Die Insel North Sentinel Island liegt im Indischen Ozean ein wenig außerhalb des zu Indien gehörenden Andamanen-Archipels. Das dort lebende Volk, über das nur wenig bekannt ist, verweigert seit jeher den Kontakt mit der sogenannten zivilisierten Welt. Die für ihre Shows schon mehrfach ausgezeichnete und auch international bekannte Zirkuskompagnie Circ Bover aus Sineu ließ sich vom Leben dieser Menschen für ihr neues Stück inspirieren. „Sentinel" wird am Freitag (22.12., 20 Uhr) im Teatre Principal in Palma de Mallorca uraufgeführt und ist danach am Samstag sowie am Dienstag und Mittwoch (23./26./27.) zu sehen. Das Teatre Principal hat das Stück mit der von Tià Jordà geleiteten Kompagnie koproduziert.

Herr Jordà, wie kommt man darauf, eine Zirkusshow über ein Urvolk zu machen?

Wir wollten ein Stück, das eine Botschaft hat und eine Geschichte erzählt. Ich habe vor zwei Jahren im Urlaub mal einen Artikel über dieses Volk gelesen. Dieser Umstand, dass sie sich jeglichem Kontakt mit der Außenwelt verweigern, hat mich fasziniert.

Wie schreibt man eigentlich ein Zirkusstück?

Alles fängt mit Notizen an, kleinen Aufzeichnungen, in denen mögliche Szenarien für den Einstieg und den Fortlauf des Stückes skizziert werden. Dann gibt es eine lange Phase, in der wir Recherche betreiben, sowohl was die Materialien angeht als auch die Akrobatik. Erst wenn der ganze Zirkuspart steht, fangen wir mit der Dramaturgie an. Sie steht nicht im Mittelpunkt des Stücks, ist aber wichtig, damit das Publikum folgen kann.

Welche Geschichte erzählen Sie in „Sentinel"?

Im Mittelpunkt steht dieses Volk, dessen Geschichte wir erzählen. Wir verzichten aber auf Elemente, die man mit einem Urvolk assoziiert, etwa die Körperbemalung. Es geht vor allem um das Gemeinschaftsgefühl. Wir verorten dieses Volk auch nicht. Es könnte genauso gut von hier wie von einem anderen Planeten sein. Irgendwann stellt diese Gemeinschaft fest, dass sich etwas oder jemand von außen nähert. Sie nimmt es als Bedrohung wahr. Was dann passiert, möchte ich noch nicht erzählen.

Das klingt nach einer politischen Botschaft.

Nein, überhaupt nicht. Es ist Zirkus. Wenn es eine Botschaft gibt, dann ist es die Bewahrung des Authentischen. Dass es Dinge gibt, die gut sind, wie sie sind. Die sich nicht unbedingt ändern müssen. Nehmen Sie etwa Südamerika: Jahrhundertelang wurde den Menschen dort eingetrichtert, dass sie den Europäern dankbar sein müssten, weil sie ihnen das Christentum gebracht haben. Es ist noch nicht so lange her, dass es eine Bewegung dort gibt, die sagt: „Leute, es ging uns auch vorher ganz okay." In Südamerika lebten die Menschen im Einklang mit der Natur. Es war eine eigene Philosophie. Fortschritt ist nicht immer etwas Positives.

Das ist nicht politisch?

Natürlich ist da eine Gesellschaftskritik enthalten. Aber das Stück ist keine Anklage. Die Menschen werden unsere Botschaft schon verstehen. Sie ist ja auch nicht welt­bewegend neu.

Sie arbeiten in „Sentinel" bereits das zweite Mal nach dem preisgekrönten „Vincles" mit Bambus.

Wir lieben es. Es wird im Zirkus bisher kaum benutzt und ist doch eine große Bereicherung. Es ist unheimlich leicht, widerstandsfähig und äußerst ästhetisch. Wir hatten Lust, die Arbeit mit Bambus weiterzuentwickeln. Diesmal haben wir mit Seilen nach dem Tensegrity-Prinzip gearbeitet, einem Konzept aus der Architektur, das mit Druckspannung funktioniert.

Ihre Kompagnie wird häufig dafür gelobt, hochwertigen Zirkus für Erwachsene zu machen. Ist „Sentinel" für Kinder geeignet?

Ich denke schon. Im Kinderzirkus liegen unsere Wurzeln, und wir machen ihn auch noch gern. „Sentinel" ist darauf ausgerichtet, alle Altersgruppen anzusprechen. Ich denke, auch ein fünfjähriges Kind kann an „Sentinel" seine Freude haben, auch wenn es kein Kinderzirkus ist.

Was bedeutet es für Sie, in einem klassischen Theater aufzutreten?

Das ist radikal anders als der Straßen­zirkus, den wir sonst machen. Wir sind zwar schon in Theatern aufgetreten, aber es ist das erste Mal, dass wir ein Stück ausschließlich für mittlere bis große Theater konzipiert haben. Das wird sich auch auswirken, wenn wir mit dem Stück auf Tour gehen wollen. Es wird schwerer werden, es zu verkaufen.

Was sind die größten Unterschiede?

Auf der Straße muss man sich sehr dessen bewusst sein, wo man ist. Man muss mehr dafür tun, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erlangen. Die Leute stehen im Halbkreis oder im Kreis um einen herum, manche gehen, manche gesellen sich später dazu. Es laufen Kinder herum. Die Leute unterhalten sich. Im Theatersaal sitzen die Leute. Da kann man entspannter herangehen.

Und sie sind absichtlich gekommen. Sie haben sogar Eintritt gezahlt.

Genau, es ist ein Publikum, das sich bewusst auf dieses Stück einlassen will. Aber das heißt auch, dass das Stück ein wenig stimmiger sein muss. Das Licht ist besser, die Musik auch.

Das ist doch positiv, oder?

Als Zirkuskompagnie in ein Theater zu gehen, ist immer ein Risiko. Es ist schwerer, einen Saal zu füllen. Nur wirklich sehr berühmte Gruppen können sich das leisten. Zudem sind die Säle nicht mehr auf dem selben Stand wie vor der Krise. Viele setzen lieber auf Monologe als auf so etwas Aufwendiges wie Zirkus.

Im Teatre Principal haben Sie, neben den fünf Akrobaten, eine achtköpfige Live-Band dabei.

Das ist ein Luxus. Die Musik hat Joan Vila geschrieben, ein großes Talent, der auch als Akrobat in „Sentinel" dabei ist. Ursprünglich war geplant, dass nur er Musik macht. Das Teatre Principal sponsert die Band. Es ist die Jazzgruppe Highlands Project, zusammen mit weiteren Musikern. Wenn wir auf Tour gehen, können wir zwei Pakete anbieten. Eins mit Band, eins ohne.

Sentinel, Circ Bover, Teatre Principal, 22./23./26./27.12., 20 Uhr, Karten 8-20 Euro unter www.teatreprincipal.com