Das Geschick, sich in diktatorischen Systemen gewisse Freiheiten herauszunehmen, war in der Tschechoslowakei stark ausgeprägt. Vor allem während der kommunistischen Zeit nach 1948 nahmen sich erstaunlich viele Künstler heraus, den alles erstickenden sozialistischen Realismus geflissentlich zu ignorieren. Mit wie viel Kreativität sie dabei zu Werke gingen, zeigt die von einem sehr schönen Katalog begleitete Ausstellung „Fotografía checa 1912-1974" in der Stiftung Juan March in Palma. Die über 160 ausgestellten Schwarz-Weiß-Bilder, ursprünglich meist als avantgardistische Buchdeckel oder Zeitschriftentitel veröffentlicht, zeigen deutlich: Diese Fotografen ließen sich nicht vereinnahmen. Der bei der Präsentation der Schau anwesende Prager Historiker Zdenek Primus brachte diese Unbotmäßigkeit mit dem traditionell hohen Bildungsniveau der Tschechen und Slowaken in Verbindung. Um Zeichen zu setzen, muss man erst einmal die Sprache der Zeichen beherrschen.

Bereits während der deutschen Besatzung zwischen 1939 bis 1945 hatten sich viele der Fotografen mutig künstlerischen Widerstand geleistet. So ist in der Ausstellung etwa eine Fotocollage von Jindrich Stursky von 1941 zu sehen, in der mit Pickelhauben behelmte deutsche Soldaten einen Tschechen erschießen. Freilich ist das an einem Baum gefesselten Opfer nur ein überdimensionierter Fuß.

Die Bilder stammen aus der Sammlung des Münchners Dietmar Siegert. „Schon mit 15 Jahren besuchte ich Ausstellungen mit Bildern von Pablo Picasso oder Salvador Dalí und hortete Fotos, während andere in meinem Alter Indianerliteratur lasen", erzählte der Münchner Kunstfreund bei der Präsentation der Ausstellung. „Man hielt mich für verrückt, aber das war mir egal." Besonders Bauhaus-Fotos hatten es Siegert angetan. Seine Leidenschaft trieb ihn oft nach Prag, wo er Kunstfotos aufkaufte. „Die tschechische Gastfreundschaft ist mir sehr positiv in Erinnerung", so

Siegert, zu dessen weiteren Sammlungs-Schwerpunkten die deutsche und italienische Fotografie des 19. Jahrhunderts zählt.

In der Ausstellung der Fundació March vertreten sind renommierte Künstler wie Franti-ek Drtikol, Karel Teige oder Josef Sudek ebenso wie weniger bekannte Fotografen wie Alois Nozicka oder Miroslav Hák. Sie alle waren experimentierfreudig und in Stilrichtungen wie dem Surrealismus, Konstruktivismus und der neuen Sachlichkeit unterwegs. Miroslav Hák etwa konzentrierte sich in den 30er- und 40er-Jahren sowohl auf weibliche Aktfotografie als auch auf Stadtansichten, wie etwa Werbung für Fernet-Branca im Prag. Josef Sudek beschäftigte sich mit Stillleben - Blumensträuße oder Muscheln.

Ganz gegenstandslos sind die Fotos von Franti-ek Hude?ek, von denen die meisten kurz vor der deutschen Besatzungszeit in den 30er-Jahren entstanden. Schattenhafte Gestalten zeigen Fotos von Petr Stauda aus den frühen 30er-Jahren, als die Tschechoslowakei inmitten von faschistischen Staaten wie Deutschland und Italien eine Art Musterdemokratie war. Auch Fotos von Künstlern wie Emila Medková, ?estmír Krátky oder Ivo Precek wirken bisweilen erratisch-irritierend.

Karel Teige, der wohl bekannteste tschechoslowakische Fotograf jener Zeit, gab selbst eine Kunstzeitschrift namens ReD („Revue Dev?tsil") heraus, in der er auch französische Fotografie veröffentlichte. Überhaupt war die Tschechoslowakei, das macht diese Ausstellung deutlich, ein weitaus weniger graues und gleichgeschaltetes Land, als es seinerzeit manch einem von außen erschienen sein mag.

Fotografía checa, Museo Fundación Juan March, C/. Sant Miquel, 11, Palma. Mo.-Fr. 10-18.30 Uhr, Sa. 10 -14 Uhr, So. geschlossen. Eintritt frei.