Stellen Sie sich ein verfallenes Strandhotel vor, das erst mit Kunst gefüllt wird, und dann kommt der Abrissbagger und vernichtet die Werke im Wert von zusammen mehreren Hunderttausend Euro. Verrückt, werden Sie sagen. Aber genau das passiert gerade auf Mallorca.

Am Osterwochenende haben sich auf dem Gelände des ehemaligen Hotels ­Aguamarina an der Plaça Espanya in Portals Nous, wo das Luxushotel Kameha Bay Portals entsteht, eine Reihe der namhaftesten europäischen Street-Art-Künstler auf Einladung des Hotel­eigners, dessen Sohn ein großer Graffiti-Liebhaber ist, versammelt. Mehrere Sponsoren übernahmen die Reisekosten, stellten bergeweise Farbe zur Verfügung und verpassten dem Ganzen mit Cocktails und Würstchen den Anstrich eines Grillabends unter Freunden.

Zudem war eine norwegische Filmcrew das Wochenende über mit Kameras unterwegs und dokumentierte wie sieben inter­nationale Straßenkünstler - Nick Walker, Loomit, Conor Harrington, Lucy MacLauchlan, Sickboy, Dotmaster und Zadok - sowie zwei lokale Künstler, Ezequiel Cánovas und der Deutsch-Mallorquiner Banek, in und an dem abbruchreifen Gebäude rund 700 Dosen Farbe versprühten und die Ruine in 48 Stunden quasi in ein Gesamtkunstwerk verwandelten. Der Film soll demnächst auf DVD erscheinen.

Unter den geladenen Künstlern war mit Loomit auch einer der bekanntesten deutschen Vertreter seiner Zunft. Der Münchner ist dem Ruf aus Mallorca gerne gefolgt. Immerhin war er so das erste Mal auf der Insel. Zusammen mit der Schottin Lucy MacLauchlan hat er riesige Badetücher an die Fassade gesprüht. „Naheliegend bei einem Hotel am Strand", sagt Loomit, dessen großflächige Werke immer auch Bezug auf die Umgebung nehmen.

Der mittlerweile 45-Jährige gehört zur ersten Generation deutscher Graffiti-Künstler. Er begann 1983 zu sprühen. Nach seinem ersten Gerichtsverfahren 1984 legte er sich das Pseudonym Loomit zu. 1985 war er unter jenen, die in Geltendorf den ersten kompletten S-Bahn-Zug („whole train") in Deutschland bemalten. „Sprühkünstler beschmieren S-Bahn" titelte die „Bild" damals. Da schon schimmerte die vorsichtige Anerkennung von Street Art als ernstzunehmende Kunst durch. Zunächst aber noch musste Loomit eine ganze Zeit lang weiterhin vor der Polizei flüchten.

Was früher als Vandalismus mit Ordnungsstrafen verfolgt wurde und auch noch wird, gilt heute zum Teil als wertvolle Kunst und hat seinen Weg in Galerien gefunden. Für ein Werk von beispielsweise Nick Walker werden auch schon mal 60.000 Euro auf den Tisch gelegt. Eine Entwicklung, die Loomit positiv sieht. Er kann mittlerweile vom Sprühen leben und seine Familie ernähren. „Die Leidenschaft ist zum bürgerlichen Job geworden", sagt er. Er hat viele Auftragsarbeiten, kooperiert mit dem Münchner Tiefbauamt, für die er immer wieder Unterführungen gestaltet, daneben führt er soziale Projekte mit Jugendlichen durch.

Richtig Geld verdienen kann man mit Street Art jedoch nur, wenn sie auf Papier oder Leinwand und damit als Ware verfügbar ist. Obwohl es auch schon Kunstsammler gegeben haben soll, die ganze Wände mit Street Art herausgerissen haben.

Das Event in Portals Nous spielt auf ironische Art und Weise mit diesem Irrsinn. Die dort geschaffenen Kunstwerke werden nur auf Foto oder Video zu sehen sein. Denn wegen Einsturzgefahr bleibt das ehemalige Strandhotel für Besucher geschlossen. Voraussichtlich im Oktober wird die Kunst-Ruine dann komplett abgerissen. „Aber Sprühwerke sind nie für die Ewigkeit gemacht. Auch auf der Straße werden sie ja übermalt", sagt Loomit. „Mit diesem Bewusstsein leben wir."

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Printausgabe und E-PaperAuch in der Altstadt von Palma pulsiert die Szene. Ein Rundgang mit drei der Künstler