Joan Miquel Oliver geht nach vier Mal Klingeln ans Telefon. Es ist Montag (2.10.) nach dem Referendum in Katalonien. Oliver - ehemaliger Gitarrist der Erfolgsband Antònia Font und einer der einflussreichsten mallorquinischen Popmusiker - ist in Barcelona. Eigentlich hätte er in der katalanischen Hauptstadt ein Konzert für Kinder spielen sollen. Aus Angst vor dem, was der Tag schlussendlich bringen sollte, wurde es bereits am Vorabend abgesagt. Seinen Termin am Samstag (7.10., 13.15 Uhr) beim El Día Minimúsica im Es Baluard in Palma will er aber auf jeden Fall wahrnehmen. Bei dem Festival (11-18 Uhr) geht es darum, Kindern Popmusik nahezubringen. Neben Oliver spielen unter anderem Zulu Zulu, Leonmanso und Pau Riba. Karten (ab 15 Euro) und Infos unter eldiaminimusica.com

Es ist vielleicht nicht der beste Tag, um über Popmusik zu reden.

Ach, das glaube ich nicht. Alles hat seinen Platz in dieser Welt. Auch wenn die Situation in Katalonien sehr traurig ist.

Wie haben Sie den Tag in Barcelona erlebt?

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Polizei ist mit äußerster Brutalität gegen Menschen vorgegangen, die nicht das kleinste Anzeichen von Gewalttätigkeit gezeigt haben. Seit Jahren wird hier friedlich protestiert. Es war völlig übertrieben. Wer wirklich nur Wahlmaterialien sicherstellen will, würde nicht dieses Ausmaß an Gewalt anwenden.

Das Konzert, das Sie am Sonntag spielen sollten, war für Kinder. Am Samstag (7.10.) spielen Sie beim El Día Minimúsica wieder für Kinder. Was reizt Sie an solchen Auftritten?

Solche Konzerte sind sehr wichtig. Familien mit Kindern sind von vielen Aktivitäten ausgeschlossen. Popkonzerte gehören dazu. Entweder weil die Konzertorte nicht für die Kleinen geeignet sind, oder weil die Uhrzeit es unmöglich macht. Und gleichzeitig beweisen diese Shows, dass Kinder viel Freude an Popmusik haben können.

Wie reagieren Kinder auf Ihre Musik?

Nun, sie scheinen meine Musik sehr zu mögen - nicht nur bei Familienkonzerten. Egal, wo ich spiele, ob ihm Castell de Bellver oder im Teatre Principal, sind immer auch Kinder im Publikum. Ich glaube, es liegt da­ran, dass meine Lieder sehr melodisch sind. Und auch die Texte sind, glaube ich, für Kinder interessant.

Sie begeben sich in Ihren Texten häufig in außerirdische Welten.

Genau, ich singe über das Universum, über Astronauten und Marsmännchen. Mir geht es darum, die Fantasie anzuregen. Das ist ja das Faszinierende bei Kindern. Wenn sie spielen, dass sie etwa ein Pokémon sind, dann glauben sie wirklich, dass sie in diesem Moment ein Pokémon sind. Das geht im Erwachsenenalter verloren. Ich habe immer versucht, mir das beizubehalten. Eigentlich fühle ich mich immer noch wie ein Kind.

Inwiefern?

Ich glaube, ich war schon immer so, wie ich jetzt bin. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich reifer geworden bin, seit ich ein Kind war. Ich habe die gleichen Unsicherheiten wie ein Kind und verhalte mich manchmal verantwortungslos. Aber das hilft mir auch, meine Fantasie nicht zu verlieren.

Aber es handelt Ihnen Probleme mit Erwachsenen ein, oder?

Das auf jeden Fall. Es gibt eine lange Liste an Pflichten, der ich nur ungenügend nachkomme. Sei es in der Familie oder auch bei offiziellen Sachen. Ich weiß nicht, ob ich die Erwartungen an einen Mann in dieser Gesellschaft erfülle. Dabei habe ich selbst Kinder.

Und wie klappt das so?

Meine Kinder helfen mir beim Songwriting. Manchmal machen wir ein Spiel daraus. Ich frage sie beim Abendessen nach Reimen für meine Lieder. Auf dem aktuellen Album „Atlantis" ist ein Lied ,„Rumba del Temps", da hat mein Jüngster mich ausgeschimpft, weil ich es plötzlich verändert habe. Der Song ist quasi unter Aufsicht eines Fünfjährigen entstanden.

Wie gehen Sie an ein Konzert für Kinder heran?

Man muss sich immer an sein Publikum anpassen. Ich spiele ja teilweise bei einem Festival vor 20.000 Menschen und am nächsten Tag vor 150 in einem kleinen Club. Da macht man auch nicht dasselbe. Für Kinder spiele ich die Songs, die sie mögen. Etwa „Hansel i Gretel", „Lego", „Final Feliç" oder „Marcianet de Mart".

In „Marcianet de Mart" (Marsmännchen vom Mars) singt Oliver zum Beispiel: „Es war einmal ein Marsmännchen vom Mars/ Er hatte vier Arme und war weder klein noch groß/ Von seinem Haus aus sah er fluoreszente Landschaften/ alte, ausgetrocknete Meere, und er war sehr glücklich/ Aber eines Tages veränderte sich alles".

Viele Kinderlieder sind sehr simpel. Trauen wir den Kleinen zu wenig zu?

Das würde ich nicht sagen. Kinderlieder, vor allem jene, die mit Bewegungen verbunden sind, sind doch super. Das heißt aber nicht, dass wir Kindern nicht auch anspruchsvollere Musik vorspielen können. Meiner Erfahrung nach sind Kinder etwa von Björks Stimme völlig fasziniert. Man kann sie aufs Sofa setzen, und sie hören aufmerksam zu. Und ihre Musik ist ja nun nicht gerade einfach.

Auf Ihrem aktuellen Album haben sich Ihre Texte teilweise verändert. Plötzlich sind sie richtig politisch. Wie kam es dazu?

Na ja, also, da ist ein Lied, in dem ich das Problem des Massentourismus anspreche. Die Mallorquiner leiden sehr ernsthaft unter dem Tourismus und der Gentrifizierung. Das findet natürlich den Weg in meine Texte. Aber auch nicht alles, was ich singe, singe ich aus meiner Perspektive. Ich schaffe in meinen Liedern Charaktere. Ich habe auch viele Liebeslieder, und nicht alle handeln von meinen Erfahrungen. Das wäre auch gar nicht möglich.