Die Bürde des berühmten Vaters trägt Rafael Vostell mit Würde. Mehr noch: Der Sohn des großen Künstlers Wolf Vostell (1932-1998) hat das Beste aus seinem Schicksal gemacht. „Meine Schule war mein Elternhaus", sagt der 47-jährige Kunsthändler, der mit Großformatigem im Kinderzimmer aufgewachsen ist. Kunst hing überall, sogar im Klo, und wenn die Familie Geld brauchte, war ein Werk, „an das ich mich gerade gewöhnt hatte", plötzlich weg, erzählt er.

So kam es, dass ­Rafael, der jüngere der beide Söhne des deutsch-spanischen Ehe­paares Wolf Vostell und Mercedes Guardado heute nicht nur den Nachlass des Vaters verwaltet, sondern auch seit mehr als 20 Jahren mit Avantgardekunst der 60er Jahre handelt, von Joseph Beuys, Nam June Paik oder Yoko Ono. Seine Galerien in Berlin und Madrid hat er vor ein paar Jahren geschlossen, nun ist er als freier Kurator und Händler unterwegs. Kommende Woche wird zum Beispiel die Ausstellung „Walking on faces" des Mallorquiners Bernardí Roig in Berlin eröffnet, zeitgleich zur Tourismusbörse ITB. Vostell hat sie kuratiert und im Ausstellungsort Halle am Wasser arrangiert. Der Auftrag der Balearischen Landesregierung war der erste, den Vostell in seiner neuen Heimat Mallorca erhalten hat.

Er erzählt das in leisem Tonfall, in einem Palmesaner Café. Rafael Vostell ist ein gepflegter, wacher Mann, der sich flüssig mit leichtem Berliner Akzent ausdrückt. Dabei sieht er aus wie ein Südspanier - eine interessante Mischung. Vostells Lebensweg führt nun nach Mallorca. Die schönste Ecke Spaniens sei die Insel, sagt Vostell lächelnd, und das muss man ihm glauben. Schließlich ist er schon als Kind zwischen Deutschland und Spanien gependelt, hat hier und dort Familie. Eine Finca bei Artà ist seit ein paar Wochen der neue Wohnsitz von Vostell und seiner Lebenspartnerin, der Fotografin Miriam Peppler. Strahlend erzählen die beiden von ihrem neuen Lebensabschnitt, voll Freude schildern sie Entdeckungen und Erfahrungen auf der Insel.

Sie sind gekommen, um zu bleiben. Vostell möchte Ausstellungen kuratieren, Werke seiner Sammlung zeigen, vor allem die Arbeiten des Vaters. 200 bis 300 Werke des radikalen, antibürgerlichen Konzeptkünstlers warten in verschiedenen Lagern in Deutschland und Spanien darauf, gezeigt zu werden: Environments, Skulpturen, Installationen, viele davon sperrig, großformatig und unbequem, in Beton eingegossene Autos, übereinander gestapelte Fernseher, 40 aufgereihte Staubsauger, Computerhaufen. Auch große Leinwände mit blutenden Stieren, Collagen und Assemblagen hat Wolf Vostell hinterlassen oder so freche Objekte wie den „Automatischen Telefonbeantworter". Das Werk: eine Nummer

auf einem Blatt Papier. Die Idee: Wer sie zwischen dem 1. und 31. Oktober 1969 wählte, konnte täglich andere Ideen von Vostell am Telefon hören. All das zu erhalten, ist eine Herausforderung für die Erben.

Zum Glück gibt es einen Vostell-Hort. Das Zentrum des Künstler-Universums liegt in Malpartida, einem Nest bei Cáceres in der Extremadura. Dort ist ein Museum, dort leben die Witwe und David Vostell, Rafaels älterer Bruder. Das museo war ein Geschenk des Bürger­meisters, Mitte der 70er Jahre. Heute gilt es als eines der ersten spanischen Museen für zeitgenössische Kunst. Es birgt nicht nur das Archiv der Familie sondern auch die große Fluxus-Sammlung von Gino di Maggio sowie Werke von Künstlern wie Antonio Saura oder Daniel Spoerri. Es liegt in einem Landschaftsschutzgebiet und ist in einem renovierten Wasch- und Scherhaus für Schafe untergebracht, die dort auf ihrem Wanderweg von Süd- nach Nordspanien zweimal im Jahr versorgt wurden.

„Der Ort hat eine tolle Energie", sagt Rafael. Seine Mutter stammt aus der Extremadura. Sie lernte Vostell 1958 in dem Pilgerort Guadalupe kennen. Dorthin war der junge Künstler von Köln aus gereist, um Francisco de Zurbaráns Mönchs­porträts zu bewundern. Die einheimische Lehrerin, klein und dunkel, und der Künstler vom Rhein, hell und groß, verliebten sich. „Der Rest ist Geschichte", sagt Rafael lachend.

Der Familiengeschichte fügt Rafael Vostell nun ein Kapitel hinzu. Der neue Standort Mallorca ist nicht nur der schönste Fleck Spaniens, sondern ist auch weit weg von Malpartida. Dort zu leben, das wäre für Vostell junior unvorstellbar. Der nächste internationale Flughafen liege drei Autostunden entfernt, sagt er. Vielleicht ist dort der Vater auch zu präsent. Auf der Insel gibt es nur eine sichtbare Referenz an ihn: Die Bronzeskulptur „Nike" an der Kreuzung Paseo Mallorca, Avinguda Jaume III. Vostells damaliger Galerist Joan Guaita hatte sie nach dessen Tod dem Rathaus verkauft. „Sie ist unverwüstlich, nur der Baum müsste mal gestutzt werden", sagt Rafael Vostell nach dem Fototermin mit der MZ. Aber das ist ja zum Glück nicht seine Aufgabe.

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