Ein Antrittsbesuch bei den künftigen Schwiegereltern war der Auslöser für einen deutsch-spanischen Dokumentarfilm, der sich mit ungewohnter Direktheit spanischer Zeitgeschichte widmet. Als der deutsche Filmemacher Dietmar Post Ende der 90er Jahre seine damalige Freundin Lucía Palacios in das Dorf ihrer Eltern nach Spanien begleitete, fuhr das Paar an dem Ortsschild „Llanos del Caudillo" vorbei (Die Ebenen des caudillo, des Führers, in Bezug auf Francisco Franco). Der heute 49-Jährige wunderte sich damals, wie so ein Ortsname noch Jahre nach dem Tod des Diktators möglich war.

Diese Frage ging den beiden nicht mehr aus dem Kopf, bis sie dieses Jahr endlich den Film „Los colonos del Caudillo" (Die Siedler des Führers) fertig stellen konnten. „Ein Warum war der rote Faden des Films", sagt Post am Telefon in Berlin, „wir haben die Bewohnern des Ortes gefragt: Warum habt ihr euer Dorf nicht umbenannt? Warum spricht niemand über die Vergangenheit?"

Die Antworten waren konfus und widersprüchlich - der beste Beweis für die Dringlichkeit des Films: „Spanien hat seine Vergangenheit bis heute nicht verarbeitet", sagt Post.

83 Minuten lang porträtieren die Filmemacher und Grimme-Preisträger nun das Dorf, das ­exemplarisch zeigt, wie das ­Franco-Regime auf dem Land vorging und wie es die spanische Gesellschaft auch nach dem Bürgerkrieg (1936-1939) weiter spaltete. Llanos del Caudillo ist eines jener 300 Dörfer, die Franco in den 50er und 60er Jahren in ganz Spanien anlegen ließ. Das Instituto Nacional de ­Colonización (Staatliches Institut zur Besiedlung) wollte so die Armut auf dem Land bekämpfen, bevölkerungsarme Regionen neu strukturieren und zudem neue, linientreue Bürger

heranziehen, ­„Anti-Städter, Anti-Arbeiter, erdverbundene und gottesfürchtige Menschen, die einem Regime ergeben sind, dem sie alles verdanken: Haus, Land, Arbeit, alles unter der Kontrolle der Partei", wie es in der Propaganda hieß.

Nur ein Drittel jener ersten Siedler lebt heute noch in Llanos del Caudillo. „Das Siedler­projekt scheiterte", sagt Post, „Die Bauern wurden schlecht behandelt, der Aufschwung blieb aus." Die heutigen Bewohner sind angesichts der Geschichte des Dorfes gespalten. Sie können den Zuschauern nicht erklären, warum sie seit mehr als 30 Jahren einen sozialdemokratischen Bürgermeister haben, aber zugleich nicht wollen, dass man den Namen des Dorfes ändert. „Vielen ist die eigene Vergangenheit peinlich. Niemand hat je offen darüber gesprochen," erzählt Post .

Zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen kamen Anfang November auch drei Männer, die eigens zu einer Diskussion nach Berlin reisten: Felipe González, ehemaliger sozialistischer Regierungschef, Emilio Silva, Vorsitzender des Verbandes zur Aufarbeitung der Zeitgeschichte (Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica) und Carlos ­Castresana, Staatsanwalt am Obersten Gerichtshof in Madrid.

„Die politische Rechte hat bis heute nicht akzeptiert, dass Franco mittels eines Staatsstreichs an die Macht gelangt ist, und sein Regime deshalb unrechtmäßig war", sagte der Sozialist Felipe González. Nach wie vor genössen jene Kräfte Privilegien, die sich damals ihren Platz mit Gewalt gesichert hätten, unter anderem die Kirche, glaubt auch Staatsanwalt Castresana. Die durch den Bürgerkrieg zutiefst gespaltene spanische Gesellschaft habe bis heute nicht wieder zu­einander gefunden. Von „geschätzten 115.000 Vermissten und keiner Sühne" sprach Emilio Silva, der in seinem Verband die Interessen der Bürgerkriegsopfer vertritt.

Zufall oder nicht, bislang war „Los colonos del Caudillo" noch nicht in Spanien zu sehen. Kein TV-Sender, keine öffentliche Einrichtung, kein Festival zeigte Interesse an einer Subventionierung, Förderung oder Vorführung. Dafür wird jetzt auf das sogenannte Crowd-funding gesetzt. Zu denen, die die beiden unterstützen, zählen der bekannte deutsche Künstler Daniel Richter. Er hat vier Siebdrucke zum Film entworfen, die nun für je 350 Euro verkauft werden. Der Reinerlös geht an die Filmemacher und ihre Produktions­firma Play Loud in Berlin.

Post und Palacios, die auch von rund einem Dutzend deutscher öffentlich-rechtlicher Sender eine Absage erhalten hatten, planen nun eine Filmvorführungs-Tournee durch spanische Dörfer. Im Stil der alten spanischen cine clubes (Filmclubs) wollen sie ihren Film im Sommer 2013 in Gemeindehäusern, Kulturzentren oder Schulen zeigen, überall dort, wo Interesse besteht. Mehr als 20 Anfragen seien auf der Webseite bereits eingegangen, sagt Post.

Die Demokratisierung von unten scheint zu funktionieren. Vielleicht bleibt dann ja auch eines Tages keiner mehr eine Antwort schuldig, wenn ein Ausländer kommt und nach der Zeit unter Franco fragt.

„Das ist das Siedlerdorf", sagte Lucía Palacios ihrem Freund. Mehr wusste auch sie nicht, obwohl sie nur 40 Kilometer von Llanos del Caudillo entfernt aufge­wachsen war.

Interessierte Gemeinden oder Vereine können sich auf der Webseite für eine Vorführung mit anschließender Diskussion eintragen. Die Filmemacher ­suchen außerdem Sponsoren, um die Tournee im Sommer 2013 zu finanzieren.

www.playloud.org

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