40 Grad auf Mallorca? Da kann Nina Heidenreich nur müde lächeln. Sie ist anderes gewohnt. Die 35-Jährige führt die Zweite Geige beim Philharmonic Orchestra von Katar an. Und im Wüstenstaat sei es jetzt gerade gut und gerne nochmal zehn Grad wärmer. Aufgrund der Hitze, aber vor allem wegen des Fastenmonats Ramadan, ist dort gerade Spielpause. Zehn Wochen, von Mitte Juni bis Ende August, legen die Musiker des kulturellen Aushängeschilds von Katar die Instrumente ab. Dafür hat Heidenreich, bedingt durch ihren Arbeitsort, andere Probleme. Beim Foto­termin muss genau darauf geachtet werden, dass die Bluse auch wirklich den gesamten Bauch bedeckt und kein Stückchen Haut sichtbar ist. „Es gibt eben ein paar Regeln in Katar, und die muss ich akzeptieren, wenn ich dort arbeite", sagt die Deutsch-Österreicherin, wirkt aber nicht unglücklich damit.

In ihrer freien Zeit im Sommer kommt die Geigerin zu ihrem Mann Pablo Mielgo in dessen gemütliches Häuschen in Sant Elm mit einem Postkartenblick auf die Dracheninsel Dragonera. Auch Mielgo ist kein Unbekannter. Der Madrilene leitet seit dem vergangenen Jahr das Sinfonieorchester der Balearen und hat gerade alle Hände voll zu tun. Die Sommer­sinfonien auf Schloss Bellver stehen ab Samstag (11.7.) an, dazu hat sich für die kommenden Monate auch der umstrittene Geschäftsführer Marcelino Minaya krankgemeldet. Deshalb muss Mielgo jetzt das Amt des Dirigenten und das des Geschäftsführers in Personalunion stemmen. „Und da versuche ich, ihm ein bisschen den Rücken freizuhalten", sagt Heidenreich.

Sie hat eine steile Karriere hingelegt: Kinderförderung in Würzburg, dann zehn Jahre beim ukrainisch-österreichischen Violinisten Boris Kuschnir und weitere drei Jahre bei Gerhard Schulz, dem Zweiten Geiger des weltbekannten und bis 2008 existierenden Alban Berg Quartetts. „Ich wollte eine fundierte Ausbildung in der Wiener Klassik. Das war und ist bis heute meine bevorzugte Epoche", sagt Heidenreich, die während ihres Studiums in der österreichischen Hauptstadt schon Gast-Engagements bei den Wiener Philharmonikern hatte.

Dabei war Heidenreich immer klar, dass ihre Zukunft in einem südlichen Land liegt. „Ich brauche die Sonne als Inspirationsquelle und wollte schon früh auswandern." Die erste feste Stelle gab es dann 2007 folgerichtig beim Orquestra Metropolitana Lisboa in Portugal.

Dort war Heidenreich gerade so richtig angekommen, als ihr die Stellenanzeige der Scheicha Musa bint Nasser al-Missned ins Auge sprang. Die zweite von drei Ehefrauen des ehemaligen Emirs von Katar Al-Thani hat ein Faible für europäische Kultur und wünschte sich nichts sehnlicher als ein eigenes Sinfonie­orchester. Geld spielte natürlich keine Rolle, für das Ensemble sollten die besten Musiker aus der ganzen Welt verpflichtet werden. Heidenreich spielte in Wien vor und wurde für gut befunden. „Es war dieses hochspannende Ereignis, bei einer Orchesterneugründung dabeizusein", das Heidenreich motivierte. Eine Neugründung, die Kurt Meister, der frühere Leiter der Hauptabteilung Klangkörper des Bayerischen Rundfunks, in gerade mal gut einem Jahr aus dem Hut zauberte. Vorgespielt wurde auf der ganzen Welt, wobei viele der Musiker entweder Deutsche sind oder zumindest in Deutschland studiert haben. 101 Musiker gibt es zurzeit, aus 37 verschiedenen Nationen. Gemeldet hatten sich um die 3.000 Bewerber.

Für diejenigen, die fortan unter der sengenden Sonne des Emirats spielten, sollte es sich vor allem finanziell lohnen. Heidenreich und ihre Kollegen kennen die Klagen und Existenzängste etwa der Balearen-Sinfoniker nicht, die vor zwei Jahren kräftige Einbußen ihres ohnehin nicht üppigen Salärs hinnehmen mussten und immer noch keinen eigenen Probenraum zur Verfügung haben. Heidenreich möchte zwar nicht über das Budget des Orchesters in Katar sprechen, die Gehälter sind aber mit denen eines europäischen Spitzen­orchesters vergleichbar - ohne, dass Steuern anfallen würden. Auch die Krankenversicherung übernimmt die Scheicha.

Doch es geht längst nicht nur um die monetären Anreize. Auch die Bedingungen, unter denen Heidenreich und das Ensemble agieren, suchen in Europa ihresgleichen. „Man hat uns ein komplett neues Opernhaus und ein Amphitheater vollkommen aus Marmor gebaut", berichtet Heidenreich. Zu diesem Amphitheater hat sie eine besondere Verbindung. Dort lernte sie Pablo Mielgo kennen, als dieser vor drei Jahren mit dem Orchester die „Aida" aufführte.

Und die Kataris seien durchaus dankbar für die kulturellen Bemühungen ihrer Scheicha. Die Konzerte des Orchesters hätten über die Jahre immer mehr Zulauf bekommen, erzählt Heidenreich. „Zunächst waren es eher die Ausländer, die etwas mit dieser Musik anzufangen wussten, doch immer mehr Kataris mischen sich inzwischen unter das Publikum." Dabei werde darauf geachtet, nicht zu viel Zeitgenössisches zu spielen. Melodisch sollte es zugehen. „Den Leuten dort gefallen vor allem Dvoraks Sinfonien aus der Neuen Welt oder Bolero von Maurice Ravel." Immer wieder streue das Ensemble auch Werke des libanesischen Komponisten Marcel Khalife ein.

Inzwischen beherrscht das Orchester auch die zunächst fremdartigen Töne der arabischen Welt. „Einen gemeinsamen Klang zu finden, war anfangs die größte Herausforderung für uns", erzählt Heidenreich. Dass das geklappt hat, schreibt sie auch der großen Kontinuität im Orchester zu. „Die meisten Musiker, die mit mir vor sieben Jahren angefangen haben, sind noch heute da." Auch die strengeren Regeln für den Alltag haben sie nicht abschrecken können. Ein weiteres Beispiel: Wenn ihr Mann die Geigerin in Katar besucht, dürfen sie auf der Straße nicht Händchen halten oder sich gar einen Kuss geben. „Das heben wir uns für Mallorca auf."