Das etwa siebenjährige Mädchen mit den schwarzen Kulleraugen bleibt wie angewurzelt mitten auf der Jaume III in Palma stehen. Mit ausgestreckten Fingern deutet sie in Richtung der drei dunkel gekleideten Herren. „Mami, schau mal. Da stehen die Anegats." Weitere kleine Mädchen bleiben stehen und können es kaum fassen, so nah dran zu sein an den „Anegats", zu Deutsch den „Unter­gegangenen".

Die Rock-Band aus Son Servera ist wie auch Antònia Font oder der Barde ­Tomeu Penya einer der musikalischen Identitäts­stifter der Insel. Hervorgegangen ist sie aus einer Schulband. „Das war in den 90er Jahren. Wir hatten nur ein paar Lieder und jede Menge Spaß", erzählt ­Pep ­Álvarez, Sänger und Gitarrist der Band. Im Jahr 2002 dann, man ­hatte inzwischen studiert, verabredete man sich noch einmal zu einem „letzten Treffen", um die Schulzeit wieder aufleben zu lassen und eine CD mit den alten Liedern aufzunehmen.

Doch was als Abschied gedacht war, wurde zum Startschuss. Zu diesem Treffen stieß Bassist Paco González hinzu. „Er ist im Grunde schuld daran, dass wir nun als Band durchs Land tingeln", sagt der Gitarrist José Juan Umbert. González glaubte, im Gegensatz zu den übrigen Bandmitgliedern, an die Lieder, und, was noch wichtiger war: Er kannte eine ­Moderatorin der Radiostation „Los 40 Principales", einem unter Jugendlichen noch immer sehr populären Sender. Als 2004 die erste CD endlich fertig war, lief deren Titelsong „Es missatge és clar" (Die Nachricht ist eindeutig) dort rauf und runter. Die Anegats hatten einen Hit gelandet.

Ja, und die Nachricht war eindeutig. In dem Lied geht es bezeichnenderweise um die Auswirkungen des Tourismus auf das Leben der Mallorquiner. Text­probe: „Catalina von der Plaça verkauft kein Brot mehr, und Dinge an Schürzen näht sie auch nicht mehr. Sie ist jetzt Fremdenführerin und bekommt ein besseres Gehalt." Oder auch, ein paar Textzeilen weiter: „Erzählt mir, wie man eine Ensaimada macht, eine eingeschnittene Olive oder einen rubiol."

Die Band besitzt ein feines Gespür für die Angst vieler Mallorquiner vor dem Verlust der eigenen Traditionen und Kultur. Im „Pescador mallorqui" wird die Fischerei­tradition besungen: „Ich bin ein mallorquinischer Fischer, einer von denen, die vom Aussterben bedroht sind."

Aus diesem Grund wird die Band auch einen Teufel tun, auf einer anderen Sprache als dem mallorquí zu singen. Mit einer Ausnahme: Einmal haben die Musiker ein Duett mit der spanischen Sängerin Maris Rojas auf castellano und mallorquí aufgenommen.

Trotzdem wollen sie nicht politisch daherkommen. In den Sprachen­streit greifen sie nicht aktiv ein, ihre Lieder enthalten keine eindeutigen politischen Botschaften. „Aber natürlich sind wir uns darüber im Klaren, dass unsere Musik vor allem von Mallorquinern gehört wird, die im linken, eher nationalistischen Spektrum anzusiedeln sind", gibt Pep Álvarez zu. Da aber würden die Anegats alle Generationen erreichen. „Unsere Fans von früher sind inzwischen teilweise schon Eltern und bringen ihre Kinder zum Konzert mit. Und die schleppen wiederum ihre Großeltern mit", erzählt Pep Álvarez.

Vor allem bei den sommerlichen Festen der Insel, den sogenannten verbenes, tanzt oft das gesamte Dorf, wenn die Anegats gegen

1 oder 2 Uhr aufschlagen. Das Repertoire reicht inzwischen locker, um mehrere Stunden die Bühne zu rocken. Fünf CDs hat die Band seit 2004 aufgenommen, die sechste wird am Samstag (8.12.) während eines Live-Konzerts in der Sala Gremi in Palma produziert. „Das wird so eine Art Best-of, nach dem Vorbild von U2", sagt Pep Álvarez. Komplexe haben die Anegats keine. Sie vergleichen sich gerne mal mit den Großen der Branche, immer mit einem Augenzwinkern natürlich.

Ihre Stilrichtung ist schwer zu definieren. Der eine Song geht eher in Richtung Pop, der andere ist ­rockig, in wieder einem anderen klingt Ska an. „Aber wir sind im Grunde unseres Herzens Rocker", findet Pep Álvarez. „Wir sagen immer: Mit Pop kannst du schöne Dinge singen, mit Rock die Wahrheit."

Die Wahrheit, das ist für die Anegats nicht nur die Liebe zur Insel, sondern auch die Liebe als solche. „Auch wenn es pathetisch klingt: Die Liebe ist alles. Die Liebe hält die Welt zusammen." Pep Álvarez wirkt wie der predigende Jesus höchstpersönlich, wenn er diese Sätze mit seinem durchdringenden Blick und seiner Lockenmähne ausspricht.

Reich werden wollten sie nie mit ihrer Musik, und werden es wohl auch nicht mehr. Etwa 10.000 CDs haben sie insgesamt verkauft in ihrer bald zehnjährigen Karriere. Aber darauf kommt es ihnen auch gar nicht so an. „Wir werden von den Menschen eher geliebt als bewundert", sagt José Juan Umbert. Hauptberuflich arbeitet er übrigens als Deutschlehrer in Santa Margalida.

Konzert mit Live-Mitschnitt der Anegats am Samstag (8.12.) um 22 Uhr in der Sala Gremi, C./ del Gremi de Porgadors, 16, Polígono Son Castelló. Eintritt: 5 Euro.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 6. Dezember (Nummer 657) lesen Sie außerdem:

- Tomeu Penya: Wie ein gutgeölter mallorquinischer Traktor

- Schenken Sie dieses Jahr doch mal Kunst!

- Schwedische Künstler und Sammler: Kosmopoliten auf Zwischenlandung

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