Scheinbar unendlich führt die steinerne Treppe des Hauses in dem kleinen Dorf Biniaraix bei Sóller nach oben. Minimalistisch eingerichtete Zimmer und Salons, jedes mit seinem eigenen Charakter, zweigen von den Stufen ab. Es ist wohl im dritten Stock, wo Ginka Steinwachs plötzlich in der Tür erscheint. Hager und groß gewachsen. Sie hält eine mit silbernen Pailletten bestückte Hose vor ihren Körper. „Ich bin die Tochter des Mondes", sagt sie fröhlich.

Nein, nichts ist gewöhnlich in diesem Haus. Auch nicht seine Bewohnerin. Die Sprachakrobatin, promovierte Philosophin, Klaus-Heinrich-Schülerin und Spezialistin für Surrealismus und Dadaismus empfängt in einem lichtdurchleuteten Saal mit Blick auf das Orangental.

Mallorquinischer Märchensammler

Sie erzählt vom mallorquinischen Märchensammler Antoni Mossen Alcover. Der notierte unter anderem das Märchen von der Tochter des Mondes und der Sonne, die in allen romanischen Sprachen eine umgekehrte Geschlechterzuordnung genießen. Die Tochter begleitet ihre Mutter, den Mond, auf ihrer Reise rund um die Erde. Doch die Reise ist anstrengend und das Mädchen wird schnell müde. Über Mallorca wird es der Mutter genug. Sie lässt ihr Kind auf die Insel fallen, wo es ein wunderschönes weißes Haus bekommt, in dem es leben kann. Ginka Steinwachs sagt, sie habe sich in der Figur der Tochter wiedergefunden. Ihr Haus in Biniaraix ist jenes aus dem Märchen von Mossen Alcover.

Längst versteht sich Steinwachs nicht mehr nur als Sprachkünstlerin, die unter anderem 1985 beim Ingeborg-Bachmann-Preis den dritten Preis holte. Nein, sie sei jetzt „visuelle ­Poetin". Worte verbindet sie nun mit Fundstücken. Die sammelt sie in sogenannten Vinylteppichen, durchsichtigen, acht mal sechs Zentimeter großen Fülltüten für die Wand. Getrocknete Blätter verbinden sich mit Bildern, Wortfragmenten und Gegenständen wie eingedrückten Teelichtbehältern. Und Wortspiele, immer wieder Wortspiele. Auf verschiedenen Sprachen. Katalanisch, Deutsch, Englisch, Französisch.Beim Ausstellungsort einen Coup gelandet

Das alles vereint Steinwachs nun zu der Ausstellung „Ginka intim, eine Tochter von Sonne & Mond", die seit 17.3. in Sóller gezeigt wird. Beim Ausstellungsort hat die 75-Jährige einen Coup gelandet. Sie hat die Stadt davon überzeugt, die Arbeiten im alten Theater Defensora zeigen zu dürfen. Den Schlüssel dafür trägt sie unter den Kleidungsschichten an einer Kette um den Hals am Körper, als ob sie ihn durch eine Welt voller Diebe tragen müsse.

Sie schließt die Tür des alten Theaters auf und macht das Licht an. Es ist ein kaputter, morscher, einfach wundervoller, verwunschener Ort für so ein Unterfangen. Die Bühne darf man nicht mehr betreten. „Das wäre lebensgefährlich", warnt Ginka Steinwachs. Es ist die letzte Ausstellung, die hier vor der geplanten Restaurierung gezeigt wird.In der Mitte ein Vintage-Sofa

Die Ausstellung besteht aus drei Elementen, wenn man so will. Auf einer Seite des Saales sind Fotografien angebracht. Sie zeigen Details aus dem weißen Haus, in dem sich Steinwachs wie die Mondestochter aufgenommen fühlt. Gegenüber hängen die Vinylteppiche. Die Besucher können sie mit einer kleinen Taschenlampe ausleuchten oder mit einer Spritze mit Wasser beträufeln. Und in der Mitte, auf einem Vintage-Sofa, ein roter aufblasbarer Mund, aus dem eine samtene Zunge herausragt. Dort wird Steinwachs am 31.3. auf Deutsch eine Performance zeigen. ­Darin sinniert sie über die Mondestochter, die von ihrer Mutter verlassen doch irgendwie nicht so schlecht davonkommt.

Eine Ausstellung in Sóller mag wie kein großes Ding erscheinen für eine Künstlerin mit dem Renommee von Steinwachs, deren Werke seit 2017 im Archiv der Akademie der Künste Berlin gesammelt

werden. Aber man merkt ihr die Vorfreude an. Sie besteht beim Interview sogar darauf, die Performance vorzuführen. Dazu zieht sie sich eine silber-schwarze Perücke an, die die Form eines Irokesenschnitts hat. Die silbernen Haare seien Strahlen des Mondes, sagt sie, und gluckst dabei vor Freude wie ein kleines Mädchen. Dann wirft sie sich in Pose. Zum Abschluss macht sie einen Knicks und wartet auf Applaus.Ein privelegierter Ort

Vom Salon im dritten Stock führt Ginka Steinwachs auf die Terrasse, zwei Stockwerke darüber. Dort unten liegt das Tal in seiner ganzen Pracht. Ein privilegierter Ort auf einer Insel mit vielen privilegierten Orten. Auf dem Boden steht in weißen Fußbodenkacheln ihr Name geschrieben: „Ginka". Übrigens ein Spitzname für Gisela. „Das hat mein Mann hier verlegt, damit der Mond immer weiß, wo seine Tochter ist."

Den Luxus, eine Mondestochter zu sein, habe sie übrigens nicht allein. „Jeder Mensch kommt von den Gestirnen", sagt Ginka Steinwachs. Jedem werde etwas zuteil auf diesem Planeten. Denn zwar habe sie, wie das Mädchen aus dem Märchen, das schöne weiße Haus geerbt. Andere Aspekte der Geschichte habe sie aber nicht erlebt. Etwa, dass ihr wie dem Mädchen die Fische direkt aus dem Meer in die Pfanne springen. Aber das sei in Ordnung. Man kann nicht alles haben.

Ginka Steinwachs, „Ginka intim: eine Tochter von Sonne & Mond, Teatre La Defensora, Carrer de Reial,13, Sóller, Performance auf Deutsch, 31.3., 19 Uhr, Ausstellung bis 15.4.