Es geht los. Am 8. Januar wird sich die Wissens- und Ideenfabrik Ramis endlich mit Menschen füllen. Dann wird die Kulturagenda des Jahres 2016 präsentiert, bei einer Jamsession katalanischer und mallorquinischer Musiker. Was fast fünf Jahre lang im Entstehen war, ist nun Realität. Leiter und Gründer ist der 47-jährige Juan Ramis, Enkel und Sohn inselweit bekannter Fabrikanten. Er hat in dem Familienbetrieb das Ruder herumgerissen. Noch verdient er sein Einkommen als Dozent an der Esade, einer privaten Hochschule für Wirtschaft, Sprachen und Recht in Barcelona. Das, was er dort seit Jahren unterrichtet: unternehmerische Innovation, hat er jetzt selbst umgesetzt.

Wo früher Leder verarbeitet wurde, sollen jetzt humanistische Ideale gelebt und neue Wirtschafts­ideen umgesetzt werden. Das Angebot der Fabrik umfasst zum Beispiel Firmen­essen oder -tagungen in einer der drei rund tausend Quadratmeter großen, ehemaligen Produktionshallen. Große Unternehmen und Kulturbetriebe der Insel, aber auch politische Parteien haben es bereits wahrgenommen.

Und es gibt 70 Coworking-Plätze, 25 davon sind bereits besetzt. Dazu kommt ein Bio-Restaurant, Kino, Konzerte und Lesungen oder Workshops zu Persönlichkeitsentwicklung oder künstlerischer Weiterbildung für Erwachsene und Kinder. „Wir bieten alles, was im herkömmlichen Bildungssystem zu kurz kommt", sagt Ramis.

Einige Aktivitäten laufen schon seit Herbst. Dynamisierend wirkt nun der neue Veranstaltungs­kalender: Mittwochs gibt es alle zwei Wochen Literatur, jeden Donnerstag stehen Jazzkonzerte im Kalender, freitags wird Swing oder Musik von DJs geboten, samstags gibt es vormittags klassische Musik mit Wermut und abends Kino in Originalversion.

Ramis definiert sich als sozialer Unternehmer. Er arbeitet mit einer ökonomisch-ethischen Mischkalkulation und möchte auf keinen Fall „im alten, kapitalistischen Sinn Vermögen anhäufen". Er will echte gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen und so einen Wandel herbeiführen, „und all das, ohne mich dabei zu ruinieren", sagt er lachend.

Zu den Stärken seiner Strategie gehört das wunderbar renovierte, mehr als 80 Jahre alte Industriegebäude mit 4.300 Quadratmetern Fläche. Bis vor fünf Jahren konnten in dem alten, großen Gebäude mitten in Inca noch Touristen shoppen: Taschen, Börsen, Gürtel oder Jacken, alles aus Leder, aber nichts mehr von Ramis. Die Fabrik hatte 1993 ihre Produktion eingestellt. „Wir verkauften immer weniger", erinnert sich Juan, „dabei war mein Großvater ein Pionier der Lederfabrikation in Inca". 1939 öffnete die Fabrik als Hersteller von sogenannter marroquinería: alle möglichen Lederwaren, außer Schuhe.

Ramis´ familiär und beruflich bedingte Erfahrung wird ergänzt von der Stilsicherheit und Professionalität seiner Kreativdirektorin Beatriz Delgado: Sie hat jahrelang für Camper gearbeitet. Alles ist schlicht und mit guten Materialien gestaltet, alte Elemente wie ­Holzbalken, Fliesen oder Werbebilder wurden erhalten.

Die alte Fabrik liegt zentral an der Gran Vía de Colom. Die Menschen, die an diesem ganz normalen Wochentag über Incas Gran Vía-Boulevard schlendern, wirken eher ärmlich. Sie interessieren sich für die Waren des Wochenmarktes: billige Nacht­hemden, Kunstledertaschen, plastifizierte Tischdecken. Kunden und Händler sind mehrheitlich Immigranten. Keiner wirft einen Blick hoch zum 30 Meter hohen Ziegelschornstein der ehemaligen Fabrik. Auch dem großen Schriftzug an der Fassade schenkt kaum ein Passant Aufmerksamkeit. „Wir mussten unseren Plan an den Standort Inca anpassen", erklärt Ramis, „was ich in Barcelona, New York oder London gesehen habe, würde hier nie funktionieren."

Die Anpassung ist vor allem beim Kursangebot deutlich. Während in den alten Fabriken des Barceloneser Trendviertels Poble Nou Video/-TV- oder Musikproduktion geboten werden, gibt es in Inca Yoga, Englischkurse oder Basteln für Kinder. Dazu kommt die Auswahl der Lehrer. „Sie müssen zu unserer Philosophie passen, und das ist auf Mallorca nicht einfach", sagt er. Von 60 Anwärtern haben er und sein Team bislang nur 15 ausgewählt. „Das Kursangebot wird wohl nach und nach wachsen", sagt er, „denn sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den Dozenten ist unser Konzept noch nicht richtig angekommen." Auch die Preise sind auf eine 30.000 Einwohner-Stadt in der Provinz zugeschnitten. „In Barcelona finden Sie nirgends einen Coworking-Platz für hundert Euro im Monat", sagt Ramis.

Allmählich glaubt der 47-jährige Soziologe an seinen Erfolg. Er habe lange am Standort Inca gezweifelt, erzählt er, sehe gleichzeitig aber besonders großes Potenzial. Das Angebot zur Weiterbildung sei in der Stadt bescheiden, und wer progressive Ideen entwickeln wolle, der sei bislang nach Palma oder Barcelona ge­zogen. Das scheint sich schon geändert zu haben. Beim Besuch des Restaurants, beim Rundgang durch den mit Brokkoli, Blumenkohl und Sellerie begrünten Innenhof oder beim Bummeln durch den Do-it-yourself-Markt, der vor Weihnachten hier stattgefunden hat, drängt sich der Gedanke auf, dass sämtliche fortschrittlich und neugierig wirkenden Menschen in der Stadt die Fàbrica Ramis schon zu ihrem Lieblingsplatz erkoren haben.

Die Veranstaltung am 8.1. beginnt um 20.30 Uhr. Der Eintritt beträgt um die zehn Euro. Aktuelle Infos auf der Facebookseite fabricaramis. Anmeldung zu Kursen und weitere Informationen auf der Webseite www.fabricaramis.com.