Krebskranke Frauen und Männer ziehen sich vor seiner Kamera aus, ein Modedesigner nimmt eigens für ein Shooting 18 Kilo zu, Schuhfabrikanten erlauben ihm, sündteure Stilettos in großen Eisblocks einzufrieren. Nando Esteva, vor 32 Jahren in Palma geboren, hat nicht nur ein gutes Auge zum Fotografieren, sondern auch ein Händchen für Modelle und Kunden. Dazu kommen ungewöhnliche Ideen, Perfektion und Zielstrebigkeit: Fertig ist der erfolgreiche Fotograf.

Fünf Lux-Preise, die Auszeichnung des Spanischen Fotografenverbandes, drei davon allein in diesem Jahr, hat der Autodidakt schon gewonnen: Einen davon für die Serie "Ópera Carmen", die derzeit im Teatre Principal in Palma zu sehen ist. Aus Liebe zur Kunst hat er die Entstehung der Aufführung von Bizets Oper dokumentiert, auf Video und mit Fotos, im Auftrag des Vereins "Asociación Passione Lirica". "Der Lerneffekt war brutal", sagt Esteva, "nicht nur technisch, auch musikalisch." Stundenlanges Zuhören und Zusehen hinter den Kulissen, in den Garderoben und auf den Rängen, Notenblattgeraschel, Räuspern, Instrumenten-Stimmen, Gähnen - all das hat ein Projekt in Schwarz-Weiß ergeben, das den Lux-Preis in Bronze gewonnen hat, in der Kategorie Reportage.

Einmal im Jahr gönnt sich Esteva ein Non-Profit-Projekt. Sein Geld verdient er aber als Food- und Produktfotograf für internationale Firmen wie Teka und Braun und hiesige Edelmarken wie Farrutx, Camper oder Tristán. Die Kunden gestalten mit Estevas Fotos ihre Imagekampagnen und Präsentationen, auch Rafa Nadal, Marc Fosh oder Gerhard Schwaiger standen schon Modell.

Fotos von Kühlschränken oder Wasserhähnen sind sein täglich Brot, ganze Kataloge gestaltet er, für China, Deutschland, Spanien. Doch wer sich das Ablichten dieser Objekte langweilig vorstellt, der irrt: Esteva gräbt Mikrowellen in Braunkohle ein, stellt Kühlschränke an den Strand oder bindet Langstreckenläufern Duschen auf den Rücken. "Heute bin ich so weit, dass meine Kunden mir kreativen Freiraum geben", sagt er stolz.

Gelernt hat er als Jugendlicher bei einem amerikanischen Reisefotografen, den Esteva sieben Jahre lang weltweit begleitet hat. "Irgendwann hatte ich genug", sagt er, "ich wollte wieder ein Zuhause haben." Dass Mallorca sein Standort geworden ist, das hat persönliche Gründe: Vor knapp zehn Jahren erkrankte sein Vater an Krebs, Esteva wollte in der Nähe sein.

Die Trauer um den Tod des Vater vor vier Jahren hat ein ­weiteres persönliches Projekt inspiriert, das vor einem Jahr in Palma zu sehen war und demnächst in London ausgestellt wird: "Rostres" (Gesichter) zeigt krebskranke Menschen - "einige von ihnen sind mittlerweile verstorben" -, die ihre Nacktheit mit einer Schicht Lehm verbergen und dadurch einander ähnlich werden. "Das Selbstwertgefühl von Krebskranken ist meist nicht sehr hoch," sagt er, "wir wollten sie zu Protagonisten machen und zugleich vom Betrachter Solidarität einfordern." Die Serie hat Esteva einen weiteren Lux-Preis eingebracht.

Und auch die Modefotos der Serie "250 Gr. de tacón" (250 Gr. Absatz) überzeugten die Jury des Berufsverbandes. Die Farbaufnahmen mit Modedesigner José Miró als Fleischer brachten Esteva einen goldenen Lux. Miró nahm für die ungewöhnliche Präsentation seiner Schuhkollektion 18 Kilo zu, schlüpfte in ein Feinripp-Unterhemd und band sich eine Latex-Schürze um. Dann drückte er rote Samtschuhe durch den Fleischwolf und zerhackte auf einem blutgetränkten Brett weiße High Heels. Die Location hatte Esteva schnell gefunden: ein Metzgerei-Stand in der Markthalle seines Stadtviertels Son Espanyolet.

Nur ein paar Meter entfernt liegt Estevas Studio, ein unscheinbares Erdgeschoss-Lokal ohne Namensschild. Hier arbeitet er mit seinem Gehilfen von morgens bis nachmittags um fünf, "europäische Arbeitszeiten", betont er. Die Insel verlässt er so selten wie möglich - "wir haben hier wunderbare Locations" - und wenn die Krise sie nicht verdirbt, dann wird sich Estevas Zukunft nur unbedeutend verändern. "Ein paar internationale Klienten mehr wären nicht schlecht", sagt er. "Große Marken wie Coca-Cola oder McDonald´s."

Ob man für Coca-Cola von Mallorca aus arbeiten kann, müsste noch bewiesen werden. Nando Esteva liebt seine Heimat: "Mallorca hat mir so viele Freuden bereitet - hier werde ich immer ein Studio behalten." Noch sträubt er sich, denjenigen recht zu geben, die sagen, dass man im Leben nur etwas werden kann, wenn man die Insel verlässt. Doch gleichzeitig sucht er gerade einen internationalen Agenten, der für ihn in den USA und Brasilien auf Akquise gehen soll.

In der Zwischenzeit bereitet Esteva sein persönliches Projekt für 2012 vor: Eine Reportage über Menschen, die am Diogenes-Syndrom leiden. Diese sogenannten Messies häufen Müll in ihrer Wohnung an oder leben in extremer Unordnung. Selbst betroffen ist der Fotograf in diesem Fall nicht. Außer einer halben Tafel Schokolade, einer aufgerissenen Quely-Tüte und ein paar Wasserhahn-Kartons steht im Studio alles an seinem Platz.

Estevas Ausstellung "Ópera Carmen" läuft bis Ende Januar 2012 im Teatre Principal, C/. Riera, 2, Palma. Geöffnet von 9 - 14 Uhr.

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