Rote Schmierereien auf den verpixelten Gesichtern der Schwarz-Weiß-Fotos, gelbes Graffiti über dem Erklärungstext. Am Mittwochmorgen (13.6.) hat es das Kunstwerk von Santiago Sierra auf der Plaça d'Espanya in Palma getroffen, Unbekannte haben die umstrittenen „Presos políticos en la España contemporánea" (Politische Gefangene im heutigen Spanien) attackiert, die dort bis zum 24.6. zu sehen sind. Eine Zerstörungstat, mit der die aktuelle, mitunter militant geführte Debatte um Meinungsfreiheit einen neuen Höhepunkt erreicht.

„Wenn es irgendeinen Anschlag auf das Werk von Sierra gibt, wird das nur ein weiterer Akt der Zensur sein", hatten Vertreter der „Gruppe zur Unterstützung von Valtonyc" noch bei der Präsentation der Arbeit am vergangenen Sonntag verlauten lassen.

Das Kunstwerk besteht aus 24 Fotografien. Die Namen der Porträtierten sind nicht genannt, doch durch erklärende Texte lassen sich die Personen identifizieren, etwa der katalanische Politiker Oriol Junqueras oder Aktivisten der Bürgerbewegung 15-M. Die Ausstellung der Replik - das Original befindet sich derzeit im Centre de Cultura Contemporànea in Barcelona - ist eine von vielen Aktionen während der „Woche der Meinungsfreiheit".

Die wird von verschiedenen Gruppierungen in Palma organisiert, die auf die Einschränkung künstlerischer Freiheit in Spanien aufmerksam machen wollen, Palma als Stadt der Meinungsfreiheit präsentieren und Solidarität mit dem mallorquinischen Rapper Valtonyc bekunden. Der flüchtet derzeit vor seiner Haftstrafe wegen Liedtexten, in denen er unter anderem zur Ermordung des Königs aufgerufen hatte.

Aus Sicht der Veranstalter könnte auch Valtonyc zu den „politischen Gefangenen" von Sierra gehören. Dass die Bilder auf Palmas zentralem Platz ausgestellt werden, hatte schon im Vorfeld für Ärger gesorgt. Unter anderem die Volkspartei (PP) hatte dagegen protestiert, der Rechtsaußen-Politiker Jorge Campos gar „die unverzügliche Entfernung" der Aufsteller verlangt. Es wäre nicht das erste Mal gewesen: Die „Presos políticos" wurden im Februar von Spaniens wichtigster Kunstmesse, der Arco in Madrid, verbannt - auf Anweisung des Messe-Präsidenten Eduardo López Puertas, der „Kontroversen vermeiden" wollte.

Bei einer Podiumsdiskussion am Dienstag in der Casa Planas erzählte der international renommierte Aktionskünstler Santiago Sierra noch einmal von dem Vorfall auf der Arco: „Ich möchte mich bei der Messe bedanken, denn ich wollte das Thema auf den Tisch bringen und das hat so auf spektakuläre Weise geklappt."

Sierra - mit Schiebermütze, Sonnenbrille, stoischer Gelassenheit und starker Präsenz - war bei der abendlichen Diskussionsrunde vor etwa 60 Zuschauern, die wie ein konspiratives Treffen einer Guerilla-Gruppe anmutete, nicht allein. Auch andere Künstler sprachen hier über ihre Erfahrungen mit Zensur und Unterdrückung, die kollektiv als „alltägliches Problem" bezeichnet wurden.

Eugenio Merino etwa, der von der Fundación Francisco Franco verklagt wurde, weil er in einer Arbeit den lebensechten Franco in einem Kühlschrank gezeigt hatte. Oder Abel Azcona, gegen dessen religionskritische Kunst die Sekte Opus Dei „direkt vor seiner Haustür" demonstrierte. „Ich glaube nicht an Künstler, die nicht politisch sind", stellte Azcona klar. Eine Selbstzensur seiner „hochexplosiven Werke" aus Angst vor Konsequenzen hält er für „absurd". Ausgerechnet Sierra mahnt hier zu einer vorsichtigen Vorgehensweise mit juristischer Unterstützung: „Künstler im Gefängnis nützen uns auch nichts."

Nur bei einem Thema wird der sonst ruhige Sierra wütend: Wenn im Streit um Valtonyc argumentiert wird, seine Texte seien nicht gut. „Das ist der schlechteste Moment, um über die Qualität des Werks zu sprechen, weil er jetzt als Künstler ein Problem hat." Der Kampf dafür, dass jeder sich ausdrücken darf, auch wenn die Kunst nicht jedem gefällt, ist der Kern dieser Diskussion - die aktuell nirgends so exaltiert geführt wird wie in Palma.