Eine Frau sitzt auf einem hohen Felsen am Meer, weit unter ihr rollen die Wellen gewaltig laut an die Küste. Ihr Blick richtet sich starr in die Unendlichkeit. Die Frau heißt Charlotte, ist Schriftstellerin, und wenn sie nicht hier ist, hält sie sich auf einer küstennahen Finca in der Nähe von Artà auf. Sie will sich inspirieren lassen, auf dass ihr ein ­Roman über eine Frau gelinge, die seit Jahren auf die Rückkehr ihres Ehemanns wartet. Der war einst zu einer Weltraummission aufgebrochen.

Schauspieler Godehard Giese (mehrere „Tatorte", „Stromberg. Der Film") war 2006 bei einem Dreh fürs deutsche Fernsehen derart von der Natur der Insel fasziniert, dass er auf die Idee kam, hier einen Film zu drehen, einen, der zu Mallorca passt. „Erst kam die Insel, dann kam der Film", sagte Charlotte-­Darstellerin Stephanie Petrowitz nach der Spanien-Premiere im Rahmen des Evolution Filmfestivals. „Die Idee wurde hier geboren, die Drehorte waren im Vornherein klar." Was im Umkehrschluss bedeutet, dass so ein Film auf den Malediven oder an der Ostsee nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre.

Dabei geht es in dem bereits 2011 gedrehten 77-Minüter - der ohne jegliche öffentliche Förderung selbst finanziert wurde und dessen Fertigstellung sich wegen anderer beruflicher Verpflichtungen lange hinzog - nicht um ein spezifisches Mallorca-Thema. Der an 22 Tagen gedrehte Film, in welchem Godehard Giese auch in einer Nebenrolle mitspielt, handelt von dem Verlust eines nahestehenden Menschen, „kein leichtes Gefühl", wie Koproduzentin Jules Herrmann sagt.

Das lange Warten

Die Hauptfigur Charlotte wohnt bei einer älteren Frau namens Renate (Ruth Diehl), die darauf wartet, dass ihr vor vielen Jahren als Segler im Pazifik verschollener Ehemann eines Tages doch noch zurückkehrt und die sich derweil mit einem wesentlich jüngeren Mann namens Sal die Zeit vertreibt. Die Schriftstellerin sieht die Rentnerin als perfekte Vorbildfigur für ihr Buch, für das sie - wie sie mehrfach bekräftigt - kein Ende einplant. Dem Betrachter wird schnell klar, dass auch sie einem Verlust nachtrauert.

Godehard Giese, der der Premiere im CineCiutat nicht beiwohnen konnte, sieht dieses Gefühl untrennbar mit der Region um Artà verbunden: „Hier entsteht eine besondere Energie, die in der Lage ist, Gefühlszustände und Gedanken in die Landschaft zu projizieren", so Giese zur MZ. „Es hallt viel wider aus dem Meer."

Mit der Magie der Insel im Einklang erlaubt sich Giese ­mehrere Kunstgriffe, um die Hauptdarstellerin besonders mysteriös erscheinen zu lassen: Realität und Gedankenwelt wechseln sich ab, seltsame Geräusche dringen ins Ohr - mal bohrend, mal betäubend. Es ist ein Spiel mit der Wahrnehmung. Der Blick zurück wird dadurch akzen­tuiert, dass etwa ein verrotteter, nicht zu Ende gebrachter Hotelbau mit fauligem Wasser im Pool gezeigt wird.

„Jede der Figuren in dem Film macht einen Verlustprozess durch", sagt Koproduzentin Jules Herrmann - auch die Mitglieder einer Patchwork-Familie, die auf Renates Finca ihren Urlaub verbringen. In der Beziehung von Robert (Godehard Giese) und Karolin (Ursula Renneke) werden erste Risse sichtbar, was sich auf das manchmal altkluge und manchmal schräg-verstörte Verhalten des Mädchens Lena (Svana Burger) auswirkt.

„Der Film hat keine Botschaft"

Das rätselhaft-entrückte Selbstverständnis der „Geschichte vom Astronauten" hat Kritiker aufhorchen lassen: Im vergangenen Jahr wurde er beim zehnten „Achtung Berlin Festival" mit dem „new berlin film award" ausgezeichnet - weil er nach Auffassung der Jury, „ruhig, konsequent und stilistisch eigenwillig" ist. Ebenso lief er beim renommierten Max-Ophüls-Festival 2014 in Saarbrücken im Wettbewerb. „Wenn gesprochen wird, dann so steif, pointiert und druckreif, als würde man ein Lineal an die Dialogpassagen eines Buches anlegen", vermerkte etwa kino-zeit.de anerkennend.

Zur poetischen und fast melancholischen Natur des Films passt, dass er „keine Botschaft hat", wie Jules Herrmann sagt. Und dass er - wie auch von Charlotte für ihr Buch angekündigt - ein offenes Ende hat. Er verläuft sich im Nichts. Der Abschluss ist also nicht ansatzweise von Belang, sondern der Verlustprozess als solcher - „die Macht der Abwesenheit", wie es kino-zeit.de ausdrückt.

„Die Geschichte vom Astronauten" läuft ab dem 3. Dezember in ausgesuchten deutschen Programm- und Arthouse-Kinos. Auch in Artà soll er demnächst gezeigt werden. Das Datum steht allerdings noch nicht fest.