Für das Protestkonzert hatte das Sinfonieorchester der Balearen ­einen symbolträchtigen Ort gewählt: Die Bühne, vor der am Samstag (13.7.) über 4.000 Zuhörer ein dreistündiges Musikspektakel erlebten, wurde nur wenige Meter von der ­Gedenkstatue für Eaktay Ahn aufgebaut. Der Koreaner hatte 1946 das erste Sinfonieorchester auf Mallorca gegründet, einen Vorläufer der heutigen Sinfoniker, die im September ihr 24-jähriges Bestehen feiern könnten - wenn es denn etwas zu feiern gäbe.

Die Ungewissheit rund um die Zukunft des Orchesters ist gewaltig. Die Träger - die balearische Landesregierung (40 Prozent), der ­mallorquinische Inselrat (40 Prozent) und die Stadt Palma (20 Prozent) haben ihre Zuwendungen seit November 2011 immer weiter zurückgefahren. Der damalige Jahresetat von 5,1 Millionen Euro wurde 2012 auf 4,8 Millionen herabgesetzt, nun soll weiter gekürzt werden. Die Gehälter werden nur noch mit Verspätung überwiesen. Und das Orchester hat über zwei Millionen Euro Schulden angehäuft, Schulden, die „nicht die Musiker verursacht haben, sondern die Verwaltungsebene", so Betriebsrat Sebastián Pou Rotger.

Doch ausbaden sollen es die ­Instrumentalisten: Der Jahresetat für 2013, so heißt es, soll noch einmal um 20 Prozent gekürzt werden. Das bedeutet: weitere Lohnkürzungen - einer siebenprozentigen Kürzung ist bereits zugestimmt worden - oder aber die Entlassung von

13 Musikern. Dabei sei man schon jetzt an der absoluten Untergrenze eines Sinfonieorchesters angelangt, sagt Pou Rotger: Normal seien Besetzungen von 80 bis 120 Mitgliedern, die Balearen-Sinfoniker zählen gerade einmal 71. Vor allem an Streichern, aber auch an Bläsern fehle es schon jetzt, bei vielen Stücken müsse man auf bestimmte, von den Komponisten vorgesehene Stimmen schlicht verzichten.

Die Musiker fühlen sich auch noch in anderer Hinsicht schlecht behandelt. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sei das Chaos rund um das Festival de Bellver gewesen. Die seit 18 Jahren bestehende Konzert­reihe auf dem Burghof in Palma hätte in der ersten Juli-Woche beginnen sollen - doch erst zwei Tage vor dem ersten Termin habe man mitten in den Proben erfahren, dass das Konzert nicht stattfinden würde. Also bereiteten sich die Musiker auf das nächste Konzert vor - das erneut kurzfristig abgesagt wurde. Zudem gäbe es bis heute kein ­Programm für die im September beginnende Saison, beklagen die Künstler.

Seit die Musiker Ende Juni aus Sorge um ihre Arbeitsplätze und Protest gegen die ausbleibenden Löhne eine Aida-Aufführung ­bestreikten, haben sich die Fronten noch einmal verhärtet. Die einen fühlen sich ignoriert, die anderen bezeichnen ein Sinfonieorchester in Zeiten der Krise unverhohlen als „Luxus", den man sich nicht leisten könne. Von einer drohenden Auflösung des Orchesters, die vergangene Woche als Gerücht durch die Presse geisterte, will die Balearen-Regierung aber nichts wissen: ­Regierungssprecherin ­Núria Riera verkündete am Freitag (12.7.), die Inseln würden ihr Orchester auf jeden Fall behalten - aber eben nicht in seiner aktuellen Form.

Der stellvertretende Inselratspräsident Joan Rotger gab nach dem erfolgreichen Protestkonzert am Samstag den Inselbewohnern eine Mitschuld an der Situation des ­Orchesters: Die mallorquinische Gesellschaft solle darüber nachdenken, warum das Orchester, zu dessen Gratiskonzert über 4.000 Unterstützer erschienen seien, gerade einmal 400 Abonnenten habe.

Die Musiker reagierten auf die Anmerkung des Politikers verärgert: Nicht die Gesellschaft solle in sich gehen, sondern die Geschäftsleitung - und sich überlegen, warum nur so wenige Abonnements verkauft würden. Das balearische Orchester erziele die niedrigsten Einnahmen in ganz Spanien, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Betriebsrats. Im vergangenen Jahr habe das Orchester gerade einmal 220.000 Euro erwirtschaftet - das Pendant auf Gran ­Canaria hingegen spielte im gleichen Zeitraum 800.000 Euro ein, das Landesorchester von Galicien gar 995.000 Euro. Die Worte Rotgers seien eine „Beleidigung des balearischen Publikums", so Betriebsrat Pou Rotger.

Wie nun weitergewirtschaftet werden soll, ist schleierhaft. „Unter diesen Umständen ein Programm auf die Beine zu stellen, ist sehr schwierig", sagte Geschäftsführer Marcelino ­Minaya, der Verwaltungschef des Orchesters am Sonntag gegenüber der MZ-Schwester­zeitung „Diario de ­Mallorca". ­Zumal just in diesen Tagen eigentlich auch ein Dirigentenwechsel ansteht: Josep Vicent übernimmt die musikalische Leitung.

Schon rufen auch deutsche Freunde des Orchesters wie der Dirigent Martin Fischer-Dieskau, der im April mit den Sinfonikern die „Zauberflöte" aufführte, zu Spenden­aktionen und Unterstützung auf. Das sei dankenswert, so Pou, könne aber nicht Sinn der Sache sein: Das Orchester sei eine öffentliche Kultureinrichtung, die als solche erhalten bleiben müsse. Dirigent Luis Cobos, der beim Konzert am Samstag den Taktstock schwang, greift zu einem drastischen Bild: „Das Orchester vereinigt das musikalische Erbe einer Gemeinschaft. Es abzuschaffen wäre, als brenne man die Miró-­Stiftung oder eine Bibliothek nieder."

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