Natürlich kann niemand den Blues neu erfinden. Auch nicht Guadalupe Plata. Der Blues ist, was er ist. Geboren auf den Baumwollfeldern der Südstaaten der USA, ist er in Europa mittlerweile - wie der Jazz - zu einer Art Brunch-Begleitmusik für kulturbewusste Akademiker geworden.

Und doch ist der Blues von Guadalupe Plata, diesem Trio aus Úbeda, einer 35.000 Seelen-Gemeinde in der Nähe von Jaén in Andalusien, anders. Dieser Blues hat nichts von den sauberen Klängen auf Blues-Festivals, von alten Männern mit dicken Bäuchen und bunten Westen. Dieser Blues ist dreckig, roh, ungezähmt. Es ist ein Blues, der seine Wurzeln kennt und sich doch nicht um Konventionen schert. Ohne dabei den Anspruch der Rebellion vor sich her zu tragen. Vielmehr ist es so: Wenn Robert Johnson seine Seele an den Teufel verkauft hat, dann tricksen Guadalupe Plata den Satan beim Kartenspielen aus.

An diesem Donnerstag (30.4.) kommen sie mit ihrer neuen Platte in den Gran Maraca Club nach Palma (Plaça Vapor, Santa Catalina-­Viertel, ab 21 Uhr, 10/14 Euro). „Guadalupe Plata (2015)" ist im März erschienen und bereits die vierte Veröffentlichung seit 2009. „Wir haben es nie als nötig empfunden, unseren Alben Namen zu geben", sagt Schlagzeuger Carlos Jimena. „Es ist klar, dass wir dem Vertrieb damit keinen Gefallen tun. Aber gleichzeitig legen wir dadurch Wert auf das Albumdesign. Daran kann man die Platten ­unterscheiden."

Es sei ein Lehrer gewesen, der Mitte der 90er Jahre die damals etwa 16-jährigen Schüler Pedro de Dios (Gitarre, Gesang) und Carlos Jimena auf den Blues gebracht habe, erzählt der 35-jährige Schlagzeuger. Der Lehrer sei immer wieder verreist und habe Musik mitgebracht. Auch eine Platte von Sonny Terry und Brownie McGhee, die Jimena von seinem Bruder geschenkt bekam, habe seine Liebe zu der schwarzen Musik vertieft. In den darauffolgenden Jahren probierten Jimena und de Dios in verschiedenen Bands verschiedene Stile aus: Psychodelic, Surf, Rock´n´Roll oder Rockabilly. Es sind alles Stilrichtungen, die sich maßgeblich aus dem Blues nähren.

Das Projekt Guadalupe Plata begannen Pedro de Dios und Carlos Jimena 2006. Ein Jahr später kam Paco Luis Martos hinzu. „Paco Luis ist zehn Jahre älter als Pedro und ich. Er war schon damals ein legendärer Gitarrist in Úbeda, zu dem wir jungen Musiker aufgeschaut haben." Martos brachte das Instrument mit, das Guadalupe Plata ein Alleinstellungsmerkmal unter spanischen Bands bietet: den contrabajo de barreño. Ein Saiteninstrument gebaut aus einem Zinkkübel, einem Stock und einem Starterseil für Motorsägen. Der Tonabnehmer für die tiefen, satten Töne befindet sich am Zinkkübel.

Benannt ist Guadalupe Plata nach der Virgen de Guadalupe, der Schutzpatronin ihrer Heimatstadt Úbeda. In den Abbildungen wird sie häufig mit einem silbernen Schein oder Kranz umgeben. Daher der Name Plata. Der Name ist weder ironisch noch provozierend gemeint. Jimena betont den respektvollen Umgang der Band mit der Schutzpatronin.

„Wenn man bei uns aufwächst, ist man ständig von diesen Symbolen umgeben. Schon als kleines Kind beeindrucken einen die Prozessionen zur Semana Santa." Als Zeichen für eine besondere Religiosität will Jimena den Bandnamen aber nicht gelten lassen. Wobei Songs wie „Rezando" und „Jesús está llorando" durchaus religiösen Bezug haben: „Jesus está llorando / porque has sido mala / No me busques ahora / ya no tengo nada (Jesus weint / weil du böse warst / Such mich jetzt nicht / Ich habe nichts mehr)", schrie Pedro de Dios 2009 für das Erstlingswerk ins Studiomikrofon.

„Das jeweilige Verhältnis zur ­Religion ist ein persönliches Thema eines jeden von uns", erklärt Jimena. „Darauf will ich nicht zu sehr eingehen. Vielmehr muss man diese Referenzen als Teil der Folklore unserer Region sehen."

Die Songtexte sind dunkel, beschreiben häufig eine Zwischenwelt irgendwo zwischen Zombiefilm, Totenmesse und Exorzismus. Irgendwo in der Wüste oder im Wilden Western. Dass die Band auf Spanisch singt, macht ihre Musik authentischer, als sie es jemals auf Englisch sein könnte. Die Begründung ist denkbar einfach: „Man kann sich am besten in einer Sprache ausdrücken, die man wirklich gut spricht", sagt Jimena.

Die Texte brauchen nicht viele Worte. Pedro de Dios schreit sie heraus. „No sabía que la amaba, / hasta que vi que la enterraban / Milana bonita / Milana preciosa (Ich wusste nicht, dass ich sie liebte / bis ich sah, wie sie beerdigt wurde / Schöne Milana / Wunderschöne Milana)" heißt es in „Milana" von ihrem dritten Album von 2013, eine Referenz auf das Buch von Miguel Delibes „Los santos inocentes" und den gleichnamigen Film von Mario Camus. Das ist der ganze Songtext.

Kreischend fügen sich die Worte ein in die lauten, dreckigen, verspielten Sounds der Instrumente. Sie fallen in den vorantreibenden Song ein, brechen ihn und gehen ein erbarmungsloses Call-and-Response mit der heulenden Gitarre ein.

Etwa hundert Konzerte spielt die Band im Jahr. Guadalupe Plata ist dadurch zur Band geworden. Keine Band, die mit großen Showeffekten aufwartet, aber eine, die an jedem Abend die größtmögliche Show abliefert. Es kann passieren, dass Pedro de Dios das halbe Konzert halb mit dem Rücken zum Publikum spielt. Die Musiker schauen sich an, sie finden einen gemeinsamen Weg durch die Songs, loten sie neu aus. Das ist die Einstellung.

Für Jimena ist diese Dynamik der Schlüssel, um die Intensität der Musik zu erhöhen. „Wir können dem Publikum auf diese Weise viel mehr bieten, als wenn wir anfangen würden, durch irgendwelche Showeinlagen gefallen zu wollen."

Improvisiert sind die Songs von Guadalupe Plata deshalb nicht. Tatsächlich basiert das Songwriting wie bei so vielen anderen Bands auf einer Idee des Hauptsongschreibers. „Meistens kommt Pedro mit einer Grundstruktur, die wir dann mit der Band umsetzten." Auch der Ort, wo das Album aufgenommen wird, spiele eine Rolle. War es vor zwei Jahren noch Texas, haben sie die aktuelle LP in London aufgenommen. „Wir haben das etwas dunklere London gesucht, etwa das von Jack the Ripper." Die Band nimmt die Platten im Studio live auf.

Vielleicht musste es so kommen, dass eine Band aus Andalusien dem Blues neue Impulse gibt: Pedro de Dios, der Sänger, weist in Interviews gerne auf die Gemeinsamkeiten zwischen dem Blues und dem Flamenco aus ihrer Heimat hin. „Das Klagen, das Gefühl ist ähnlich, auch wenn die Struktur natürlich eine völlig andere ist", sagte er beispielsweise 2011 in einem Interview mit dem Webmagazin „Mordor Sonoro".

Vor allem aber drückt auch dieser Interviewschnipsel nur aus, was Guadalupe Plata so gut macht: Statt die amerikanischen Bluesmen zu imitieren, bleiben sie bei ihren eigenen Wurzeln. Und schaffen dadurch etwas, was so vielen anderen europäischen Bluesbands versagt bleibt: richtig guten Blues. Humorvoll, laut, ohne Schnickschnack. Und ohne bunte Westen.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 30. April (Nummer 782) lesen Sie außerdem:

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