Es war vor ein paar Jahren. Der Fela­nitxer Künstler und Autor Miquel Àngel Joan, bekannt als Llonovoy, lebte neben der Galerie Gerhardt Braun in der Straße Sant Feliu, 10. Eines Abends kam er nach Hause und sah, dass die Galerie offen stand, aber niemand drin war. Also schloss er die Türen mit seinem Fahrradschloss ab und hinterließ einen Zettel mit seiner Telefonnummer. Am nächsten Tag kam der schwäbische Galerist mit zwei Flaschen Wein vorbei und bedankte sich. „Es war das erste Mal, dass wir Kontakt hatten", erzählt Llonovoy. „Vorher war die Galerie wie ein Ufo in unserem Viertel." Seit vergangener Woche zeigt Gerhardt Braun nun eine Ausstellung mit Collagen und Installationen von Llonovoy, der mittlerweile in Barcelona wohnt. Ein guter Anlass, um bei einem Wermut über diese Straße zu sprechen, die wie kaum eine andere in Palma für Wandel und Gentrifizierung steht.

Herr Braun, Herr Llonovoy, Sie haben jahrelang nebeneinander gelebt, ohne sich zu kennen. Wie erklären Sie sich das?

Llonovoy: Manchmal ist man sich tatsächlich sehr nah und trotzdem weit voneinander entfernt. Zum einen ist die Anonymität natürlich vorteilhaft, zum anderen lebt man ja auch in der Stadt, um sein Viertel und seine Nachbarn zu kennen.

Haben Sie, Herr Braun, sich bei Ihrer Ankunft vor zehn Jahren darum bemüht, die Nachbarn kennenzulernen?

Braun: Nun, das war schwierig, denn ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Und die Nachbarn natürlich auch. Man sieht sich vielleicht in der Bar, aber man lebt aneinander vorbei. Zudem wohne ich ja auch nicht hier, sodass es nicht die Möglichkeit gab, sich abends zu treffen.

Wie war die Straße vor zehn Jahren?

Llonovoy: Ganz anders, wie die ganze Stadt. Ein Großteil des Viertels war seit Jahrzehnten heruntergekommen. Mich hat das sehr beschämt, dass wir Mallorquiner so mit unserer Insel umgehen. ­Natürlich hat dies auch eine gewisse Freiheit erlaubt. Ich habe etwa fünf Jahre lang da, wo heute das Kulturzentrum Ses Voltes ist, ein

Theaterprojekt gemacht. Ohne Genehmigung. Das hat aber auch niemanden gekümmert.

Braun: Als wir hier anfingen, gab es wenig. Poc a poc ist es immer mehr gewordenPoc a poc, weil viele Menschen investiert und den Verfall aufgehalten haben. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es auch erst zwei Jahre her ist, dass man vom „Goldenen Kreuz" Passeig del Born und Sant Feliu spricht. Und natürlich habe ich Angst, dass die Stadt an ihrem Erfolg erstickt. Irgendwann kommt der Punkt, dass es nicht weitergeht.

Lebt es sich jetzt besser hier?

Braun: Es gibt positive Seiten. Wenn ich vor drei Jahren nach Restaurant-Tipps im Viertel gefragt wurde, konnte ich vielleicht zwei oder drei nennen. Jetzt gibt es so viele gute, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Und die sind immer voll. Ich weiß nicht, wo die ganzen Leute herkommen.

Ist Herr Braun mitverantwortlich, dass viele Ihrer früheren Nachbarn sich hier keine Wohnung mehr leisten können, Herr Llonovoy?

Llonovoy: Nein, das glaube ich nicht. Es ist der Lauf der Dinge. Man darf ja nicht vergessen, wie viel Leerstand hier herrschte. Und wir müssen uns doch fragen: Wollen wir Ruinen oder lieber etwas Lebendiges?

Sie sagten eben, Herr Braun, es sei irgendwann ein Punkt erreicht, an dem es nicht mehr so weitergeht. Was sollte man tun, um die Essenz des Viertels zu bewahren?

Braun: Man muss eine Grenze ziehen und die Saison entzerren. Gerade im Winter könnte Palma weniger trostlos sein.

Llonovoy: Das wird schon seit Jahren politisch angestrebt. Aber irgendwie klappt es nicht. Ich glaube, wir müssen das richtige Maß finden. Überall. In Barcelona ist das nicht anders.

Ist Palma eine internationale Stadt oder nur ein Ort mit vielen Leuten aus verschiedenen Ländern?

Llonovoy: Aus meiner Sicht gibt es nur vereinzelt eine wirkliche Mischung.

Braun: Ja, es gibt Orte für Mallorquiner, für Schweden, für Deutsche. Das sind richtige Enklaven: der schwedische Tennisclub, der deutsche Golfplatz. Da muss man kein Spanisch können. Diese Leute werden sich auch nie integrieren. Die kommen nur für das Wetter und die Dolce Vita. In Palma ist die Durchmischung vielleicht ein wenig größer. Aber auch hier gibt es Defizite. Wir versuchen, das in der Galerie aufzubrechen.

Indem Sie einen mallorquinischen Underground-Künstler wie Llonovoy ausstellen?

Braun: Unsere Tür steht jedem offen. Mir ist es egal, ob er Mallorquiner ist oder US-Amerikaner. Es war einfach der Moment, Llonovoy zu zeigen. Es ist tolle Kunst, die er macht.

Llonovoy: Ich bin dafür sehr dankbar. Wenn ich eine persönliche Note einbringen darf: Manchmal vergessen wir auf der Insel lo nuestro, das Unsere. Viele Menschen wissen, wer ich bin und was ich mache. Aber Gerhardt ist der Erste, der mir seit langer Zeit Arbeit gibt.

Die Kuratorin der Ausstellung, Magdalena Aguiló, wohnt schon ihr ganzes Leben im Carrer Feliu. Auch sie erzählt eine Geschichte: „Bevor die Galerie einzog, wohnte in diesem Haus eine alte Frau, Àngeles. Sie hat immer viel gekocht. Wenn man an ihrem Fenster vorbeikam, rief sie: 'Magdalena, ich habe Paella gemacht. Nimm was für deine Tochter mit.' Llonovoy hat sie auch bekocht. Das ist gar nicht so lange her. Àngeles ist vor zehn Jahren gestorben."

Wie wird Sant Feliu in zehn Jahren aussehen?

Braun: Es wird doppelt so teuer sein und noch eleganter.

Glauben Sie, dass irgendwann der Punkt kommt, wo Sie der Einheimische sind, der vertrieben wird?

Braun: Na, ich weiß zum Beispiel nicht, wie lange sich meine Mitarbeiter noch die Miete in der Altstadt leisten können. Ich rede nicht nur von der Ferienvermietung. Mittlerweile ist es ja so, dass einige Leute, die im Sommer kommen wollen, lieber eine Wohnung für ein ganzes Jahr mieten, sie aber nur vier Tage im Jahr benutzen. Einfach, weil es billiger und stressfreier ist. Aber die Wohnung ist dann weg vom Markt, steht eigentlich leer.

Einige dieser Leute dürften auch zu Ihren Kunden gehören. Besprechen Sie solche Themen mit ihnen?

Braun: Klar spricht man mal darüber. Früher habe ich häufig geschwärmt, wie toll es hier ist. Aber in Zukunft werde ich keine Werbung mehr für Palma machen. Es ist zu hoffen, dass sich die Situation in Ägypten oder in der Türkei beruhigt. Oder dass die Menschen nach ein paar Jahren Mallorca-Urlaub auch mal woanders hinwollen.

Sind zu viele Menschen auf der Insel?

Braun: Ich fürchte, dass sich Zustände wie auf Ibiza einstellen. Dort finden die Saisonarbeiter keine Wohnung mehr oder wohnen zu mehreren auf engstem Raum. Und dann sollen sie sechs Tage die Woche arbeiten und freundlich sein. Das ist unmöglich.