Wer an diesem Wochenende durch Can Picafort schlendert, der wird nicht nur die Endzeitstimmung eines Ferienortes im Herbst erleben, mit schlaffen Luftmatratzen und vergilbten Hütchen in den Geschäften. Er wird auch beeindruckende Wandgemälde sehen, riesig, kunstvoll und sehr ansprechend. Sie bringen Passanten zum Nachdenken, darüber, wer hier eigentlich lebt und arbeitet, was diese Menschen denken, wie sich ein Alltag anfühlt zwischen 15.000 Hotelbetten und darüber, wie es hier einmal früher aussah. Street-Art wirft Fragen auf, vermittelt Gefühle, fängt Momente ein, auf stummen, hässlichen Wänden und Mauern.

Davon gibt es auf Mallorca viele, besonders in den Küstenorten, wo es vor Bausünden nur so wimmelt. Die Gemeinde

Calvià hat deswegen schon vor Jahren beschlossen, in ihren Tourismushochburgen aus der Not eine Tugend zu machen. Das Betart-Festival in Peguera läuft seit 2012. Immer mehr Sichtschutzmauern an Bürgersteigen, abgeblätterte Garagentore, meterhohe Seitenfassaden von Hotelburgen und Wohnblocks bekommen seither Farbe.

Die Gestalter haben mit illegal agierenden Graffitisprühern kaum etwas gemeinsam, obwohl sie alle aus dieser Szene kommen und dorthin auch manchmal wieder abtauchen. Meistens arbeiten sie aber mit Pinsel statt mit Dose, bekommen ihre Arbeit bezahlt und stehen ganz offiziell tagsüber auf einem Gerüst. Sie nennen sich Wandkünstler und platzieren an öffentlich sichtbaren Wänden Gemälde, in oft überdimensionalen Maßen und mit verblüffender Farb- und Tiefenwirkung.

Auch Can Picafort setzt jetzt auf urbane Kunst, neudeutsch Street-Art. Zum ersten Mal findet das Saladina Art Fest statt, vom 20. bis 30. Oktober. Die ersten acht Tage sind den drei geladenen Künstlern für die Arbeit reserviert, an den letzten drei Tagen wird gefeiert (28. bis 30.10.). Der Argentinier Bosoletti hat das Hotel Mar y Paz gestaltet (Carrer Isabel Garau 2), die Argentinierin Hyuro eine Wand der Sporthalle (Avinguda Santa Eulàlia), und der Mallorquiner Joan Aguiló einen Wohnblock an der Avenida Diagonal im Ortsteil Son Bauló.

Joan Monjo, stellvertretender Bürgermeister von Santa Margalida und für den Satellitenort Can Picafort zuständig, spricht von einer „mutigen Entscheidung" und davon, dass meterhohe Omas, überdimensionale Frauen, die den Tisch decken, oder plantschende Riesenkinder die Identität des gesichtslosen Ortes stärken könnten.

Es ist wohl eher so, dass sie ihm überhaupt erst eine Identität geben. Joan Aguiló, gebürtiger Palmesaner, dessen Vater aber aus Santa Margalida stammt, hat das Projekt vorgeschlagen, denn so sagt er, „es soll uns daran erinnern, wer wird sind". Jahrzehntelang habe man sich bemüht, dass sich die Touristen auf Mallorca wie zu Hause fühlen, sagt Aguiló, „dabei müssen vor allem wir uns hier wohl fühlen".

Die international gefragten Künstler arbeiten, egal ob in Norwegen, Miami oder auf

Mallorca, immer mit lokalem Bezug. Die Entwicklung einer Idee geht mit Spurensuche vor Ort einher. So hat Bosoletti mit alten Leuten gesprochen, sie nach ihren Erinnerungen und ihrem Lebensstil befragt, hat sich Fotos zeigen lassen und schließlich den Prototypen einer alten Mallorquinerin entwickelt, einer madòna, die zu Hause das Regiment führt. Nun bewahrt ihr Abbild auf der 20 mal 13 Meter großen Seitenwand eines Hotels die Kontrolle über Can Picafort.

Joan Aguilós naives Bild von einem nackten Kind im Wasser spielt auf die Kindheitserinnerungen wohl aller Mallorquiner an. Wenn sie fortan an dem Wohnblock in der Avenida Diagonal vorbeigehen, wünscht er sich, „dass sie an ihre Kindheit denken und die Freude spüren, die ihnen das Meer gebracht hat", sagt der 32-Jährige der MZ.

Das Bild von Hyuro erstreckt sich auf der Rückwand der Sporthalle. Es zeigt vier Frauen beim Tischdecken. Die in Valencia lebende Künstlerin zeigt immer Menschen ohne Gesicht bei Alltagsbeschäftigungen.

20.000 Euro kostet die Identitäts-Aktion der Gemeinde. Diese hat sich zudem den Hausbesitzern gegenüber verpflichtet, die Bilder in gutem Zustand zu erhalten. Beschlossen hat das Ganze einstimmig das Tourismuskonsortium, in dem praktisch alle Akteure von Can Picafort vertreten sind: Anwohner, Politiker, Hoteliers, Geschäftsleute und Wirte. Sie haben dafür gestimmt, dass der Ort jedes Jahr im Herbst um ein paar Wandgemälde reicher wird. Bald wird Can Picafort also tatsächlich eine Open-Air-Galerie sein. Denn die Aktion soll Kulturtouristen anziehen und die „optischen Eindrücke verbessern", so Monjo. Sie ist Teil eines mehrjährigen Sanierungsplanes des Ortes, für den dieses Jahr 600.000 Euro bereitgestellt wurden.

Eigentlich geht es aber darum, die Einheimischen an einem Stück zugebauter Küste zu verankern, das viele ganz anders, unberührt und ruhig in Erinnerung haben. Alle drei Wandbilder strahlen Nostalgie, Sehnsucht und sehr viel Poesie aus. Gefeiert wird das übrigens ab Freitagabend mit einem offenen Abendessen auf der Straße, bei dem es den traditionellen Herbstfisch llampuga gibt und habaneras gespielt werden - ganz im Sinn der madòna vom Hotel Mar y Paz.

Saladina Art Fest, 28., 29., und 30. Oktober. Am Freitagabend gibt es Essen und Feuerteufel (20-22.30 Uhr), am Samstagabend Theater, Swing und DJs (18-23 Uhr) und am Sonntagvormittag Kinderworkshops und eine Führung zu den Wandgemälden (10.30 bis 13 Uhr). Alle Veranstaltungen: Sporthafen von Can Picafort und Plaça Cervantes.