Der Musiker, Schauspieler und Opernregisseur Toyo Masanori Tanaka ist gestorben. Der gebürtige Japaner (Tokio, 1957), der das internationale Festival MúsicaMallorca begründet hatte und seit 2003 dessen künstlerischer Leiter war, erlag Ende Juli in München einer kurzen, schweren Krankheit.

Wolf Bruemmel, Mitbegründet und Direktor des Festivals, würdigte die herausragende Persönlichkeit und Leidenschaft, mit der Tanaka das Projekt auf Mallorca vorangetrieben habe. Die 13. Ausgabe, die im Oktober beginnen soll, sei noch von ihm vorbereitet worden und soll wie geplant stattfinden.

Aus Anlass des Todes veröffentlichen wir hier ein Portrait über Toyo Masanori Tanaka von Thomas Fitzner, das im Oktober 2011 in der Mallorca Zeitung erschienen war:

Nicht alle Direktoren von Klassik­festivals haben Karate und Schwertkampf drauf. Toyo Tanaka, künstlerischer Leiter des Festivals MúsicaMallorca, sitzt gemütlich in der Lobby eines Fünf-Sterne-Hotels und lächelt. Nein, er würde nicht jeden Morgen mit dem Katana das Hotelbett zerhacken, um in Übung zu bleiben, schließlich sei er schon weit über 50 und der Körper - er reibt sich die Schulter - spiele nicht mehr so mit. „Aber wenn es gefährlich wird, kann ich mich verteidigen."

Er bringt das so glaubhaft rüber, wie man es sich von einem erwarten kann, der im deutschen Fernsehen schon mal als exotischer Mafioso agiert hat. Zumal er seine schauspielerische Grundausbildung in Japan genossen habe: Ohne Kampftechnik traue sich dort kein Mann vor die Kamera.

Aber eigentlich war die Schauspielerei nur ein Zwischenspiel, das sich hinzog, und dem sich Tanaka, „weil man ja wirklich gut verdient", nur schwer entziehen konnte. Als ihn seine Tante Michiko de Kowa-Tanaka eingeladen hatte, nach Deutschland zu kommen, hatte der junge Toyo Masanori Tanaka vor allem eines im Sinn gehabt: Musik.

„Meine Familie hat die europäische Kultur immer bewundert", sagt Tanaka und präsentiert seine Ahnengalerie: Großvater Raischo Tanaka, Maler mit Fans im Kaiserhof; Vater Koji Tanaka, Opernkomponist; Mutter Tomoko Nagai, Sopranistin, „die an der Mailänder Scala gesungen hat".

Doch die bemerkenswerteste Figur dieser Familie Tanaka - der Nachname ist einer der häufigsten in Japan - war Tante Michiko Tanaka. Um eine Männergeschichte zu beenden, schickten ihre Eltern sie Ende der 20er Jahre zum Studium nach Wien. Dort mischte die hübsche Sängerin mit ihrer zwanglosen Art die High Society auf, weshalb die Familie sie schon nach Hause beordern wollte. Prompt schnappte sich Michiko den 40 Jahre älteren Julius Meinl, einen der bedeutendsten Unternehmer des Landes, und erwarb als First Lady des Handels-Imperators im Blitzverfahren die österreichische Staatsbürgerschaft.

Obwohl Meinl sich sehr um sie bemühte, hielt die Ehe nicht. Der Patriarch des Wiener Geldadels hielt Michiko sogar noch die Treue, als der deutsche Schauspieler Viktor de Kowa um die Hand der Japanerin anhielt: Meinl machte bei der Wiederverheiratung seiner geschiedenen Frau 1941 den Trauzeugen.

Michiko und de Kowa waren ein Traumpaar, hatten jedoch keine Kinder. Hier trat Toyo Tanaka ins Bild. „Meine Tante wollte mich adoptieren", erzählt er. „Aber meine Eltern lebten noch, ich konnte ihnen das nicht antun."

Das Angebot, nach Deutschland zu kommen, nahm der junge Student Tanaka freilich an. Allerdings wollte er nicht abhängig sein von der charismatischen Dame, die sich als Ersatzmutter positionierte, und begann schon während seines Musik- und Schauspielstudiums in Berlin, sich um Rollen in Theater und Film zu bewerben.

Er wurde zum „Japaner vom Dienst". Wann immer ein Exot gebraucht wurde, erinnerte man sich an Toyo Tanaka. Es waren meist kleine Rollen auf der Bühne oder in Serien wie „Großstadtrevier", „Der Clan der Anna Voss" oder „Alarm für Cobra 11", und die Figuren sind manchmal schlicht mit „Der Japaner" beschrieben.

Das ging ihm auf die Nerven. Zumal seine Liebe noch immer und vor allem den Klängen, der Musik galt. Auch zur Regie fühlte er sich hingezogen. Diese Wünsche erfüllte er sich mit seinem Partner Wolf Bruemmel. Der PR-Profi, der als Pressechef bei großen deutschen Verlagshäusern gearbeitet hat, und der „Japaner vom Dienst" bildeten ein Team, das unglaublich vielseitige Aktivitäten entwickelte.

So stürzten sich die beiden ab den späten 70er Jahren zunächst in Hörspielproduktionen für Kinder: Enid Blytons „Fünf Freunde", Fix und Foxi, Tom und Jerry - kaum eine Figur der Kinderliteratur war vor ihnen sicher. Bruemmel kümmerte sich um die Produktion, Tanaka um das Künstlerische im umfassenden Sinn: Er führte Regie, übernahm Sprechrollen, sang und komponierte sogar.

Als sie vor 20 Jahren erstmals nach Mallorca kamen, schrieben sie ein Reisebuch (erschienen 1992 bei Knaur), dann ein Mallorca-Buch für Kinder. Vorher hatte schon die Insel Ischia vor dem Duo die Waffen gestreckt. Unter einem Pseudonym, erzählt Bruemmel, verfassten die beiden auch eine Mini-Krimi-Reihe unter dem Titel: „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett".

Dass Tanaka an seinem Deutsch bis heute feilt, tut der Karriere keinen Abbruch. Die Aufnahmeprüfung an der Berliner Max-Reinhardt-Schule bestand er seinerzeit „trotz miserabler Deutschkenntnisse, nur wegen der Ausstrahlung". Sein musikalisches Gehör kommt ihm jedoch zugute. Zumal er meist im Doppelpack mit Wolf Bruemmel auftritt. Sie bilden ein Duo nach dem Yin-Yang-Prinzip: Tanaka, der Künstler, strahlt den stillen Charme Asiens aus, während Bruemmel, der Produzent, in aller Freundlichkeit feindliche Festungswälle erodiert und mit jedem, der die Anliegen der beiden ignoriert, Tom und Jerry spielt.

Gegen dieses vierhändige Spiel auf dem Klavier der Emotionen kommen wenige an, was wohl neben Leidenschaft, Know-how (Tanaka-Bruemmel organisierten unter anderem Events für die deutsche Regierung) und einem soliden Kontakt-Netzwerk das ­Erfolgsgeheimnis von MúsicaMallorca ist. Das Festival leisten sich die beiden seit 2003, eine wahre Phalanx an Sponsoren konnten sie dafür mobilisieren.

So schön das alles ist - fehlt Tanaka nicht sein Land, seine Kultur? „Er kocht ganz toll japanisch", verrät Bruemmel und lässt durchblicken, was er von den bisher getesteten Japan-Restaurants der Insel hält. Kein Wunder: Mit einem Sprachtest konnte Tanaka, jeweils in Sekundenschnelle feststellen, dass der einzige echte Japaner im Lokal er selbst war.

Dann bleibt noch der grüne Tee, den die jüngere Schwester - natürlich eine Künstlerin - dem standhaften Kaffee-Verweigerer Tanaka nach Europa schickt.

Bei diesem Thema holt ihn die Vergangenheit ein. Denn jedes Mal, wenn er in Wien am Nobel-Supermarkt von Meinl vorbeispaziert, lacht ihn dort von Teepackungen ein Porträt der 1988 verstorbenen Tante an: Die Handelskette bietet als „exklusive Traditionsmarke" einen „Michiko-Tee" an.

Der Neffe ärgert sich dann jedes Mal. „Die machen das ohne Erlaubnis." Probiert hat er den Tee noch nie.