Kunst erschließt sich bekanntlich nicht immer auf den ersten Blick. Was hantiert ein mit 93 Jahren doch schon recht betagter Herr mit einer Polyurethan-Spritzpistole und einer Spraydose in seinem Garten in Alaró? Wieso verbindet dieser Alfred Lichter sich bei anderer Gelegenheit die Augen und zeichnet dergestalt erblindet mit einer in Tusche getränkten Feder? Weshalb greift er auch mal zum Besen, um die auf der Leinwand vergossene Farbe zu verteilen?

Was soll das alles? Was bezweckt er damit?

Wenn er denn unhöflich wäre, was er nicht ist, könnte Alfred Lichter fortan fragenden Gesichtern eine DVD vor die Nase zu halten. In der gut 60-minütigen Dokumentation „Es werde Licht" beschreibt der TV-Autor Werner Krüger präzise und liebevoll das künstlerische Universum des 1917 in Oberschlesien geborenen Künstlers. Der Film feierte Mitte 2010 im CCA in Andratx im Kreise von Verwandten und Freunden Premiere und wird voraussichtlich demnächst in einem der dritten Programme im deutschen Fernsehen sowie im Herbst im Club der Mallorca Zeitung zu sehen sein.

Deutlich wird in „Es werde Licht" vor allem der zutiefst spirituelle Charakter seiner Arbeit. Kunst sei für ihn ein „Tor zum geistigen Leben", sagt der Maler und Bildhauer gleich zu Beginn des im vergangenen Frühlings auf Mallorca gedrehten Films. Seine Werkzyklen mögen noch so unter- schiedlich sein, immer aber dreht es sich in ihnen darum, „Energie" zu erkunden: von der naiven Malerei – „Kinderbilder können mich zu Tränen rühren" – über die künstlerische Einverleibung expressionistischer Meisterwerke bis hin zu den fast rein abstrakten Werken der vergangenen Jahre.

Lichter lässt sich dabei immer mehr von einem wie auch immer gearteten Geist die Zügel aus der Hand nehmen. Er sprüht unüberlegt Polyurethan-Skulpturen, streicht Tuschezeichnungen und fegt Ölbilder – und schaut, was passiert. Dahinter steckt Prinzip: „Was wir Zufall nennen, ist vielleicht die Logik Gottes", zitiert der katholische Künstler im Film den ebenfalls katholischen Schriftsteller Georges Bernanos.

Den „Zufall als Partner" zu haben, wie es an anderer Stelle heißt, bedeutet aber auch, dass der Künstler sein Ego zurückstellen muss, um dem Unbewussten den Vortritt zu lassen. Es passt dazu, dass Alfred Lichter ein zutiefst bescheidener Zeitgenosse ist – auch das wird in den Interviews mit Familienangehörigen, Galeristen, Kunstsammlern und Freunden in „Es werde Licht" deutlich. Als junger Mann konnte Alfred Lichter gerade mal zwei Jahre Kunst studieren, bevor ihn der Zweite Weltkrieg fortriss. Als der vorbei war, musste Geld verdient werden. Als Grafiker baute Lichter eine erfolgreiche Werbeagentur auf, die er Mitte der 70er Jahre verkaufen konnte. Sich ganz und gar der Kunst widmen, kann er eigentlich erst, seitdem er seit nunmehr über 30 Jahren auf Mallorca lebt. Es ist ein Lebensweg, der offensichtlich gelassen macht.

Ursprünglich, erzählte Werner Krüger am Samstag im CCA, habe er einen Film über Kunst und Vergänglichkeit, Kunst und Tod, machen wollen. Erst bei den Dreharbeiten sei ihm bewusst geworden, wie relativ das Verstreichen von Zeit sei. „Wenn der Tod keine große Rolle spielt – und er tut es für mich nicht – spielt auch das Alter keine Rolle", sagt auch Lichter in dem Film. Und: „Es wird eine andere Ebene sein, auf der ich wei- terlebe." Es klingt nach Vermächtnis – ist aber die Erläuterung eines künstlerischen Werks.