Perfekter kann man das Klischee vom traurigen Clown kaum vermitteln: Emmanuel Danet sitzt im kalten Zelt des Circ Bover, der Regen prasselt auf die Planen, und die Hand des Franzosen ist verbunden – er hat sich bei den Proben verletzt, keine zwei Wochen vor der Premiere, und nun wirkt er etwas niedergeschlagen. Auch die Geschichte, die er erzählt – und mit der die neue Zirkusshow beginnt – ist eigentlich zum Heulen: Ein Mann schleppt sich deprimiert durchs Leben, nichts mag ihm gelingen, selbst als er sich umbringen will, geht das furchtbar daneben.

„Das erzählen wir natürlich mit Humor", fügt „Manu" zur Sicherheit hinzu. Und die Geschichte geht natürlich so weiter, wie im Circ Bover alle Geschichten weitergehen: Aus dem Drama wird ein Spektakel, kuriose Figuren stoßen hinzu und bringen mit ihren Verrücktheiten das Publikum zum Lachen, aus dem Humor erwächst Hoffnung, und am Ende versteht man, warum der Mann so traurig war, und auch, wie man Traurigkeit besiegt.

Im Circ Bover, Mallorcas einzigem zeitgenössischen Wanderzirkus, werden keine Löwen in die Manege gelassen, sondern die Dämonen der Traurigkeit durchs Zelt getrieben und am Ende vertrieben. Am Donnerstag (23.12.) hatte die neue Show „Maresia" Premiere, bis 23.1. wird das kleine Zelt im Parc de la Mar stehen und jeweils von Freitag bis Sonntag Zuschauer aller Altersklassen dazu einladen, den Alltag zu vergessen.

Dass sich kurz vor der ­Pre­miere die Hauptfigur verletzt, dass man in letzter Minute die Inszenierung umschmeißen muss, um „Manus" Hand zu schonen, dass es beim Aufbau des Zeltes in Strömen gießt, dass die Stadtverwaltung Palma für den Standplatz 5.000 Euro verlangt, wenn sie ihn überhaupt freigibt, und dass man monatelang proben muss, um ein neues Programm einzustudieren, während man keinen Cent einnimmt – alles das gehört hingegen zum Alltag jener, die sich auf das Abenteuer Zirkus einlassen.

Tià Jordà ist trotz seiner jugendlichen 32 Jahre bewandert in allem, was Wanderzirkus anbelangt. Vor fünf Jahren kaufte er sich in Frankreich für 2.000 Euro ein gebrauchtes, löchriges Zelt, um einen eigenen Zirkus auf die Beine zu stellen. Am 15. August 2005 feierte der Circ Bover seine Premiere in Sineu. „Das Zelt hatten wir geflickt, alles war improvisiert, ein paar Holzbretter am Boden mussten als Bühne herhalten", erinnert sich Jordà.

Seither hat es viel geregnet. Seither hat Jordà ein schönes neues Zelt gekauft, und wenn sich der Circ Bover – benannt nach einer auf der Insel heimischen Schneckenart, „weil auch wir mit dem Haus auf dem Rücken herumreisen" – in Bewegung setzt, ist das heute beinahe ein Kolönnchen: ein Lkw, zwei Wohnmobile, ein Lieferwagen und zwei Anhänger, und derzeit fünf Künstler, zwei Musiker und vier Techniker.

Mit seiner Truppe ist Jordà mittlerweile viel herumgekommen, auf dem spanischen Festland und ohne Zelt auch weiter weg. Mit Straßen-Shows hat er unter anderem bei Festivals in Südamerika agiert und eine Benefiztour durch die Flüchtlingslager der Saharawis in Algerien unternommen. In Brasilien kam ihm die Idee für den Namen des neuen Spektakels, „Maresia", ein Wort aus dem Brasilianischen, das zwei Bedeutungen hat: Geruch nach Meer und Nostalgie.

So romantisch das alles klingt – im 21. Jahrhundert einen Wanderzirkus zu betreiben, ist ein ebenso verrücktes wie schwieriges Unterfangen. Wie ist ein 27-Jähriger – so alt war Tià Jordà damals – auf eine solche Idee gekommen?

Die Familiengeschichte macht das Ganze noch rätselhafter. Jordàs Eltern sind einfache Leute bäuerlicher Herkunft, der Vater arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Taxifahrer in Palma. Das Paar hatte acht Kinder, „und alle haben eine kreative Ader, selbst jene, die in ´normalen´ Berufen arbeiten", erzählt Jordà.

Nicht nur das Kreative hätten sie gemeinsam: „Jeder von uns wusste schon immer genau, was er wollte und hat es allen Widerständen zum Trotz durchgezogen." Bei Jordà war es eben die Schaustellerei. Gegen den Rat seiner Eltern besuchte er in Palma eine private Theaterschule, und als dort irgendwann ein Trapez aufgestellt wurde, war ihm schlagartig klar: Das war es. Mit diversen Jobs sparte er, um nach London zu gehen und dort an einer namhaften Zirkusschule zu studieren. Jordà belegte die Fächer Clown, Trapezkünstler und Jongleur. Nach einem Jahr ging ihm das Geld aus. Er reiste durch Lateinamerika, schlug sich als Straßenkünstler durch und landete an der Zirkusschule von Havanna.

Danach hatte er das Glück, am katalanischen „Circ Cric" Aufnahme zu finden, einem zeitgenössischen Zirkus, also ohne Tiere, geleitet von Tortell Poltrona, dem Gründer der „Clowns ohne Grenzen". „Das erste Jahr war eine ungeheuer schöne Zeit", erinnert sich Jordà. „Wir waren jung und von dem Projekt begeistert. Damals lernte ich alles, was man in einem Zirkus können muss."

Diese Fähigkeiten reichen vom Aufstellen eines Zeltes über die Buchhaltung bis zum Auftritt als Clown. Aber mit diesem 45 Köpfe starken Zirkus, der mit einem Zelt für 1.000 Besucher durch Spanien zog, lernte Jordà auch die Schattenseiten kennen. „Es ist ein wunderschöner Beruf, aber ein sehr harter. Wenn dir Geld wichtig ist, dann machst du das gar nicht."

Im zweiten Jahr ging es beim „Circ Cric" weniger enthusiastisch zu. Jordà nahm Abschied, um seinen eigenen Zirkus zu gründen. Ganz allein war und ist er nicht: Jordàs Bruder Biel betreibt eine Theatergesellschaft namens „Res de Res" (Deutsch: Nichts, aber rein gar nichts). Die Schnecken- und die Nichts-Truppe schließen sich manchmal für Produktionen zusammen.

Und die Familie? „Mein Vater hat mich hart kritisiert" sagt Jordà, „aber wenn ich ihn brauchte, war er immer da. Er hat mir enorm viel geholfen." Und kommen die Eltern zu den Premieren? „Zu jeder." Jordà lächelt verlegen. „Und sie weinen. Jedes Mal."

"Maresia", Circ Bover, bis 23.1. jeden Freitag, Samstag und Sonntag um 19 Uhr, Parc de la Mar, Palma, Eintritt: 14 Euro Erwachsene, 12 Euro Kinder.