’n’Roll zu bewahren, zu schützen und weiterzutragen.“

Sie hätten auch Angst gehabt, von gierigen Geschäftemachern hintergangen zu werden, schreibt sie. Ende 1975

erscheint ihr von John Cale produziertes Debütalbum „­Horses“ und findet schnell Beachtung. Zur Patti Smith Group waren zuvor noch der Schlagzeuger Jay Dee Daugherty und der Gitarrist Ivan Kral gestoßen. Das Foto von Patti Smith auf dem Cover stammte von Robert Mapplethorpe.

Nach einem Konzert im September 1979 in Florenz vor 70.000 Besuchern verabschiedet sich Patti Smith von der Bühne. Sie heiratet im März 1980 Fred „Sonic“ Smith, der Gründungsmitglied und Gitarrist von MC 5 gewesen ist. Die Band aus Ann Arbor bei Detroit war in den 1960er Jahren die bekannteste und radikalste politische Rockgruppe in den USA.

Patti Smith studiert Kunst und Politik, bügelt, kocht, schrubbt Toiletten und zieht ihre beiden Kinder groß. Erst 1988 erscheint mit „Dream of Life“ wieder eine Platte von ihr. 1989 stirbt Robert Mapplethorpe, 1994 ihr Mann Fred „Sonic“ Smith. Musikerkollegen wie Neil Young, Bob Dylan und Michael Stipe von R.E.M. müssen die tieftraurige Patti Smith zu einem Comeback überreden. 1996 veröffentlicht sie „Gone Again“.

Madrid, Sommer 1996, Patti Smith tourt wieder. Mein Wiedersehen mit ihr nach 18 Jahren. Die Welt ist eine andere. Doch Patti Smith beherrscht noch immer den alten Zauber der Rock‘n‘Roll-Energie. Ihr 13-jähriger Sohn Jackson spielt bei einigen Songs Gitarre.

Palma de Mallorca, März 2008. Teatre Principal. Zwölf weitere Jahre sind vergangen. Die 61-Jährige flitzt noch immer über die Bühne wie Rumpelstilzchen, steht da, schreit, nein, schleudert ihr „Rock’n’roll Nigger“ in den Saal. Alle toben. Auch diesmal steht ihr Sohn Jackson mit auf der Bühne. Und Lenny Kaye, ihr Freund und Begleiter der ersten Stunde. Auch Jay Dee Daugherty ist am Schlagzeug dabei.

Lloseta, Sommer 2010. Die Blume des bösen Rock’n’Roll kommt wieder. Mit den Gitarristen Lenny Kaye und Jack Petruzelli, dem Bassisten und Organisten Tony Shanahan und dem Schlagzeuger Jay Dee Daugherty. Ich werde dabei sein. Molt d’anys, Patti Smith.

Patti Smith & Her Group: 12. Juli 2010. Lloseta. Jardins Palau Comtes d’Aiamans. 22 Uhr. Garten und Abendkasse ab 20 Uhr geöffnet. Eintritt: 32 - 35 Euro. www.fonart.com

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