Höher und immer höher, dorthin zieht es Michael Najjar. Doch ausgerechnet tief unter der Erde stellt der deutsche Fotokünstler im Museum Es Baluard seine Videos vor. Die Show heißt „¿Qui ens donà l´esponja per esborrar tot l´horitzó?" (Wer hat uns den Schwamm gegeben, um den Horizont wegzuwischen?") und besteht aus drei Videos der Serie „Outer Space". Gezeigt werden sie bis 30. August im einstigen Wasserspeicher Aljub.

Die Bilder sind von Najjar selbst oder von Begleitern aufgenommen, die ihn in Szene setzen. Sie zeigen die seit vier Jahren laufenden Vorbereitungen des 48-jährigen Künstlers für seinen Flug ins All. Unterstützt wird er dabei von Sammlern, Sponsoren und den russischen, US-amerikanischen und deutschen Raumfahrtzentren.

Der gerade fertig gestellte Film „Skyfall" dokumentiert in Premiere Najjars Fallschirmsprung aus 10.000 Metern Höhe, inklusive zwei Minuten freier Fall, als er mit bis zu 330 Stundenkilometern auf die Erde zu raste.

Die Videos „Spacewalk" und „equlibrium", beide von 2013, zeigen ein Schwerelosigkeits­training unter Wasser im 150 Kilo schweren Raumfahrtanzug sowie einen Stratosphärenflug in einem russischen Kampfflieger mit fast doppelter Schallgeschwindigkeit, eine Erfahrung, die Najjar als „körperlich sehr anstrengend und mental an der Grenze" beschreibt.

Najjar will der erste Weltraumkünstler der Welt werden, und, so fügt der durchtrainierte, gebürtige Pfälzer an, „mir einen Kindheitstraum erfüllen: Einmal die Erde von oben sehen." Er wird einer der ersten Astronauten der Virgin Galactic Spaceline sein. In Richard Bransons Raumgleiter will Najjar die Ära der kommerzielle Raumfahrt einläuten.

Wann es so weit ist, steht in den Sternen: Ein Raumgleiter stürzte im Oktober 2014 bei einem Testflug ab, der Copilot starb, der Pilot wurde schwer verletzt. Das Szenario des Wracks in der kalifornischen Mojave-Wüste inspirierte Najjar zum Vergleich mit Caspar David Friedrichs Bild „Das Eismeer" von 1824. Dort ist eine arktische Landschaft mit gekentertem Segelschiff zu sehen. Beide Bilder sind für Najjar der Inbegriff menschlichen Scheiterns. Sie dokumentieren das permanente Kräftespiel zwischen Mensch, Natur und Maschine.

In diesem Bereich bewegt sich Najjar seit rund 15 Jahren. Er sucht Grenzen und Risiken. Die Angst vor dem Scheitern, „das zu jedem künstlerischen Prozess gehört", sei noch gering, sagt er. „Wir werden sehen, wie es sich anfühlt, wenn der Motor unterm Hintern losfeuert." Scheitern kann in dieser extremen Form von Performance tödlich sein. Das Prickelnde an „Outer Space" ist der Faktor Ungewissheit: Wie lange wird diese Prozesskunst dauern und wie wird sie enden? Niemand weiß es. Im schlimmsten Fall wird Najjar den eigenen Tod im All dokumentieren.

Najjar, der seit 1988 in Berlin lebt und Sohn einer Deutschen und eines Libanesen ist, beschäftigte sich vor dem Weltall mit Themen wie Datenvernetzung, Genmanipulation oder virtuelle Werte. Digital fusionierte Schwarz-Weiß-Fotos von Megacities ließ er von imaginären, sausenden Daten und Bytes in Schwingung versetzen; sterile Porträts junger, perfekter Menschen verweisen auf Begriffe wie Genmanipulation und kontrollierte Evolution; Berglandschaften, aufgenommen vom Gipfel eines Siebentausenders in den Anden, schaffen Assoziationen mit Börsenkursen: Die massigen Gipfel stellen für Najjar einen Gegensatz zum virtuellen Wertemarkt dar. „Die Informationstechnologie hat unser Raum- und Zeitverständnis verschoben", sagt er.

Von den Gipfeln ins All ist es künstlerisch nur ein kleiner Schritt, und konzeptuell liegen die Serien „High Altitudes" und „Outer Space" beieinander. Herausforderungen wie Schwindel, Orientierungslosigkeit, Schwere­losigkeit, Grenzerfahrungen müssen sich nicht nur Bergsteiger und Astronauten im direkten, körperlichen Sinn stellen, sondern im übertragenen Sinn auch ein großer Teil der Menschheit des digitalen Zeitalters.

In reduziertem Maß stellen sich diese Gefühle auch in dem hohen und großen Wasserspeicher des Museums ein. Die Videos werden auf eine vier mal zehn Meter große weiße Wand geworfen, die im stockfinsteren Raum steht und zu schweben scheint. Die hellen, meist bläulichen Bilder zeigen Najjar grinsend im Cockpit, mit schlackernden Backen im Zentrifugierer, im Astronautenanzug unter Wasser schwebend, vor dem Absprung mit geschlossenen Augen. Oft weiß man nicht, wo oben oder unten ist, wo Erde, Wasser und All enden und beginnen. Ein Vorgeschmack auf den Alltag von morgen.

Najjar freut sich schon auf die Nachricht seines heute vierjährigen Sohnes, die in 20 Jahren lauten könnte: „Papa, bin übers Wochenende im Orbit."

„Outer Space" 3.7. bis 30.8.2015. Aljub, Museu Es Baluard. www.esbaluard.org