War er nun hier oder nicht? Über die vermeintlichen Balearen-Besuche des französischen Schriftstellers Jules Verne (1828-1905) ranken sich seit jeher Legenden. Jetzt will ein mallorquinischer Historiker, ­Nicolás Moragues, Licht in die Sache bringen. Sein Buch über die Beziehung des ­Autors von „In 80 Tagen um die Welt" zu den Balearen soll im ­September erscheinen.

Auf den ersten Blick scheint ­alles klar. Das Höhlenlabyrinth in einem seiner bekanntesten Romane, „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" (1864) erinnert stark an Mallorcas Tropfsteinhöhlen. Und tatsächlich findet sich in einem Gästebuch der Coves d´Artà (Höhlen von Artà) ein Eintrag des berühmten Schriftstellers. Doch er stammt vom 17. September 1877, also lange nach Erscheinen des Buches. Zudem firmieren neben ihm die Schriftstellerkollegen Victor Hugo, Alexandre Dumas der Ältere, Charles Paul de Kock sowie die Schauspielerin Sarah Bernhardt verewigt (siehe Bild). „Das hat schon beinahe etwas von einer Klassenfahrt", scherzt Moragues gegenüber der MZ.

Er hat die Schriften analysiert: „Vieles deutet darauf hin, dass sie nicht echt sind." So stammt die Unterschrift von ­Verne und Dumas wohl aus derselben Hand. Der Erfinder des Grafen von Monte Christo war zu jenem Zeitpunkt aber schon sieben Jahre tot; und auch Paul de Kock weilte 1877 bereits seit einiger Zeit nicht mehr unter den Lebenden. Der renommierte Verne-Biograph Volker Dehs hält das Ganze denn auch für einen ­„Touristenscherz". „Jules Verne hat ­Mallorca nie besucht", erklärte er jüngst.

Nicolás Moragues ist sich da nicht ganz so sicher. Der 36-Jährige, der einen Doktor in Geschichte hat, ist Schriftführer und Schatzmeister der Anfang Februar in Marratxí gegründeten „Sociedad Hispánica Jules Verne". Die hat sich dem „Studium, der Analyse und Verbreitung des Werks von Jules ­Verne" verschrieben. Neben einer alle vier Monate erscheinenden Zeitschrift sollen bisher noch nicht auf ­Spanisch erhältliche Verne-­Bücher übersetzt und veröffentlicht werden. Die Gesellschaft hat derzeit 33 Mitglieder aus 11 Ländern.

„Einige von Jules Vernes mehr als 60 fantastischen Geschichten sind von den balearischen Inseln inspiriert", sagt Moragues. „Zum Teil spielt die Handlung sogar auf Mallorca." Moragues führt mehrere Beispiele auf: Die Insel Lincoln in Vernes Meisterwerk „Die geheimnisvolle Insel" (1874/75) sei an Formentera angelehnt. Verne habe das Balearen-Eiland in dem Buch einfach spiegelverkehrt dargestellt. Zwar habe er die Insel in den Atlantik verlegt, und ihre Eigenschaften (Klima, Vegetation usw.) seien dadurch andere, aber die Form stimme mit der Formenteras überein.

Auch in dem Roman ­„Reise durch die Sonnenwelt" (1877) spielt Formentera eine Rolle. Bei einer Odyssee durchs Mittelmeer gelangen die Reisenden um Hauptfigur Héctor Servadac unter anderem auf die Balearen-Insel (heute erinnert unweit des Leuchtturms La Mola auf Formentera ein Gedenkstein an Jules Verne).

Der unmittelbarste ­Bezug zu den Balearen ist bei Verne indes in dem weniger bekannten Spätwerk „Clovis Dardentor" (1896) zu finden: Zwei junge Franzosen machen sich auf den Weg nach Alge­rien, wo sie in die französische Armee eintreten wollen. Auf der Schiffsüberfahrt lernen sie den Kleinindus­triellen Clovis Dardentor kennen. Die erste Station der Schiffspassage ist Mallorca, wo die Helden einen Ausflug unternehmen und die Pferde ihrer Kutsche am Schloss ­Bellver durchgehen. „Es überrascht die Vielzahl der Aspekte, die Verne von der Insel kennt €", schreibt Joan Manuel Zaldívar Julià im Vorwort der 2002 vom Inselrat herausgegebenen Ausgabe des Romans. Zur Erklärung verweist er auf den Anfang des sechsten Kapitels, wo Verne schreibt: „Wenn es eine Region gibt, die man von Grund auf kennen kann, ohne sie jemals besucht zu haben, ist es die herrliche Inselgruppe der Balearen € Es reichte aus, sich in eine Bibliothek einzuschließen, vorausgesetzt, darin gibt es das Werk seiner Hoheit des Erzherzogs Ludwig Salvator von Österreich-Toskana, ­,Die Balearen.´"

Tatsächlich verband den Erzherzog und Jules Verne eine langjährige Freundschaft. „Das gilt als sicher", sagt Moragues. Er glaubt, dass Verne die detaillierten Informationen über Palma und Umgebung in erster Linie aus der siebenbändigen Ausgabe der Balearen-Enzyklopädie seines Freundes gewann.

Der Erzherzog habe ihn aber auch mehrfach nach Mallorca eingeladen. „Es ist kaum zu glauben, dass Verne dieser Einladung nie gefolgt sein soll", so Moragues. Vielleicht also hat der große Schriftsteller ein paar Informationen tatsächlich aus erster Hand gewonnen? Denn fest steht auch, dass er 1884, also mehr als zehn Jahre vor dem Erscheinen von „Clovis Dardentor", mit der „Saint Michel III" von Algerien nach Frankreich schipperte. „Das Logischste wäre, dass er dabei auch auf Mallorca vorbeikam", sagt ­Moragues, „vielleicht nicht in Palma, aber in Port de Sóller, wo der Erzherzog in der Nähe lebte €" Ludwig Salvator hatte seinen Hauptwohnsitz in Son Marroig.

Moragues hat in Port de ­Sollér nach Hafenunterlagen aus jener Zeit recherchiert - ohne Glück. „Die sind alle auf dem Müll der Geschichte gelandet", sagt er. Entmutigen lassen will er sich von solchen Rückschlägen aber nicht. Wenn er auch (noch) keine handfesten Beweise für einen Besuch habe, gebe es doch eine Menge Indizien. „Jules Verne war ein großer Anhänger realer und imaginärer Reisen", sagt Moragues. „Das Reisen hat ihn angeregt, sich die magischen Welten auszumalen, in die er seine Leser entführt." Und sein Leben regt auch lange nach seinem Tod noch die Fantasie an€

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