Pau Waelder ist der Sohn eines eingewanderten chilenischen Werbe­fachmanns und Künstlers. Als Kurator hat er in Palma aufsehenerregende Ausstellungen digitaler Kunst wie „Extimitats" im Museum Es Baluard oder die interaktiven Installationen in der „Zona Zero" des Casal Solleric mitgestaltet. Für das Festival ArtFutura, das alljährlich die Tendenzen im audiovisuellen Schaffen vermittelt (siehe Kasten), organisierte er im baskischen Bilbao eine Podiumsdiskussion über die Vergangenheit und Zukunft der digitalen Kreativität. Wir sprachen mit dem 37-Jährigen über Kunstwerke für die Hosentasche und die Lehren des Buddhismus und Dadaismus für aktuelle Künstler.

Ist die digitale Kunst im Vorteil, weil sie das Neue repräsentiert?

Die Zeit der puren Technologie-Faszination geht dem Ende zu. ´Avatar´ war technisch faszinierend, aber als Film kompletter Mist. Das Bezeichnende ist, dass nun auch ein Regisseur vom Format eines Wim Wenders mit 3D-Technologie arbeitet, wie er das bei seinem Film über die Choreo­grafin Pina Bausch getan hat. Da geht es nur noch um den Inhalt.

Aber die Kinos waren bei ´Avatar´ voller als bei ´Pina´.

Weil ´Pina´ dem Publikum mehr Anstrengung und Bildung abverlangt. Aber nachdem mit digitalen Technologien heute grundsätzlich alles visuell dargestellt werden kann, was sich ein Regisseur vorstellt, wird es immer schwerer, alleine mit Technologie zu punkten. Wir steuern auf die postmediale, postdigitale Epoche zu. Für den Nutzer gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied mehr zwischen einem Computer und einer Waschmaschine – beides sind Geräte, die man eben nutzt.

Was ist das Besondere am diesjährigen ArtFutura-Festival?

Der Blick zurück. Wenige sind sich bewusst, dass das digitale Schaffen bereits eine lange Geschichte hat. Vor einem Vierteljahrhundert wurde der erste Mac vorgestellt. Seither sind eine Menge Dinge passiert, die Aufschluss darüber geben können, wie die Zukunft aussieht.

Zum Beispiel?

Die Entwicklung ist derart rasant fortgeschritten, dass die Gesellschaft bisher keinen kulturellen Rahmen für diese neuen Formen des Kommunizierens schaffen konnte. Dabei hat auch die erwähnte Faszination für das Neue mitgespielt. Sobald jemand mit einem neuen Apparat oder einer neuen Plattform agiert hat, fand man das alleine deshalb interessant. Diese blinde Faszination ist im Abklingen begriffen, wir blicken durch die Technologie hindurch auf die Inhalte. Und damit kann Raum entstehen, um auch diesen kulturellen Rahmen zu schaffen.

Welche Fragen stellt sich der digitale Künstler?

Ich trenne ungern die digitale von der nichtdigitalen Kunst und spreche lieber über zeitgenössische Kunst im Allgemeinen. Und diese vermittelt eine fundamental neue Grundbotschaft. Früher stand die Kunst im Dienst der Ewigkeit, man erinnere sich nur an die Darstellungen der alten Ägypter. Noch der abstrakte Expressionismus ist dem Gedanken der Beständigkeit gewidmet – etwas Abstraktes kann ja nicht vergehen. Aber schon die Pop-Art hat so banale und vergängliche Gegenstände wie eine Suppendose in den Mittelpunkt gestellt.

Und die digitale Kunst setzt dem noch eins drauf.

Richtig, manche Kunstwerke existieren überhaupt nur noch für den Augenblick und werden oft auch gar nicht mehr vom Künstler geschaffen, sondern dieser macht nur das ´Programm´. Ein gutes Beispiel ist eine Installation von Camille Utterback: Der Besucher betritt einen Raum und ein elektronisches System übersetzt dessen Bewegungen in Formen, die auf einem Bildschirm erscheinen. Der Besucher malt quasi mit seinem Körper. Das Bild bleibt ein paar Minuten stehen, dann wird es gelöscht, um Platz für den Nächsten zu machen. Vergänglichkeit pur. Die Akzeptanz derselben ist ja auch im Buddhismus verankert.

Für viele Menschen ist zeitgenössische Kunst ein Betrug.

Weil heute keine Definition der Kunst mehr angestrebt wird, weil alles Kunst sein kann.

Wird das nicht beliebig?

Der Betrachter hat das Recht, etwas nicht zu mögen oder nicht zu verstehen, solange er es nicht alleine deshalb als Mist abtut. Der Zufall ist schon im Dadaismus ein starkes Element, und die digitalen Technologien bieten gerade für interaktive Kunstwerke neue Möglichkeiten. Aber die Technologie kann dazu beitragen, dass Kunst weniger elitär wird, was zu wünschen wäre. 1998 schuf Scott Snibbe ein digitales Kunstwerk, das man als teures Einzelstück in Form eines Bildschirms kaufen konnte. Heute gibt es dafür eine App, und ich habe mir die preiswerte Taschenversion dieses Werks auf mein iPad heruntergeladen.

Das klingt nach leicht kopierbar.

Das Kopieren und Plagiieren sind digitale Kernprobleme. Mit einem Vorteil: Als Urheber ragt man heutzutage mit einer wirklich eigenständigen, originellen Arbeit umso stärker heraus.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 27. Oktober (Nummer 599) lesen Sie außerdem:

- So radikal, wie das Leben es zulässt: Das Inseljahr der Bildermacher

- MúsicaMallorca präsentiert "Konzert der Meisterwerke"

Hier geht's zum E-Papier: epaper.mallorcazeitung.es.