Eine Erektion, deutlich erkennbar trotz des knielangen Vollbarts, ist vielleicht der witzigste, ja respektloseste Beitrag zu den umfangreichen Aktivitäten im Rahmen des Ramon-Llull-Jahres. Zeichner Max, Träger des Spanischen Comicpreises und weit und breit der Beste, hat beim Lesen von Llulls Texten Assoziationen und Gedanken freien Lauf gelassen. Ob das, was der mittelalterliche Denker in seinen mehr als 260 Schriften verfasst hat, tatsächlich mit mentaler Onanie zu umschreiben ist, kümmert ­Francesc Capdevila alias Max eigentlich wenig. „Es ging mir einfach darum, Llull den Heiligenschein abzunehmen", sagt er, „letztlich war er halt auch nur ein Mallorquiner."

Ähnlich hemmungslos gingen die Musiker der Band Cap de Turc ans Werk (Jaume Reus, Txema González, Pep Toni Ferrer). Selbiges heißt „Llum de Llull" (Llulls Licht) und besteht aus elf Kompositionen mit Textzitaten und 13 Porträtzeichnungen. Jüngst wurde es präsentiert, als illustriertes Buch mit eingefügter CD. Das schöne Objekt ist bei Disset Edicions erschienen und von Max´ Tochter Aina Capdevila gestaltet.

Die Künstler haben sich vor allem formal mit dem Werk beschäftigt. Alte, außereuropäische oder regionale Instrumente sollen die Spur in Llulls Zeit legen. Gespielt werden sie von Instrumentensammler und Musikforscher Txema González, einer Art mallorquinischer Alan Lomax. Der Bezug zu Llulls Logik, seinem Versuch, eine Argumentationsmaschine zu entwickeln, greift Jaume Reus am Synthesizer auf. Pep Toni

Ferrer, Mitglied der Popgruppe Oliva Trencada, setzt hier und da Melodien, die das Ganze zusammenhalten sollen. Es gelingt nicht immer.

Laia Martínez, alias Laia Malo, hat die Texte zusammengestellt, Frequenzen der Originaltexte in altem Katalanisch, die sie weniger inhaltlich als vielmehr rhythmisch untersucht hat. „Sie mussten sich vertonen lassen", sagt sie.

Natürlich beachtete die katalanische Dichterin auch die Aussage der Texte. Sie sollten eine Botschaft des Projekts untermauern: ein aktualisierter Appell für kulturelle Vielfalt und Frieden. Gut umgesetzt ist diese Botschaft in der Metapher des 1283 verfassten „Buch vom Liebenden und dem Geliebten": Cantava l´aucell / en lo verger de l´Amat. Vénc l´amic, que dix a l´aucell: Si no ens entenem pel llenguatge, entenem-nos per amor. (Der Vogel sang im Garten des Geliebten. Der Freund kam und sagte zum Vogel: Wenn wir uns auch nicht durch die Sprache verstehen, wollen wir uns doch durch die Liebe verstehen.)

Cap de Turc haben die Zeilen „Turquímia" genannt - eine Mischung aus Turquía, Türkei, und Alquimia, Alchemie - und sie mit Querflöte, Perkussion auf afrikanischem Tonkrug, mallorquinischer Ximbomba, E-Bass und Synthesizer umgesetzt. Laia Malo, die sich nicht als Sängerin, sondern als Rezitatorin versteht, flüstert den kurzen Text zwischen die stark synkopierten Töne.

In dem Stück „Pastitx dels 1.000 proverbis" (Pastiche der 1.000 Sprichwörter) wird auch ­kulturelle Vielfalt umgesetzt, allerdings kommt hier eine zweite Botschaft zum Klingen: der Aufruf zur individuellen Deutungsfreiheit des Zeitgenossen. „Llull, demontiert" könnte das Werk auch heißen. Die Worte des Denkers werden auf Arabisch rezitiert (Achmed Aarab und Hamza Doucdouch). Im Libretto-Buch stehen einzelne Zeilen auf Altkatalanisch aus Llulls Sprichwörtersammlung von 1302. Hier ein Lobgesang auf die Wahrheit, dort eine Mahnung zum Schweigen, da eine Aufforderung zur Selbstfindung. Die letzte Zeile lautet: „Llull ès gran", Llull ist groß. Sie verweist auf den typischen muslimischen Gebetsteil „Allah ist groß" und schafft Ratlosigkeit. In der Mischung verlieren die Zeilen Bedeutung, Llull scheint als Wirrkopf vorgeführt zu werden. Max´ Zeichnung von einem bärtigen, einäugigen Strichmännchen, das sich selbst mit den Händen Eselsohren aufsetzt, pointiert das.

Die CD ist eine eigenartige Mischung aus Humor, Kreativität und Unbedarftheit. Dass Llulls Werk komplex, schwierig und zuweilen verquer ist, wissen wir. Aber das sollte nicht zu einer ähnlich verqueren Arbeit im Tonstudio verführen: Die CD entspricht in ihrer unorthodoxen Herangehensweise und der heterodoxen Mischung von Elementen in gewisser Weise dem vielseitigen Werk des Denkers. Als Hörerlebnis kann man sie nicht bezeichnen. So wie man auch die Lektüre von Llull-Texten nicht als Leseerlebnis bezeichnen kann.

Bereichernder sind die Bilder von Max. Der Meister der Reduzierung hat sich erst gar nicht an das Gedankengut und die Botschaft des Religionsphilosophen gewagt. Er vermenschlicht ihn einfach, por­trätiert ihn beim Spielen im Schnee, am Strand oder beim Betrachten seiner eigenen Notizen, mit deutlich rauchendem Kopf. Max ist der Meister der Kommunikation. Etwas mehr davon und etwas weniger Konzept hätte man Cap de Turc gewünscht.

Das Buch mit CD „Llum de Llull" ist bei Disset Edicions erschienen. Es kostet 18 Euro und ist im Buchhandel der Insel erhältlich